Schulkind & Jugendliche Störenfriede werden in den "Trainingsraum" geschickt
In der Schule gehörten jahrzehntelang antiquierte Disziplinierungsmethoden wie "In-der-Ecke-Stehen" oder "Nachsitzen" zu den erzieherischen Mitteln. Inzwischen sind sie bei uns an immer mehr Schulen durch das pädagogische Konzept "Trainingsraum" abgelöst worden. Dabei werden nicht etwa Muskeln oder die Kondition gestählt, sondern das Denken, genauer gesagt das eigenverantwortliche Denken von Schülern, die im Unterricht wiederholt gestört haben. Doch wie funktioniert diese Methode genau und was taugt sie?
"Arizona-Modell" wird das Trainingsraumprogramm auch genannt, das vom Sozialarbeiter Edward E. Ford 1994 zuerst im Süden der USA eingeführt wurde und seit 1996 durch das Engagement des Bielefelder Diplompsychologen Stefan Balke auch in Deutschland Schule macht.
Schüler sollen verantwortliches Denken lernen
"Die Hauptidee des Konzepts besteht darin", so wird es auf der Website "trainingsraum.de" erklärt, "dass alle Schülerinnen und Schüler, die den Unterricht häufig stören, verantwortliches Denken und Handeln in einem besonderen Raum unter Anleitung eines Lehrers oder Sozialpädagogen lernen. Sie können hier in Ruhe über ihr Verhalten nachdenken. Sie haben so eher die Möglichkeit einzusehen, dass ihr häufiges Störverhalten auch die Rechte der anderen Schüler beeinträchtigt." Es geht also in erster Linie darum, dass die "Störer" ihr Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Gruppe stärken und dass sie ihr respektloses Verhalten einsehen und langfristig verändern, so dass eine stressfreie, positive Lernatmosphäre für alle wieder möglich wird.
Klare Regeln und klare Konsequenzen
Doch um solche Ziele erfolgreich umsetzen zu können, bedarf es Regeln und Konsequenzen, die nicht verhandelbar sind und mit den Kindern genau besprochen werden müssen. Die drei Kerngrundsätze haben viele Schulen, die mittlerweile die Methode praktizieren, in ihrem Schulprogramm verankert - wie etwa die Gesamtschule Kürten im Bergischen Land. Hiernach hat jeder Schüler "das Recht, ungestört zu lernen. Jede Lehrkraft hat das Recht, ungestört zu unterrichten und alle müssen stets die Rechte der anderen beachten und respektieren." Mischt ein Störenfried den Unterricht auf und macht das Lernen der anderen etwa durch Dauerschwätzen, Briefchen Schreiben, Abfeuern von Papierkugeln, Auslachen eines Mitschülers oder Provokation des Lehrers mehr oder weniger zunichte, bedeutet dies einen klaren Regelverstoß. Der Trainingsraum steht dann zur Debatte.
Trainingsraum ist keine Strafaktion
Dabei sollte diese Konsequenz nicht als Strafe gesehen werden, denn der Schüler entscheidet selbst über sein Handeln, da er ja bewusst gegen die bekannten Regeln verstoßen hat. Um das zu verinnerlichen, empfehlen die Diplompsychologin Heidrun Bründel und die Pädagogin Erika Simon in ihrem Buch "Die Trainingsraum-Methode", sollte der Lehrer dem Störer wie bei einem Ritual immer folgende Fragen stellen: "Was tust du gerade? Gegen welche Regel verstößt du? Was geschieht, wenn du gegen diese Regel verstößt? Wofür entscheidest du dich?" Der Schüler hat es also selbst in der Hand, ob er im Klassenraum verbleibt, weiter am Unterricht teilnimmt oder in den Trainingsraum geht.
Ein schriftlicher Besserungsplan wird erarbeitet
Treibt er sein Spiel allerdings zu bunt, so ist der Lehrer nach wiederholter Verwarnung - bei der Gesamtschule Kürten sind es maximal drei - verpflichtet, den Uneinsichtigen in den Trainingsraum zu schicken. Hier führt dann eine speziell geschulte Lehrkraft ein Einzelgespräch mit dem Schüler über sein Verhalten. Dann wird ein Plan für mögliche Lösungen erarbeitet und der Schüler schreibt schließlich unter den kritischen Augen des Trainingsraumlehrers detailliert sowohl den Hergang und die Gründe für sein störendes Verhalten sowie seine Besserungsvorsätze auf. Dies ist die Lizenz, um in den Klassenraum zurückkehren zu können. Später wird das Protokoll dann nochmal gemeinsam mit dem Klassenlehrer besprochen. Sollte der "Regelbrecher" allerdings nicht kooperativ sein, bekommt er endgültig die Rote Karte. Er kann dann als Konsequenz nach Hause geschickt werden oder anderweitig in der Schule beschäftigt werden.
