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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erziehung Wenn Kinder stehlen
Die Aufregung ist groß, wenn Eltern Gegenstände oder Geld entdecken, deren Herkunft ihre Kinder nicht erklären können. Schnell steht dann der Verdacht im Raum, der Nachwuchs hätte geklaut. Wenn ein Kind nur ein- oder zweimal "stibitzt", braucht man keine Angst haben, dass es später kriminell wird. Die meisten Kinder stehlen irgendwann einmal, am häufigsten um den Schuleintritt herum und während der Pubertät. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Begriff "Besitz" muss gelernt werden
In den ersten zwei Lebensjahren greift ein Kleinkind nach allem, was interessant erscheint. Mein und Dein kennt es noch nicht. Mit dem Gebrauch von eigenen Spielsachen entwickelt es dann eine Vorstellung von Besitz. Wenn es etwas Schönes sieht, möchte es den Gegenstand besitzen und nimmt ihn impulsartig an sich. In diesem Alter lernen die Kleinen bereits, dass sie einem anderen Kind Spielzeug nicht einfach wegnehmen dürfen, weil es sonst traurig wird. Dieses Verständnis gilt aber nur für einen Moment. Erst ab dem vierten und fünften Lebensjahr können Kinder mit der abstrakten Norm "Besitz" etwas anfangen und verinnerlichen sie. Spätestens im Grundschulalter sollten Eltern ihrem Nachwuchs deutlich machen, dass es Privateigentum gibt und dass man es nicht einfach wegnehmen darf.
Intellektueller Entwicklungsschritt
Auch wenn der Sprössling diese moralische Komponente begriffen hat, kann es trotzdem sein, dass er sich an fremdem Besitz vergreift. Doch deshalb gerät ein Kind nicht gleich auf die schiefe Bahn, beruhigt Diplompsychologe Andreas Engel besorgte Eltern. Gegenüber urbia.de sagt er: "Wenn ein Kind flunkert, klaut oder sich aus Höflichkeit verstellt, zeigt es damit, dass es einen wichtigen intellektuellen Entwicklungsschritt gemeistert hat." Der Experte wertet dieses Verhalten als intelligent: "Jemanden hinters Licht zu führen, selbst auf Nachfrage die Wahrheit leugnen und das Geheimnis bewahren, ist eine sehr differenzierte Leistung, die das Kind ab dem späten Kindergartenalter ausprobiert und bis zum zehnten Lebensjahr perfektioniert", so Engel. In den meisten Fällen geschehen Kinderdiebstähle in dieser entsprechenden Entwicklungsphase und gehen damit auch vorüber.
Diebstahl hat viele Beweggründe
Dennoch sollten Eltern das Verhalten des Sprösslings in dieser Phase nicht einfach abnicken und dulden. Der Experte rät, das Kind zuerst ruhig und deutlich darauf hinzuweisen, dass Stehlen falsch ist und dann über die Situation zu sprechen. Um die Handlungsweise des Nachwuchses zu verstehen, sei es wichtig zu klären, was er genommen hat, wem er es gestohlen hat und was er mit dem "Diebesgut" gemacht hat. Daran lassen sich oftmals schon die Gründe für den Diebstahl erkennen. Vielleicht klaut das Kind Dinge, die unter Gleichaltrigen als Statussymbol gelten oder um Freunden seinen Mut zu beweisen. Dahinter stecke, so Andreas Engel, in beiden Fällen der Wunsch dazuzugehören. Manchmal stehlen Kinder auch so auffällig, dass sie erwischt werden müssen. Hinter einem solchen Verhalten steckt möglicherweise Rebellionsverhalten gegen die Eltern oder das Betteln um mehr Aufmerksamkeit.
Diplompsychologe Engel kennt noch mehr emotionale Gründe, die Kinder zum Klauen verleiten: "Wenn ein neues Geschwisterkind auf die Welt kommt, fühlt sich das Erstgeborene oft zurückgesetzt und stiehlt zum Beispiel Süßigkeiten, um sich selbst etwas Gutes zu tun. Damit zeigt es: 'Mir stehen auch Liebe und Aufmerksamkeit zu' und kompensiert den Mangel." Auch wenn Kinder sich heimlich Geld aus dem Portemonnaie der Eltern nehmen, gehe es selten um materielle Bedürfnisse sondern um die Sehnsucht nach Zuwendung, so Andreas Engel: "Geld und Waren stehen in unserer Gesellschaft für das Gefühl versorgt zu sein und Aufmerksamkeit zu bekommen."
Sensibler Umgang mit dem "Langfinger"
Ist ein Kind erstmal "erwischt" worden, sollte man zuerst behutsam mit dem Langfinger sprechen und gemeinsam das Problem besprechen, das hinter der Tat steckt. Das Klauen selbst wird dabei zur Nebensache. Dennoch sollte das Ganze Konsequenzen haben. Unkommentierte Strafen und Schimpfen sind dabei jedoch weniger sinnvoll, so der Diplompsychologe Engel: "Zeigen Sie Ihrem Kind eine konkrete Möglichkeit, seine Tat wieder gutzumachen und begleiten Sie es dabei. Es sollte die geklaute Sache zurückgeben oder ersetzen und sich entschuldigen." Eine solche "Gegenüberstellung" mit dem Bestohlenen hat oft den positiven Effekt , dass das Kind sich schämt und so zur Gewissenbildung beigetragen wird. Diese "moralische Schulung" ist wahrscheinlich wesentlich heilsamer als eine simple Bestrafung des Kindes.