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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bergsteiger durchsteigen Annapurna-Südwand "Bist du der zweite, ist das keine Neuigkeit mehr"
Ueli Stecks 28-Stunden-Solo durch die Annapurna-Südwand am 9. Oktober löste in den internationalen Medien einen wahren Hype aus. 15 Tage nach Stecks Erfolg erreichten die beiden Franzosen Yannick Graziani und Stephane Benoist den Gipfel des 8091 Meter hohen Achttausenders - ebenfalls durch die gefährliche Südwand. Lediglich den französischen Medien und ein paar wenigen Bergsport-Portalen war dies eine Meldung wert. Dabei mussten die beiden Bergsteiger einen hohen Preis für ihren Erfolg bezahlen. Sehen Sie in unserer Foto-Show das Durchsteigen der Annapurna-Südwand durch die Franzosen.
Johanna Stöckl: Yannick, Gratulation zu eurem Erfolg an der Annapurna! Während sich die internationalen Tageszeitungen und Bergmagazine auf den Erfolg Ueli Stecks stürzen und eifrig über seine Solobegehung berichten, schafft ihr es nur als Randnotiz in die Medien. Ist das nicht frustrierend für euch?
Yannick Graziani: Ueli gelang sein Solo ganz einfach zwei Wochen vor uns. Bist du der zweite, ist das keine Neuigkeit mehr. Für uns ist das aber völlig in Ordnung und überhaupt nicht frustrierend. Als Kletterer sind wir Amateure. Professionell üben wir nur unseren Beruf als Bergführer aus. Ueli ist Profibergsteiger und als solcher lebt er nun mal von Sponsoren und muss daher auch ganz anders kommunizieren als wir. Wir haben die gleiche Route am gleichen Berg geschafft. Das ist das einzige, was für uns Bergsteiger zählt.
Ueli Steck meisterte sein Solo durch die Annapurna-Südwand in 28 Stunden. Ihr habt etwas länger gebraucht.
Acht Tage für den Aufstieg bis zum Gipfel. Zwei Tage davon warteten wir in einer Höhe von 6700 Metern auf besseres Wetter. Und zwei Tage brauchten wir dann für den Abstieg.
Wann habt ihr den Gipfel der Annapurna erreicht?
Am 24. Oktober um 11 Uhr erreichten wir den Gipfel. Just an meinem 40. Geburtstag.
Wow, alles Gute nachträglich! Was für ein ungewöhnlicher Ort, um seinen Geburtstag zu feiern.
Ja, das kann man wohl laut sagen!
Gerade im Bergsport ist es schwer, Leistungen miteinander zu vergleichen. Aber Ueli Steck hat unfassbare 28 Stunden für sein Solo gebraucht. Ihr wart acht Tage am Berg unterwegs. Unterstreicht Steck seinen Namen „the swiss machine“ einmal mehr beziehungsweise wie bewertest du sein Solo?
Ueli ist ein großartiger Sportler und Kletterer, mental, physisch und technisch sehr stark. Ich weiß ja nicht, ob er sich diesen Namen „Swiss Machine“ selbst gegeben hat oder ob der von den Medien kommt, jedenfalls bin ich extrem beeindruckt von seiner Leistung. Diese Wand solo zu meistern, ist gewaltig. Man muss schwierige Passagen, etwa 500 Meter in wirklich anspruchsvollem Gelände meistern. Und das im Alleingang! Ich ziehe meinen Hut vor Ueli Steck.
Welche Bedingungen habt ihr am Berg vorgefunden? Steck betonte, dass er es optimal erwischt hat.
Auch bei uns waren die Bedingungen gut. Wir verfolgten täglich den Wetterbericht und richteten danach unsere Strategie aus. Deshalb legten wir dann auch auf circa 6700 Metern zwei Tage „Pause“ ein und warteten auf besseres Wetter. Im Abstieg allerdings war es dann sehr kalt und windig. Vor allem während der Nacht. Aber tagsüber hatten auch wir optimale Bedingungen.
Wie man Bergsportportalen entnehmen konnte, hat sich dein Kollege Stephane böse Erfrierungen zugezogen. Ist es richtig, dass er mehrere Zehen durch Amputation verloren hat?
Leider ist das richtig. Mittlerweile ist Stephane zwar zu Hause in Nizza, aber er muss wieder ins Krankenhaus.
Wie geht es ihm?
