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Erzieherin berichtet: So stressig ist der Kita-Job


Von wegen Vorlesetante
Eine Erzieherin berichtet: So stressig ist der Arbeitsalltag in der Kita

Das Jobprofil der Erzieherinnen hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Was pädagogische Früherziehung heute bedeutet und warum eine höhere Wertschätzung für den anspruchsvollen Beruf notwendig ist, zeigt exemplarisch der stressige Alltag einer altgedienten Erzieherin. Ein Knochenjob mit hoher Lärmbelastung und niedrigem Einkommen.

Aktualisiert am 01.10.2015|Lesedauer: 5 Min.
t-online, Nicola Wilbrand-Donzelli
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Christina, die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte, ist in ihrer Kita, die sie auch leitet, heute mit der Frühschicht dran. Spätestens um 7 Uhr ist sie am Arbeitsplatz. 30 Minuten später kommen die ersten Kinder. Bis dahin müssen noch jede Menge Mal-, Knet- und Bastelutensilien vorbereitet werden - ebenso wie das Frühstück. Nachher wird für solche organisatorischen Arbeiten keine Zeit mehr sein.

Lärm, Schweiß, Tränen - so stressig ist der Kita-Job.Vergrößern des Bildes
Lärm, Schweiß, Tränen - so stressig ist der Kita-Job. (Quelle: imago-images-bilder)

Ab 7.30 Uhr wird ein Knirps nach dem anderen abgeliefert. Ohne Tränen geht dann der Abschied von den Eltern häufig nicht über die Bühne, so dass Christina den Kummer immer wieder mit tröstenden Streicheleinheiten vertreiben muss.

Ranklotzen und Überstunden horten

Unterstützt wird die Pädagogin, die sich seit 25 Jahren mit Leidenschaft, Geduld und starken Nerven in ihrem Beruf aufreibt, von zwei weiteren Vollzeitkräften - einer davon ist ein junger Erzieher, der seit zwei Jahren dabei ist. Der Arbeitsplatz des dreiköpfigen Teams ist eine private Elterninitiative im Rhein-Main-Gebiet mit 20 Kindern.

"Im Vergleich zu den meist mehrzügigen städtischen Einrichtung sind hier die Bedingungen mit drei Erziehern für eine Gruppe eigentlich paradiesisch", so Christina. "Trotzdem arbeiten wir häufig am Limit, schaffen an vielen Tagen nur mit Mühe unsere Pausen einzuhalten. Wenn ein Kollege wegen Krankheit ausfällt, was bei den zahlreichen Kindergarten-Keimen nichts Ungewöhnliches ist, müssen wir im Zweierensemble ranklotzen. Aus diesem Grund schiebt jeder von uns auch reichlich Überstunden vor sich her."

Feste Abläufe und Strukturen erleichtern die Arbeit

8.00 Uhr: Als pädagogisches Vormittagsangebot kann jeder Kita-Zwerg - natürlich immer auf freiwilliger Basis - heute eine mit Reis gefüllte Musikrassel aus Klopapier-Pappe und Buntpapier kreieren, die danach angemalt wird. Wer noch nicht selbstständig werkeln kann, bekommt Unterstützung. "Da weiß man manchmal gar nicht, wo man zuerst helfen soll, wenn gleich sieben oder acht Kinder auf einmal herumwirbeln. Doch grundsätzlich ist es gut, wenn jeder versucht, zunächst alleine zurechtzukommen. Denn nur durch Learning by Doing lässt sich die Welt begreifen."

Um im kunterbunten Kita-Trubel die Übersicht zu behalten, ist nicht nur für die Erzieher ein konsequent strukturierter Tag überlebenswichtig. Auch den Kindern gibt ein fester Tagesrhythmus Halt und Orientierung. 9.30 Uhr ist deshalb grundsätzlich Frühstückszeit, nachdem alle geholfen haben aufzuräumen und die Tische zu decken.

Nerven, Ohren und Stimmbänder werden beansprucht

Danach steht um 10 Uhr im täglichen Morgenkreis das große Miteinander mit gemeinsamen Singen und Spielen auf dem Programm - so jedenfalls die Theorie. Denn die Jungen-Gang mit Oskar, Emil und Max hat beschlossen, lieber so lange herumzualbern, bis sie auch den Rest der Truppe aufgemischt hat. Für die Pädagogen ist das nicht nur eine Herausforderung für die Nerven.

"So ein Chaos ist zwar auch mal wichtig, damit die Kinder ihre Grenzen austesten können", weiß Christina. "Doch irgendwann müssen wir uns dann wieder Gehör verschaffen, indem wir den hohen Geräuschpegel der Kinderstimmen übertönen. Das ist für die Ohren und die Stimmbänder ziemlich anstrengend, zumal solche Situationen ja öfter vorkommen. Wir leben hier eben mit einer hochfrequenten Dauerbeschallung."

