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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Verhaltensforschung Wie der Vater so der Sohn? Oder doch ganz die Mutter?
Kommt ein Baby auf die Welt, so sucht man sofort die Ähnlichkeiten mit bestimmten Familienmitgliedern. Gesichter werden verglichen, alte Babyfotos erden herausgekramt und jeder ist glücklich, wenn sich etwas findet. Vor allem die Väter. Gibt es ihnen doch ein wenig Sicherheit, dass sie nicht eines der zahlreichen Kuckuckskinder in ihrem Nest liegen haben. Dass sich bestimmte Körpermerkmale vererben, steht außer Zweifel. Doch wie sieht es mit der Vererbung von Verhalten? Es gibt Hinweise, aber sicher ist man sich in der Wissenschaft noch nicht.
Gene können verräterisch sein
Arnold Schwarzenegger wäre es nach seiner Affäre mit der Haushälterin sicher lieber gewesen, wenn Äußerlichkeiten nicht ganz so deutlich vererbt werden würden. Und auch Boris Becker hat gar nicht erst versucht, Anna den Tochterstatus abzusprechen. Denn nie war es deutlicher, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt. Dass Kinder häufig ihren Eltern ähneln, haben schon Philosophen wie Aristoteles zur Sprache gebracht. Ein Mönch namens Gregor Mendel experimentierte mit Erbsen, um die Mechanismen der Vererbung zu verstehen.
Manche angeborene Verhaltensweise sichert das Überleben
Doch nicht nur rote Haare, blaue Augen oder Hammerzehen sind angeboren, es gibt auch Verhaltensweisen bei Mensch und Tier, die eindeutig vererbt werden. Und zwar, weil sie der Spezies höhere Überlebenschancen sichern. Bestimmte Verhaltensweisen wie die Suche nach der Nahrungsquelle sind angeboren und müssen nicht erst mühsam erlernt werden.
Hat sich aber etwas von dem bewährt, was die vorhergehenden Generationen erlernt haben, dann wird auch das durch das Erbgut weitergegeben. Frei nach dem Motto "Survival of the fittest". In diesem Zusammenhang ist auch eine relativ neue Erkenntnis der Genforschung zu sehen, die besagt, dass zum Beispiel Ernährungsgewohnheiten Veränderungen in den Zellen hervorrufen können und diese dann wiederum vererbt werden. Was bedeuten würde, dass unser Lebensstil durchaus das Leben unserer Kinder und Enkel über das Erbgut beeinflussen könnte.
Manchmal sind die Gene aber auch noch gar nicht im Hier und Jetzt angekommen. Das beste Beispiel ist der Greifreflex des Säuglings, den dieser heutzutage sicher nicht mehr braucht. Denn es wird kaum mehr notwendig sein, sich im mütterlichen Haar festzukrallen - der aufrechten Haltung, Tragetüchern und dem Kinderwagen sei Dank.
Das eigene Wesen im Kind wiedererkennen
Eine Umfrage des Magazins "Focus" hat ergeben, dass 86 Prozent aller Eltern nach dem Ursprung von physischen und psychischen Merkmalen ihrer Kinder suchen. Human- und Verhaltensgenetiker hoffen, das Rätsel der Gene schon bald entwirren zu können und den Eltern damit Antworten zu liefern. Allerdings werden diesen nicht immer eindeutig ausfallen.
46 Chromosomen hat jeder gesunde Mensch, 23 vom Vater, 23 von der Mutter. Auf diesen 23 Chromosomenpaaren liegen rund 25.000 Gene, die Kombinationsmöglichkeiten sind also sehr hoch. Manche Gene sind dominant, andere rezessiv. Und ganz oft werden mal ein oder zwei Generationen übersprungen. Hat also ein Pärchen mit schwarzen Haaren ein hellhäutiges blondes Kind, so muss da keinesfalls der Postbote im Spiel gewesen sein. Hinzu kommt, dass man nur die wenigsten Merkmale auf ein einzelnes Genpaar zurückführen kann. Meist sind mehrere daran beteiligt und die Umwelt hat auch noch ein Wörtchen mitzureden.
Zwillinge als Forschungsobjekt
Den Forschern bleiben neben den Fruchtfliegen fast nur die Zwillinge, Adoptivfamilien und die Analyse von Familienstammbäumen, um sich ein Bild zu machen.
