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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Interview mit Aktivistin "Wer Inklusion nicht will, findet 1000 Gründe"
Deutschland leben etwa 50.000 Menschen mit Trisomie 21, dem Down-Syndrom. t-online.de sprach mit der Schauspielerin und Aktivistin Carina Kühne über ihren engagierten Kampf um Inklusion von Menschen mit Behinderung.
t-online.de: Frau Kühne, am 3. Dezember ist der internationale Tag der Menschen mit Behinderung. Am 21. März ist der Welt-Down-Syndrom-Tag. Was bedeutet Ihnen das persönlich?
Carina Kühne: Ich finde es gut, dass es einen Tag im Jahr gibt, an dem Menschen mit Down-Syndrom besonders beachtet werden. Es wäre schön, wenn es besonders an diesem Tag ganz viele positive Berichte und Filme zum Thema geben würde. Medien können dabei helfen, Berührungsängste abzubauen, denn sie haben einen großen Einfluss.
Was heißt Inklusion genau?
Inklusion bedeutet, dass alle Menschen, also solche mit und solche ohne Behinderung von Anfang an und überall gemeinsam leben und voneinander lernen: im Kindergarten, in der Schule, auf der Arbeit, beim Wohnen und in der Freizeit.
Wo findet Inklusion bereits statt und wo gibt es noch Nachholbedarf?
In den meisten Kindergärten ist Inklusion heute schon normal. Leider ist es dann spätestens nach der Grundschulzeit nicht mehr so. Da muss sich noch viel ändern. Es gibt Wohnheime am Stadtrand und statt auf dem ersten Arbeitsmarkt müssen die meisten Menschen mit Trisomie 21 immer noch in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeiten. Die meisten Sportvereine weigern sich immer noch, sich zu öffnen. Es wird also ausgesondert.
Wo erleben Sie die stärkste Ausgrenzung im Alltag?
Ich bin ja Schauspielerin und wünsche mir auch Rollen, in denen Inklusion gezeigt wird. Leider gibt es diese Rollenangebote nicht. Ich würde gerne mal nicht die Behinderte spielen.
Kindergarten, Schule, Beruf: Wie gut sind die Bildungsmöglichkeiten für Menschen mit Down-Syndrom?
Kinder mit Down-Syndrom werden heute schon in der Kindergartenzeit sehr gut gefördert. Sie können meist schon lesen, wenn sie eingeschult werden. Trotzdem wird oft nur auf die Defizite geachtet und nicht auf die Stärken. Deshalb kommen die meisten Kinder spätestens nach der Grundschule doch in eine Sonderschule.
Nach der Behindertenrechtskonvention sollte das Recht auf Bildung zwar selbstverständlich sein, aber leider ist es immer noch so: Wer Inklusion nicht will, findet 1000 Gründe, warum es nicht geht. Man traut uns einfach nichts zu. Meine Grundschullehrerin meinte zu mir immer: „Du kannst das ja gar nicht können, Du hast ja das Down-Syndrom!“ Ich konnte es aber trotzdem.
Was ist Trisomie 21?
- Wissenschaftlich beschrieben zuerst von John Langdon-Down 1866
- Betroffene Menschen haben Chromoson 21 drei- statt zweifach
- Trisomie 21 ist keine Erbkrankheit
- Die Lebenserwartung ist von durchschnittlich neun Jahren (1929) auf 60 Jahre (2004) gestiegen
Wo sehen Sie die größten Probleme bei der Teilhabe von Menschen mit Behinderung?
Wenn die Firmen auch eine Ausgleichsabgabe leisten können, statt inklusive Arbeitsplätze zu schaffen, wird sich wohl nichts ändern.
Leider wird immer noch das so genannte Anderssein betont. Dabei gibt es so viele Gemeinsamkeiten.
Wenn wir schon im Kindergarten und bis ins Erwachsenenalter Inklusion leben, ist auch die Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigung selbstverständlich. Für meine ehemaligen Klassenkameraden ist es das jedenfalls.
Was würden Sie Eltern raten, die ein Kind mit Down-Syndrom bekommen?
Sie sollen es lieb haben und annehmen so, wie es ist. Meine Mutter sagt immer, wenn sie bei meiner Geburt gewusst hätte, was sie heute weiß und wie ich mich entwickelt habe, hätte sie nicht so viele Tränen geweint. Die Eltern sollen nicht alles glauben, was die sogenannten Fachleute sagen.
Sie haben 2016 in der TV-Serie “In aller Freundschaft” gespielt. Wie realistisch fanden Sie Ihre Rolle einer jungen Frau mit Trisomie 21?
Ich habe die Rolle natürlich nur gespielt und bin selbst sehr viel selbstständiger. Ich finde aber, dass die Rolle im Vergleich zu vielen anderen Filmen doch recht realistisch war. Natürlich wurden da auch wie immer Klischees bedient.
Was wünschen Sie sich von Ihren Mitmenschen am meisten?
Toleranz, Akzeptanz und Gleichberechtigung.
Verraten Sie uns Ihre Pläne für 2017: Wo liegt der Fokus Ihrer Arbeit als Aktivistin und Schauspielerin?
Als Schauspielerin hoffe ich auf einige gute Rollenangebote!
Für meine Arbeit als Aktivistin gibt es schon verschiedene Vortragstermine an Hochschulen. Dort spreche ich über Inklusion. Darüber hinaus schreibe ich Artikel unter anderem für die Aktion Mensch.
Außerdem bin ich seit 2016 Schirmherrin der Wasserflöhe, einer inklusiven Tauchgruppe des VSG Darmstadt 1949 e. V. Beim 14. Down-Sportlerfestival am 20. Mai in Frankfurt am Main werde ich neben prominenten Unterstützern wie Peyman Amin, Felicitas Woll oder Michael Groß wieder als Patin teilnehmen.
Nicht zuletzt ist ein Bilderbuch für Kinder geplant. Es geht um Freundschaft. Ich habe mich von einer Lektorin beraten lassen und tolle Tipps bekommen. Die Illustratorin Suse Eich Bauer hat schon sehr schöne Bilder dazu entworfen. Ich freue mich auch sehr, dass der Aktivist und Berater für Inklusion Raul Krauthausen ebenfalls beteiligt ist. Bestimmt wird es ein großartiges Buch.
Ich hoffe, dass ich demnächst auch Einladungen von Selbsthilfegruppen bekomme! Denn ich möchte so gerne zeigen, dass Menschen mit Down-Syndrom dazugehören und etwas leisten können.
Über Carina Kühne
Carina Kühne, 32 Jahre, Schauspielerin und Aktivistin, wurde mit dem Down-Syndrom in Berlin geboren. Sie besuchte eine normale Schule und war Klassenbeste in Englisch. Heute lebt sie im hessischen Seeheim und setzt sich aktiv für die Verwirklichung von Inklusion ein. In ihrem Blog carinakuehne.de und als Sprecherin bei Fachkonferenzen und Workshops engagiert sie sich besonders für die Belange von Menschen mit Down-Syndrom.