Er ist mental stark und trotz alledem sehr optimistisch. Ihn hat es wirklich böse erwischt. Auch an den Fingern. Das ist alles sehr, sehr bitter und bedauerlich. Aber es ist wie es ist. Leider enden große Klettertouren nicht immer glücklich mit einem Bier in der Hand.
Hattest du auch Probleme mit der Kälte?
Ja, meine beiden großen Zehen hat es auch erwischt. Aber ich hatte Glück. Ich musste nicht ins Krankenhaus und werde in etwa zwei Monaten wieder völlig normal laufen können.
Ist das der Preis für so ein Abenteuer?
Die Erfrierungen zeichneten sich leider sehr schleichend ab. Sonst hätten wir eher darauf reagiert. Eines ist klar: Kein Berg ist es Wert, einen Preis dafür zu zahlen. Aber wenn du an einem Achttausender unterwegs bist, gibt es viele Unwägbarkeiten. Du kannst nicht alles kalkulieren.
Ueli Stecks Solo wirft, da es keine Beweise in Form von Bildern gibt, eventuell Zweifel auf. Konntet ihr irgendwelche Spuren von Ueli sehen?
Ja, wir haben seinen Biwakplatz auf 6700 Metern gesehen. Danach allerdings konnten wir keine Spuren mehr sehen. Aber wir waren 15 Tage nach Steck in der Route. Es hatte dazwischen ja viel geschneit und starken Wind. Also ist es auch völlig ausgeschlossen, da noch irgendwelche Spuren oder gar Einschläge der Eisgeräte im Eis zu sehen.
Habt ihr Zweifel an Stecks Aussagen?
Nein, nicht im Geringsten.
Steck verlor ja nicht nur seine Kamera, sondern auch noch einen Daunenhandschuh im Aufstieg. Ihr habt trotz Daunenhandschuh schwere Erfrierungen davon getragen. Einem Laien präsentieren sich hier zwei völlig unterschiedliche Welten an ein- und demselben Berg.
Ich muss mich wiederholen. Auch wir haben perfekte Bedingungen vorgefunden. Der viele Schnee, der gefallen war, hatte sich gut gesetzt und war gefroren. Tagsüber war es nicht allzu warm, weshalb wir keine Probleme mit Lawinen oder Steinschlag hatten, was in den ersten 1000 Metern der Route eine große Gefahr darstellt. Im Grunde genommen hatten wir ähnlich gute Bedingungen wie Ueli. Ab 7000 Metern allerdings war es bei uns nachts brutal kalt, aber immerhin windstill. Und das ist der Schlüssel zum Erfolg, wenn du in so einer Höhe unterwegs bist.
Ueli Steck kletterte während der Nacht. Ihr etwa auch?
Ja, speziell den ersten Teil der Route kletterten auch wir nachts. Wie bereits erwähnt, war es tagsüber etwas zu warm und daher lawinen- und steinschlaggefährdet. Aber den technisch anspruchsvollen Teil zwischen 7000 und 7600 Metern sind wir bei Tageslicht geklettert.
Yannick, danke für die Zeit, die du dir genommen hast und alles Gute für deinen Freund Stephane!
Danke, ich werde es ihm ausrichten. Er kann das gebrauchen!
Informationen zur Annapurna im Himalaya
Die 8091 Meter hohe Annapurna gilt als der gefährlichste Achttausender. Durch die südliche Lage erhält das Massiv sehr viele Niederschläge, die starken Schneefälle begünstigen Eisschlag und Lawinen. Obwohl sie 1950 der erste Achttausender war, der bestiegen wurde, weist die Annapurna von allen vierzehn Gipfeln über 8000 Meter die wenigsten Besteigungen und prozentual die höchste Todesrate auf. Für kommerzielle Expeditionen wie etwa am Mount Everest ist sie kein Ziel.
Die Annapurna-Südwand wurde erstmals 1970 erklettert, im Rahmen einer großen britischen Expedition, die unter Einsatz von künstlichem Sauerstoff und Fixseilen einen Aufstiegsweg fand. Seither wurde die Wand auf mehreren Routen durchstiegen, sowohl zum Hauptgipfel als auch zu weiter östlich gelegenen Nebengipfeln. 2007 eröffnete der Slowene Tomaž Humar solo eine Linie zum Ostgipfel.
Die Route von Steck beziehungsweise Graziani und Benoist verläuft in einem Wandbereich, der bisher noch nie erfolgreich begangen wurde. Stecks Alleingang war der erste in der eigentlichen Südwand.