Vor allem die Zwillinge sind bei Forschern beliegt, ganz besonders, wenn sie getrennt voneinander aufgewachsen sind. Kann man so doch am besten zeigen, dass sich ähnliche Persönlichkeitsstrukturen, Vorlieben oder Mimik trotz unterschiedlicher Umwelteinflüsse entwickeln - ein Hinweis auf Vererbung. Doch selbst "identische Zwillinge mit identischen Genen haben niemals identische Gehirne", stellte der Neurobiologe Robert Sapolsky bereits 1997 im amerikanischen Wissenschaftsmagazin "Discover" fest. "Ein Gen, ein Stück DNA, produziert kein Verhalten, keine Emotion oder einen schnellen Gedanken. Es produziert ein Eiweiß. Gene regulieren nur, wie jedes Individuum auf die Umwelt reagiert."
Vererbt die Mutter die Intelligenz?
In letzter Zeit konzentriert sich die Wissenschaft mehr und mehr auf Erbanlagen, die Intelligenz und Persönlichkeit bestimmen. Wissenschaftler stöbern in der menschlichen DNA und entdecken dort mögliche Erbanlagen für Geselligkeit, Selbstbewusstsein, Temperament, Neugier und auch Hyperaktivität.
In diesem Zusammenhang haben Forscher immer wieder Entdeckungen gemacht, die schnell als spektakulär hingestellt wurden. Beispielsweise, dass die Intelligenz durch die Mutter vererbt werde, da sie auf einem X-Chromosom sitzte. Allerdings, so warnt der Professor für Mikrobiologie und Molekulare Genetik, Jonathan Beckwith, in einem Interview mit "Spiegel Online": "Vereinzelte Ergebnisse lassen sich nicht replizieren. Die Verhaltensgenetik des Menschen steckt da in einer großen Krise."
Die Umwelt spielt keine unbedeutende Rolle
Heute weiß man auch, dass die Veranlagung für Intelligenz und Kreativität zwar teilweise vererbt wird, hier aber mehrere Dutzend Gene im Spiel sind, beeinflusst durch unser Verhalten und unsere Umwelt.
Jon Beckwith gelang es als erstem Wissenschaftler im Jahr 1969 ein Gen zu isolieren und schon damals hatte er kein gutes Gefühl dabei. Auch heute kritisiert er immer wieder die Idee des "genetischen Determinismus", sozusagen der Vorbestimmtheit durch die Gene. Schließlich geht es nicht um die Frage nach "Vererbung oder Umwelteinfluss", sondern es geht darum, wie diese beiden Faktoren zusammenwirken. Denn das Zusammenspiel zwischen Erbgut und Umwelt ist noch viel komplexer als es selbst Wissenschaftler lange für möglich hielten.
Eltern als Ressourcenmanager
Robert Plomin, Professor am Institut für Psychiatrie am Londoner King’s College, beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit der Vererbung menschlicher Eigenschaften und er gilt als einer der renommiertesten Verhaltensgenetiker weltweit. Plomin ist sich sicher, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, Charisma und vor allem auch Intelligenz in gewisser Weise erblich sind. Eltern, so rät er, müssten dementsprechend verstehen und manchmal auch einsehen, dass die Stärken und Schwächen ihrer Kinder teilweise an genetischen Unterschieden liegen. Das Beste sei, sich als "Manager der Ressourcen" zu sehen.
Der Charakter eines Menschen ist etwas sehr persönliches
Es gab eine Zeit, da hat man alles den Eltern, dem von ihnen geschaffenen Umfeld und ihrer Erziehung zugeschrieben. Gern vor allem dann, wenn etwas schief lief. Heute tendiert man dazu, die Gene verantwortlich zu machen. Beide Seiten sind zu extrem. "Es gibt kein Ängstlichkeits-Gen, sondern manche Genkonstellationen können Veranlagungen für bestimmte Merkmale wie Ängstlichkeit bilden", erklärt Steven Hyman, Psychiater und Leiter der Elite-Universität Harvard. Auch er warnt davor, den Genen eine zu große Rolle zuzuweisen. Vor allem dann, wenn es um die Vererbung von Charaktereigenschaften geht. Hyman ist sich sicher, dass es nie gelingen wird, die Persönlichkeit eines Menschen genetisch zu erfassen. Plomin hingegen spricht davon, dass "der Effekt der Gene sehr groß ist, größer als wir alle vermuten, und zwar bei der Persönlichkeit und bei kognitiven Fähigkeiten."
Einziger Konsens zwischen allen sich damit beschäftigten Wissenschaftlern: Zu sehen ist derzeit sicher nur die Spitze des Eisbergs.