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Frei und nackt auf der Leuchtenburg


Ausstellung in Skandal-Burg
Frei und nackt auf der Leuchtenburg

Skandal auf der Leuchtenburg: Ein Trupp junger Leute haust dort frank und frei und allzu freizügig. Was heute noch Stoff für eine Ausstellung ist, war 1920 bundesweit Gesprächsthema. Die wilde Schar gehörte zur Wandervogelbewegung, die vor exakt 100 Jahren - im Oktober 1913 - entstand. Die gerade eröffnete Ausstellung lohnt übrigens im doppelten Sinn: Schließlich gibt es dabei auch eine der schönsten Burganlagen Deutschlands zu entdecken. Sehen Sie die Leuchtenburg heute und damals auch in unserer Foto-Show.

10.09.2013|Lesedauer: 3 Min.
srt, Margit Boeckh
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Das Grauen hatte einen Namen: Muck Lamberty. Als Bürgerschreck mischte dieser Typ anfangs der 1920er-Jahre mit seiner "Neuen Schar" die Gegend zwischen Franken und Thüringen auf. Jugendbewegten Revoluzzern aus der Uropa-Zeit gab der aus dem Elsass gebürtige Mann die Parole vor: "Kampf der Jugend gegen die Alten!"

Foto aus der Ausstellung "Glut ist Geist": Die Thüringer Leuchtenburg war ein Hotspot der Wandervogeljugend.Vergrößern des Bildes
Foto aus der Ausstellung "Glut ist Geist": Die Thüringer Leuchtenburg war ein Hotspot der Wandervogeljugend. (Quelle: Julius Groß/Archiv der deutschen Jugendbewegung/Marlis Heinz/SRT-bilder)

Ein Feierwütiger steckt alle an

Mit einer rasch wachsenden Anhängerschar zog Muck (eigentlich Friedrich Lamberty, den Spitznamen erhielt er wegen seiner Kleinwüchsigkeit) singend, predigend und tanzend durch die Lande; vom fränkischen Kronach kam er über Coburg bis zur Wartburg. In Erfurt sollen auf dem Domplatz mehr als 10.000 Menschen mit ihm verzückt gefeiert haben. Hermann Hesse setzte ihnen in seinem Werk "Die Morgenlandfahrt" ein literarisches Denkmal.

Die wilde Jungschar landete 1920 auf der Leuchtenburg. Das hoch über der Porzellinerstadt Kahla thronende Gemäuer hat bis heute seinen Romantikfaktor XXL bewahrt - ein passgenaues Sehnsuchtsziel der Jugend- und Naturbewegten. Zudem war in den ehrwürdigen Mauern gerade die erste Jugendherberge Thüringens eingerichtet worden. Muck und seine Getreuen zogen als allererste Gäste ein.

Skandalös: FKK und Vielweiberei

Man lebte frisch und frei - gerne auch frei von jeglicher Kleidung. Was andere Ausflügler nicht so passend fanden. Es hagelte Proteste. Als dann noch herauskam, dass Jugendguru Muck in einer Art Haremswirtschaft reihenweise Gefolgsmädels geschwängert hatte, war es aus mit der Idylle. Die "Neue Schar" flog hochkant raus aus der Leuchtenburg.

Mit der Ausstellung "Glut ist Geist" wird dort jetzt an diese Zeit erinnert. Die Schau nimmt das Jubiläum des "Ersten Freideutschen Jugendtages" zum Anlass. Im Oktober 1913 hatte auf dem Hohen Meißner bei Kassel die Wandervogel-Bewegung ihren Siegeszug durch Deutschland gestartet. Das Motto der Ausstellung zitiert das Gedicht eines anderen Jugendapostels von damals - Gusto Gräser. Darin heißt es zeitgeistig altertümelnd: "Tut, was die Leut' entsetzt! Tut nit so vereist! Glut ist Geist!".

Die Stasi brachte hier Regimegegner unter

Die aktuelle Ausstellung zeigt plastisch, wie es damals zuging. Historische Fotografien im Großformat und Wandinstallationen präsentieren die ebenso naturverliebte wie rebellische Idylle vor einhundert Jahren. Die Jugend von damals posiert in Wanderkluft, singend und beim züchtigen Ringelreihen oder auch gerne mal in paradiesischer Nacktheit. Gästebucheinträge der Herberge und Gedichte beschwören die Gedankenwelt jener Zeit.

Wer heute die Leuchtenburg besucht, der kann auch jenseits der Ausstellungsräume die damalige Atmosphäre noch gut nachfühlen. Das historische Gemäuer lockt einfach jeden Romantiker: Zinnen, Türmchen, trutzige Mauern - alles ist da, selbst die Schneewittchen-Rosenranken fehlen nicht. Dabei war die Burg nie eine richtige Ritterburg, sondern nacheinander Verwaltungssitz, Zuchthaus, Irrenanstalt und Hotel. Kurz vor der Wiedervereinigung kam schließlich noch die Stasi, die hier ein Internierungslager für missliebige Regimegegner einrichten wollte.

Sensationsfund vom Meeresgrund in Ausstellung zu sehen

In den 1990er-Jahren war das Gemäuer derart heruntergekommen, dass es geschlossen werden musste. Nach 15 Jahren Leerstand fasste sich dann der ehemalige Pächter der Burgschenke ein Herz und in den privaten Geldbeutel: Für einen symbolischen Betrag kaufte er die Anlage und rief eine gemeinnützige Stiftung ins Leben. Die weckte die Schöne aus dem Dornröschenschlaf und trägt seither das Ganze.

Doch wie Gäste aus nah und fern anziehen? Ausstellungen sind das Zauberwort. Nach der Jugendbewegung soll es vor allem das thüringische Porzellan richten: Im kommenden Frühjahr werden die "Porzellanwelten Leuchtenburg" eröffnet. Dann erwartet die Besucher eine riesige, multimediale, mit allen Sinnen erlebbare Geschichte des Porzellans. Im Vorfeld sind derzeit in der Burg Ausstellungen mit historischem Thüringer Porzellan zu sehen sowie mit Stücken eines Sensationsfunds vom Meeresgrund: chinesisches Porzellan von einem gesunkenen Schiff aus dem 16. Jahrhundert.

Weitere Informationen:

Adresse: Leuchtenburg, 07768 Seitenroda, Tel. 036424/713300, info@leuchtenburg.de, www.leuchtenburg.de mit kostenlosen Broschüren zum Download;
Ausstellung: "Glut ist Geist - Die Wandervögel auf der Leuchtenburg" vom 19. September 2013 bis zum 14. März 2014;
Öffnungszeiten: April bis Oktober tgl. 9 bis 18, November bis März bis 17 Uhr;
Allgemeine Informationen zur Region: Touristinformation Saaleland, Margarethenstraße 7-8, 07768 Kahla, Tel. 036424/78439, infobuero@saaleland.de, www.saaleland.de.
Kulturtipp: Auch das Germanische Nationalmuseum Nürnberg zeigt zur Jugendbewegung des 20. Jahrhunderts in Deutschland eine Ausstellung: "Aufbruch der Jugend - Zwischen Selbstbestimmung und Verführung" (26. September 2013 bis 19. Januar 2014), www.gnm.de

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