Falls der Trainingsraum innerhalb weniger Wochen häufiger zum Aufenthaltsort wird, werden die Eltern des "Unruhestifters" zu einem Gespräch gebeten: "Das Ziel sollte dabei nicht sein, Sanktionen zu realisieren, sondern Hilfsmaßnahmen, die der Schüler benötigt, zu beschließen", so die Autorinnen Bründel und Simon. Dies diene auch dazu die Erziehungspartnerschaft zwischen Schule und Elternhaus zu festigen und gemeinsam an einem Strang zu ziehen.
Positive Resonanz bei den Lehrern
Bei den Lehrkräften kommt das Konzept, das jede Schule ein wenig variiert anwendet, bisher gut an. Das hat die Fachhochschule Bochum in einer Untersuchung festgestellt. 521 Pädagogen aus 87 Schulen in Nordrhein-Westfalen äußerten sich größtenteils positiv. Sie hoben vor allem hervor, dass der unterrichtende Lehrer mit diesem Modell entlastet werde, der Lärmpegel wesentlich geringer sei, das Klassenklima besser wäre und der Stoff konzentrierter durchgenommen werden könnte.
Eine Lehrerin schildert auf "trainingsraum.de" ihre positiven Erfahrungen: "Als ich merkte, dass man im Grunde genommen mit wenig Sätzen Effektivität erreicht, weil die Kinder die Regeln kennen, habe ich das Konzept als gut befunden. Ich frage die Störer jetzt manchmal nur noch: 'Willst du am Unterricht teilnehmen oder nicht?' Dann wissen sie worauf es hinauslaufen könnte und entscheiden sich, was sie tun." Und ein andere Kollege meint: "Es ist für die Kinder schon ein großer Lernprozess, wenn sie im Trainingsraum genau ihre Vorsätze und Ziele formulieren und es nicht einfach nur daher sagen. Durch diese detaillierte Beschäftigung mit dem eigenen Verhalten in schriftlicher Form sind sie gezwungen, eine kritische Selbstbeobachtung zu üben. Das ist ein riesiger Zuwachs an sozialer Kompetenz, der dem Unterricht gut tut und den Umgang miteinander verbessert."
Zurückhaltende Zustimmung der Eltern
Auch die meisten Mütter und Väter, so die Bochumer Studie, halten das Trainingsraumprogramm für sinnvoll und pädagogisch wertvoll. Allerdings zeigten nur ganz wenige, so die Erfahrungen befragter Lehrer, echtes Interesse an dem Konzept. Sie erklären diese eher passive Haltung damit, dass Eltern dazu neigten, erzieherische Maßnahmen der Schule auch in der Schule zu belassen und sie ohne Diskussionen zu akzeptieren, solange ihr Kind nicht darunter leidet.
Die Schüler sehen nicht immer den Nutzen des Konzepts
Die Meinungen der Schüler scheinen bei dem Trainingsraummodell allerdings auseinanderzugehen. Das haben stichprobenartige Nachfragen der Eltern-Redaktion von www-t-online.de ergeben. Der 14-jährige Jonas (Name ist geändert) von der Albrecht-Dürer-Gesamtschule in Weiterstadt fand seinen bisher ersten und einzigen Besuch im Trainingsraum sehr lehrreich: "Es ist ja mehr eine Aufforderung mal darüber nachzudenken, was man getan hat und nicht direkt eine Strafe. Der Raum ist ja dazu da, das man sich hinsetzt, um herauszufinden, wie man es besser machen kann."
Der 13-jährige Alex (Name geändert), der schon mehrmals als Störer das Prozedere mitgemacht hat, bemerkt kritisch: "Ich habe eher das Gefühl, dass es doch eine Strafe ist. Vor allem, dass man vor aller Augen rausgehen muss, wenn man es übertrieben hat. Einmal hat ein Mädchen bei uns sogar geweint, als sie in den Trainingsraum musste." Kritik gibt es auch vom zwölfjährigen Louis: "Wir müssen mindestens eine Viertelstunde im Trainingsraum bleiben. So lange dauert es, bis das Protokoll geschrieben ist. Da verpasst man viel zu viel vom Unterricht, denn der geht ja ohne einen weiter. Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich lieber eine ganz normale schriftliche Strafarbeit machen, mit der dann alles erledigt ist."