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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Patchworkfamilien Wenn der Stiefvater "Papa" genannt werden will
Kinder getrennt lebender Mütter und Väter bekommen oft noch einen weiteren Erzieher dazu. Diese erwachsene Doppelbesetzung birgt Konfliktpotential, das umso größer werden kann, wenn der Ersatzelternteil auch noch mit "Papa" beziehungsweise "Mama" angesprochen werden will.
Jede Patchworkfamilie ist in ihrer Zusammensetzung und Entstehungsgeschichte unterschiedlich. Variantenreich sind die Konstellationsmöglichkeiten: Entweder bringt die Mutter ihren Nachwuchs mit in die neue Beziehung oder der Vater. Oder die Kinder von beiden Elternteilen wohnen gemeinsam im neu zusammengelegten Haushalt. Manchmal kommen die Sprösslinge aus der früheren Beziehung aber auch nur am Wochenende zu Besuch.
Zwei "Papas" bergen Konfliktpotenzial
So ist es oft nicht leicht, ein familiäres Miteinander zu finden, und jedem gerecht zu werden. Denn das klassische Vater-Mutter-Kind-Konstrukt ist nun um weitere Erwachsene, die ebenfalls mitreden wollen, erweitert.
Neu hinzugekommene Partner versuchen der Harmonie manchmal auf die Sprünge zu helfen, indem sie für den Nachwuchs ihrer Lebensgefährten der Ersatzpapa oder die Ersatzmama sein wollen. Welche Folgen der Wunsch nach Elternschaft in Zweitbesetzung haben kann, hat Heiko erfahren. Seit zwei Jahren leben er und seine Frau getrennt. Die fünfjährige Tochter, zu der er ein inniges Verhältnis hat, ist dreimal wöchentlich bei ihm. Die restlichen Tage wohnt die Kleine bei der Mutter, die mittlerweile einen neuen Freund hat.
"Der neue Mann an der Seite meiner Ex will, dass unsere Tochter ihn ebenfalls 'Papa' nennt. Sie hätte jetzt eben zwei Väter. Das stört mich sehr und ist gerade für das Kind sehr irritierend. Ich habe meiner Tochter erklärt, dass das so nicht stimmt. Ihr richtiger Papa bin ich. Diesen Status will ich mir auf keinen Fall streitig machen lassen oder gar mit jemandem teilen."
Der Exklusivitätsanspruch leiblicher Eltern
Auch die Berliner Psychologin und Familienberaterin Karin Jacob von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) unterstreicht, dass der Titel "Mama" und "Papa" einmalig ist und deshalb eigentlich nicht doppelt vergeben werden könne.
"Eltern bleiben - auch wenn sie getrennt leben - immer etwas Exklusives, sind nicht austauschbar. Nur ihnen sollte diese Bezeichnung samt den dazugehörigen Aufgaben vorbehalten bleiben. Man kann also nicht einfach Papa oder Mama werden durch eine neue Familienkonstellation."
Sehnsucht nach Zugehörigkeit
Eine solch klare Rollenverteilung bedeutet jedoch nicht, dass neue Partner automatisch auf ein Abstellgleis geraten und in der Beziehung zu den Kindern außen vor sind. Denn die stiefelterlichen Absichten hinzugekommener Lebensgefährten, so die Expertin, seien nachvollziehbar.
Fast immer verberge sich dahinter der Wunsch um Klarheit über die eigene Position im Patchworkverband und das Streben, eine eigenständige Beziehung zu den Kindern zu gestalten. Oft stecke auch Unsicherheit hinter diesem Verhalten, und nur manchmal werde das Bedürfnis, ebenfalls Mama oder Papa genannt zu werden, durch Konkurrenzdenken motiviert.
Intensive Beziehung statt bedeutungsvoller Begrifflichkeiten
"Neue Partner sollten nicht der Illusion verfallen, dass sich durch diesen Ansprechtitel automatisch Nähe herstellen lässt. Man sollte sich nicht an Begrifflichkeiten festklammern. Es geht doch vielmehr darum, eine echte, vertrauensvolle und sichere Beziehung zu den nicht leiblichen Kindern zu entwickeln. Ich würde den Hinzugekommenen in einer Patchworkfamilie empfehlen, gegenüber den Kindern zu betonen, dass man zwar nicht Mama oder Papa sei, aber dennoch jemand Verlässliches im Leben des Nachwuchses sein möchte. So bekommt man sehr viel mehr Wertschätzung und Bedeutsamkeit", erklärt Jakob.
