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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kein Abi - keine Zukunft? Auch ohne Abitur ist ein erfolgreiches Leben möglich
Ohne Abi in die Zukunft: Wenn Schüler den höchsten Schulabschluss nicht schaffen, kommen schnell Selbstzweifel auf. Berufswünsche zerplatzen, junge Erwachsene empfinden sich als Versager. Alternative Abschlüsse und Ausbildungsangebote sind aber auch ohne Abitur möglich.
Reinhold Messner schaffte es erst im zweiten Versuch, Joschka Fischer ist gar nicht erst angetreten und Literaturnobelpreisträger Thomas Mann hatte ebenfalls kein Abitur. Er ist schon vorher dreimal sitzengeblieben. Dass es einige prominente Persönlichkeiten ohne Hochschulreife zu etwas gebracht haben, dürfte für viele junge Leute nur ein geringer Trost sein. Während sich die Freunde aus der Stufe auf Abschlussball und Studium freuen, scheint das Leben für Abi-Versager aussichtslos.
Tatsächlich ist in Deutschland der Trend zum Abitur ungebrochen. Im Jahr 2013 haben laut Statistischem Bundesamt rund 370.600 Schüler hierzulande die allgemeine oder die fachgebundene Hochschulreife erworben. Das waren nach vorläufigen Ergebnissen 3,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Doch es gibt auch die anderen Fälle - wie Michael aus Köln (Name geändert).
Kein Grund sich hängen zu lassen
"Das Abitur abzubrechen, war eine ziemlich harte Erfahrung für mich", erzählt Michael. Der 28-Jährige hatte die Schule bereits in der elften Klasse einmal unterbrochen und stattdessen Zivildienst gemacht. Im zweiten Anlauf sollte es eigentlich klappen. "Ich war schon auf der Zielgeraden und habe dann gemerkt, dass einige Noten zu schlecht sind. Meine Interessen lagen einfach woanders." Die Schule aufzugeben, habe ihn damals sehr belastet und Schuldgefühle ausgelöst.
Das müsse aber nicht sein, sagt Claudia Raykowski vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). "Das Abitur nicht zu machen oder zu schaffen ist gleichzeitig eine Chance, die eigenen Fähigkeiten neu zu hinterfragen." Das Abitur sei nicht das Maß der Dinge, um im Leben erfolgreich zu sein. Was auch immer zum Abbruch geführt hat: Hängenlassen sollte sich niemand. "Es ist ganz normal, dass man sich bei Schulproblemen stresst und mit den Eltern streitet. Die wollen schließlich selber nicht versagen und ihre Kinder mit möglichst guten Schulabschlüssen ins Leben entlassen."
Neuorientierung mit richtiger Unterstützung
Meistens zeichnet sich schon lange vor einem Schulabbruch ab, dass es mit den Noten eng wird. Am besten schlagen Eltern oder Lehrer den Jugendlichen dann eine professionelle Berufsberatung vor, empfiehlt Raykowski. In den Treffen wird zum Beispiel trainiert, das eigene Zeitmanagement zu verbessern. "Wer erst einen Tag vor der Prüfung beginnt zu lernen, hat natürlich schlechte Karten", sagt die Schulpsychologin.
Michael wollte keinen weiteren Versuch wagen, das Abitur zu bestehen. "Ich hatte starke Selbstzweifel und musste mich erstmal orientieren." Eine gute Anlaufstelle sei das Job-Center des Arbeitsamtes gewesen. "Berater besprechen dort mit den jungen Erwachsenen, wie es weitergehen kann", erklärt Paul Ebsen von der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Die Angabe von Stärken und Schwächen sei wichtig, um Ideen für einen Praktikums- oder Ausbildungsplatz zu sammeln. "Kommen wir so nicht weiter, kann der Berufspsychologische Service weitere Tests durchführen", erläutert Ebsen. Dabei herrscht der Grundsatz: alles kann, nichts muss. Es bringe wenig, junge Menschen in eine Ecke zu drängen.
Praktikum oder Freiwilliges Soziales Jahr als Überbrückung
Ein Praktikum ist oft schneller zu bekommen als ein Ausbildungsplatz. Schulabbrecher müssen sich so nicht langweilen oder nutzlos fühlen. "Auf diesem Weg kann jeder unverbindlich in Berufe hineinschnuppern und überlegen, ob sich eine Ausbildung lohnt", sagt Ebsen. Die Arbeitsagentur hilft auch hier bei der Suche. "Wir haben Kontakte zu Unternehmen, die bereit sind, Auszubildende auf Probe aufzunehmen", erklärt er. Nach einem Jahr heißt es dann ja oder nein. Wem der Job gefällt, kann direkt ins zweite Ausbildungsjahr einsteigen.
Eine weitere Variante, um sich vom Abi-Stress eine Auszeit zu nehmen und gleichzeitig sozial zu engagieren, ist das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ). "Ein Jahr für andere da zu sein, kann die Eigenständigkeit stärken und neu motivieren", sagt Kristin Napieralla vom Bundesarbeitskreis FSJ. Die Referentin für Freiwilligen- und Lerndienste betont aber: "Wer hier mitmacht, ruht sich nicht aus." Die Freiwilligen arbeiten Vollzeit in Sportvereinen, Krankenhäusern, Kindergärten oder Pflegeheimen. Für die Hilfstätigkeit gebe es bis zu 340 Euro Taschengeld. 50.000 Freiwillige entscheiden sich jedes Jahr für ein FSJ. "Der ein oder andere entdeckt dabei vielleicht sogar seinen Traumberuf", sagt Napieralla.
"Es gibt Mittel und Wege, auch ohne Abitur weiterzukommen"
Für Michaels Studienwunsch Soziale Arbeit ist eine Hochschulzugangsberechtigung erforderlich. In Deutschland kann aber jeder Abschluss nachgeholt werden, und auch das Studieren ohne Abitur ist für Kandidaten mit einer Ausbildung und Berufserfahrung möglich. Mit einer Fachhochschulreife oder einer fachgebundenen Hochschulreife steht einer Einschreibung ebenfalls nichts im Weg. "Ich suchte nach Möglichkeiten, um an dieses Ziel zu gelangen", sagt er.
Schließlich fand Michael Hinweise auf der Plattform Hochschulkompass.de von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Dort finden Interessierte Adressen und Kontaktdaten von Hochschulen, an denen sie ohne Abitur studieren können, erklärt Jochen Schwarz, Referent des Projekts Nexus der HRK.
Abi-Abbrecher Michael entschied sich schließlich für ein Jahrespraktikum in der Jugendhilfe. "Da ich die zwölfte Klasse in der Oberstufe noch geschafft habe, hatte ich mit einem zusätzlichen Jahrespraktikum das Fachabitur in der Tasche." Damit konnte er sich für das Studium bewerben. Der angehende Sozialarbeiter blickt heute entspannter zurück. "Es gibt Mittel und Wege, auch ohne Abitur weiterzukommen", sagt er. "Ich rate jedem, Spott zu ignorieren und in Ruhe eine Lösung zu finden."