Knochenarbeit mit pädagogischem Anspruch

Umso willkommener ist es dann, wenn die quirlige Truppe nach dem Morgenkreis an die frische Luft darf. Eine Stunde ist Zeit, um im Garten herumzutoben, Hölzer an der Werkbank zu zersägen, in der Sandkiste zu buddeln, zu schaukeln oder mit dem Rollern herumzudüsen. Die "Lüftung" der Knirpse findet jeden Tag statt - bei jedem Wetter. Im Sommer bedeutet das 20 Mal Sonnencreme und Zeckenschutz aufzutragen und bei kaltem nassen Wetter, alle dabei zu unterstützen, warme wasserdichte Outfits samt Gummistiefeln an- und später wieder auszuziehen.

"Den größten Teil des Tages werden unsere Gelenke und unser Rückgrat extrem beansprucht. Wir sitzen ständig auf dem Boden beziehungsweise auf zu niedrigen Stühlen, heben und tragen Kinder oder putzen zigmal täglich in gebückter Haltung Popos ab. Das geht auf die Knochen"

Eine Verschnaufpause für die Erzieher gibt es häufig auch beim Mittagessen ab 12.15 Uhr nicht. Nur nebenbei können sie ein paar Happen vom Lunch, der in dieser Einrichtung nach einem rotierenden System von den Eltern vorbereitet wird, naschen, weil die Kinder sie auf Trab halten: Lilli etwa möchte die ungeliebten Erbsen aus der Spaghetti-Sauce gefischt bekommen, während Max am Nachbartisch darauf besteht, dass seine Nudeln klein geschnitten werden. Und die Überschwemmung rund um Claras umgekipptes Wasserglas muss auch noch schnell weg gewischt werden.

Mehr Pflegeaufwand bei Kindern im Krippenalter

Um 13 Uhr geht es dann vor der Ausruh-und Schlafzeit zum Zähneputzen und zum anschließenden obligatorischen Toiletten-Gang. "Die meisten sind da schon ziemlich selbstständig, aber seit 2013 haben wir hier auch Zweijährige, bei denen noch Windeln gewechselt werden. Diesen erhöhten Zeitaufwand müssen wir nun zusätzlich einkalkulieren."

13.30 Uhr. Ein wenig Stille kehrt ein. Alle liegen samt Lieblingskuscheltier im Obergeschoss auf ihren Matratzen und warten müde auf die Einschlafgeschichte, die heute der junge Kollege vorliest. Christina hat nun endlich Pause, während die Dritte des Teams dazu eingeteilt ist, die Küche wieder auf Vordermann zu bringen. Ab 14.30 Uhr beginnt dann der lange Endspurt des Kindergartentages: Nochmal basteln oder malen und schließlich Spielen im Garten, bis um spätestens 16 Uhr jeder abgeholt sein muss. Dann ist nach acht Stunden Schluss - zumindest für die Kita-Zwerge.

Pädagogische Anforderungen haben stark zugenommen

Für die Erzieher folgt nun noch die wöchentliche Teambesprechung. Dabei werden nicht nur die zurückliegenden Arbeitstage analysiert, sondern beispielsweise auch Sonderprojekte für die frühkindliche Bildung - sei es für die Jüngsten oder die Mittelkinder in der Gruppe - konzeptioniert. "Obwohl der Tag eine feste Struktur hat, bieten wir in den unterschiedlichen Alterssegmenten noch zusätzlich Lernaktivitäten und entwicklungsangepasste Förderung an. Gerade für Vorschulkinder ist das besonders wichtig, denn sie müssen, gleich welchen kulturellen Hintergrund sie haben, am Ende ihrer Kitazeit fit sein für das Schulleben. Das betrifft sowohl sprachliche als auch soziale Kompetenzen."

Die pädagogischen Aufgaben der Erzieher sind damit aber noch lange nicht erschöpft. Die meisten Mütter und Väter wollen heute nämlich viel mehr als früher eingebunden und in regelmäßigen Abständen über den jeweiligen Entwicklungsstand ihres Sprösslings informiert werden. So müssen die Pädagogen nun detailliert ihre Erkenntnisse dokumentieren und gegenüber der Elternschaft transparent machen.

Traumjob ohne Wertschätzung?

"Der Erzieherberuf ist neben dem harten, körperlichen Einsatz, der von uns täglich abverlangt wird, in den letzten Jahren zunehmend anspruchsvoller und komplexer geworden", kommentiert Christina. "Heute gehen die Anforderungen an unsere pädagogische Arbeit weit über die Betreuung mit Spielen, Vorlesen und Basteln hinaus. Das ist meines Erachtens gleichzusetzen mit der Tätigkeit von Grundschullehrern - eben nur bezogen auf eine frühere Lebensphase der Kinder. Aus diesem Grund verstehe ich nicht, warum wir schlechter bezahlt werden. Dieser verantwortungsvolle Knochenjob wird hierzulande einfach nicht genug gewürdigt."

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Der junge Kollege in Christinas Team - er gehört zu den gut drei Prozent Männern, die diesen Job machen - überlegt nun auch, ob er seinem Beruf, der so gut wie keine Aufstiegschancen bietet, überhaupt noch lange treu bleiben kann. Er befürchtet nämlich später bei einem Maximalverdienst von knapp 3000 Euro brutto keine Familie ernähren zu können, und das, obwohl er wie die meisten Erzieher eine vierjährige Ausbildung absolviert hat.

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