Klare Rollenverteilung hilft bei Kompetenzgerangel
Die 34 jährige Melanie, die vor knapp drei Jahren mit ihren mittlerweile sechs und achtjährigen Söhnen zu ihrem neuen Lebensgefährten gezogen ist, erlebt das Patchwork-Miteinander ohne Rangeleien um Kompetenzen und Anreden zwischen den beiden Männern. Doch um diesen Status Quo zu erreichen und Eifersüchteleien zu begegnen, sei Geduld, Ausdauer und einige Aussprachen zwischen den beteiligten Erwachsenen nötig gewesen, erzählt Melanie.
Das habe vor allem den Kindern geholfen. "Meine beiden Jungs wissen ganz genau, dass sie nur einen Papa haben, den sie heiß und innig lieben, auch wenn sie ihn nicht jeden Tag sehen. Meinen Freund sprechen sie mit Vornamen an. Er fühlt sich dadurch nicht zurückgesetzt. Auch zu ihm haben meine Kinder ein enges, vertrauensvolles Verhältnis. Doch die Rollen der männlichen Bezugspersonen sind trotzdem nicht identisch. Dabei hilft zusätzlich, dass mein Freund sehr entspannt ist und zum Glück nicht dauernd versucht, als erziehender Zweitpapa zu punkten."
Kinder niemals zu bestimmten Anreden zwingen
Auch wenn das Bemühen der Erwachsenen um klare Rollenverteilung oft groß ist, kommt es doch vor, dass gerade die Kinder die Linien bei der Anrede verwischen und Mama oder Papa nicht mehr exklusiv benutzen. Das ist vor allem in der Altersgruppe der Drei- bis Vierjährigen so, die oft sehr schnell auf ein selbst gewähltes "mein neuer Papa" oder "meine andere Mama" übergehen.
In solchen Fällen empfehlen Experten, den Kindern niemals Begrifflichkeiten zu verbieten. Allerdings sollte man mit seinem Nachwuchs dann immer altersgerecht die Stellung der leiblichen Eltern deutlich machen. "Kinder dürfen keinesfalls dazu gezwungen werden, irgend eine Anrede verwenden zu müssen", kommentiert Jacob. "Vielleicht gibt es aber auch einen passenden Kosenamen für den jeweiligen Stiefelternteil, auf den sich alle einigen können."
Bei älteren Kindern ist die Tendenz eher umgekehrt. Ihnen fällt es öfter schwer, neue Lebenspartner der Eltern zu akzeptieren. Insofern definieren sie häufig deutlich, dass das hinzugekommene Familienmitglied für sie nicht Ersatzvater beziehungsweise -mutter ist. Entsprechend kommen sie dann auch nicht auf die Idee, denjenigen mit Mama oder Papa anzusprechen.
Die zentrale Stellung der Eltern
Für Psychotherapeutin Jacob sind die Herausforderungen, die eine Patchworkfamilie mit sich bringt, vergleichbar mit einem Mobile, dem weitere Familienteile hinzugefügt werden. Es dauere eben, bis diese Komponenten im Einklang mit dem ursprünglichen Beziehungsgefüge seien und eine Position gefunden haben, in der sie sich alle wieder harmonisch einpendeln.
Die leiblichen Eltern, so die Expertin, sollten in diesem Mobile jedoch stets eine zentrale Rolle einnehmen. Das sollte sich ebenso in der Anrede widerspiegeln. Die Orientierung werde dann für alle leichter.
"Ich rate eine solche Thematik offen anzusprechen. Je klarer diese Dinge zwischen den Erwachsenen behandelt werden, desto weniger Missverständnisse und Verletzungen passieren. Auch die Kinder können besser mit der Situation umgehen. Sie haben dann mehr Orientierung und Sicherheit, was den Umgang mit dem neuen Familienmitglied betrifft. Sie kommen weniger in Loyalitätskonflikte - wissen, dass sie je nach Konstellation weiterhin zu Mama beziehungsweise zu Papa stehen können und trotzdem den hinzugekommenen Partner eines Elternteils gleichermaßen als neuen wichtigen Menschen innerhalb des Familienmobiles mögen dürfen."