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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Anspruch auf Stillpause So können Mütter Stillen und Arbeiten vereinbaren
Vollzeit arbeiten und dennoch regelmäßig stillen? Das erscheint vielen Müttern wie die Quadratur des Kreises. Doch berufstätig zu sein und seinem Baby die Brust zu geben, muss sich nicht ausschließen. Der Gesetzgeber hat dafür sogar eine rechtliche Grundlage geschaffen.
Das Recht auf Stillen während der Arbeit ist im Paragraf 7 des Mutterschutzgesetzes geregelt. Demnach hat eine "stillende Frau auf ihr Verlangen während der ersten zwölf Monate nach der Entbindung für die zum Stillen erforderliche Zeit freizustellen, mindestens aber zweimal täglich für eine halbe Stunde oder einmal täglich für eine Stunde".
Wenn eine Mutter mehr als acht Stunden am Stück arbeitet, kann sie sogar zwei Mal für die Mahlzeiten des Babys eine Arbeitsunterbrechung von 45 Minuten einfordern oder die Stillpause 90 Minuten am Stück nehmen.
Alternativ darf die Mutter in diesen Zeitfenstern auch Milch abpumpen, wenn das Kind nicht bei ihr sein kann. Finanzielle Einbußen soll es durch den Arbeitsausfall nicht geben. Auch die anderen gesetzlichen Pausen dürfen nicht mit den Trinkzeiten des Babys verrechnet werden.
Organisation ist alles
Soweit der theoretische Rahmen. Die praktische Umsetzung ist jedoch kein Kinderspiel. Da braucht man vor allem Organisationstalent, so die Erfahrung von Marlene. Die 32-Jährige arbeitet in einer kleinen Marketingagentur und ist alleinerziehend. "Ich musste so schnell wie möglich wieder Geld verdienen und bin schon drei Monate nach der Geburt meiner Tochter wieder ins Büro gegangen, wollte aber trotzdem unbedingt weiter stillen", sagt sie. "Dieser Spagat klappte allerdings nur mit Hilfe meiner Mutter. Sie hat mir meine Kleine regelmäßig gebracht. Zum Glück wohnen wir nicht weit weg. Manchmal ist meine Tochter aber auch noch da geblieben, schlief neben meinem Schreibtisch im Kinderwagen. Das war für alle okay, auch für meinen Chef."
Stillen im Job gelingt am besten mit Unterstützung Dritter. "Da ist schon einige Logistik und einiger Aufwand nötig. Doch wir ermutigen Mütter immer, bei der Rückkehr in den Beruf trotzdem unbedingt weiter zu stillen", erklärt Aleyd von Gartzen, die beim Deutschen Hebammenverband den Bereich Stillen und Ernährung betreut.
"Abstillen wäre für das Kind in dieser Situation eine doppelte Belastung. Dann wäre plötzlich nicht nur Mama jeden Tag weg, sondern auch die Brust, die ja nicht nur Nahrungsquelle ist, sondern zugleich größte körperliche Nähe bedeutet."
Stillen und Arbeiten: Broschüre des Hebammenverbands enthält Tipps
Um Arbeit und Babys Ernährung erfolgreich unter einen Hut zu bekommen, sollten Mütter gut vorbereitet sein. Da hilft es, Rücksprache mit der Hebamme des Vertrauens zu halten. Viele wertvolle Tipps enthält die Broschüre "Stillen und Beruf", die der Hebammenverband herausgegeben hat.
Darin wird unter anderem empfohlen, bereits in der Schwangerschaft mit dem Arbeitgeber über die Still-Wünsche zu sprechen und sich darüber zu informieren, ob in der Firma ein vom Gesetz vorgeschriebener abgeschlossener und hygienisch einwandfreier Raum vorhanden ist. Dort sollten Mütter in stillfreundlicher Atmosphäre ihr Baby füttern oder Milch abpumpen können.
Familie und Freunde müssen mithelfen
Zudem ist es wichtig, sich rechtzeitig um Unterstützung zu kümmern. Ohne Hilfe von Familienmitgliedern, Freunden oder einer Tagesmutter geht es in den meisten Fällen nicht: Jemand muss das Baby zu den Trinkzeiten zu Mama bringen, oder umgekehrt dem Baby die Muttermilch-Fläschchen anliefern.
Alternativ können Frauen abgepumpte Milch in einem Kühlschrank lagern, mit nach Hause nehmen und einfrieren. Das Baby bekommt dann von der Tagesmutter seine Milch aus dem Tiefkühlvorrat jeweils im Fläschchen aufgewärmt.
Eine andere Möglichkeit ist, dass das Baby zeitweise am Arbeitsplatz bleibt. Das geht am besten bei Bürotätigkeiten und setzt voraus, dass die Kleinen noch nicht allzu mobil sind, noch viel schlafen und nicht die gesamte Belegschaft aufmischen. Wenn Wohnung und Arbeitsstelle nah beieinander liegen, kann das Stillen auch in die eigenen vier Wände verlegt werden – nach Absprache mit den Vorgesetzten.
Babys Trainingsprogramm: Muttermilch aus dem Fläschchen trinken
Wichtig ist, dass das Baby früh daran gewöhnt wird, die Muttermilch auch aus dem Fläschchen zu akzeptieren. Das sollten Eltern mit ihrem Säugling früh genug üben, bevor der erste Arbeitstag wieder ansteht.
Um nach der Babypause das Beschäftigungsverhältnis wieder aufzunehmen, eignet sich als Termin eher nicht der Wochenanfang. "Starten Sie in der Wochenmitte", heißt es in der Broschüre. "Mittwochs liegt weniger Stress in der Luft als montags." Weiter wird Müttern geraten, im Büro stets auf stillfreundliche Kleidung zu achten und auch entsprechenden Ersatz mitzubringen, falls Blusen oder Pullis durch Milch fleckig werden.
Expertin: Mütter stillen zu früh ab
Wie viele Frauen in Deutschland ihr Recht auf Stillzeit am Arbeitsplatz wahrnehmen, lässt sich nur schwer bemessen. Hebamme von Gartzen schätzt, dass es eine überschaubare Anzahl ist. "Mein Eindruck ist, dass die Option 'Stillen am Arbeitsplatz' eher für freiberufliche Frauen relevant ist. Sie beenden nämlich häufiger bereits nach wenigen Monaten ihre Elternzeit."
Ein Großteil der fest angestellten Mütter kehrt erst nach einem Jahr an den Arbeitsplatz zurück. "Dann stillen die meisten ohnehin nicht mehr, da es in Deutschland bedauerlicherweise zur Stillkultur gehört, die Kinder bereits nach sechs Monaten von der Brust zu entwöhnen", sagt von Gartzen.
Dabei sei Muttermilch erwiesenermaßen die gesündeste Ernährung für Babys und Kleinkinder. Aus diesem Grund empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO), Kinder auch nach der Einführung fester Nahrung möglichst weiter zu stillen, bis zum Alter von zwei Jahren beziehungsweise so lange, wie Mutter und Kind dies wünschen.
Vorzeigeunternehmen: Berliner Verkehrsbetriebe
Als großer Arbeitgeber mit rund 13.000 Mitarbeitern bemühen sich besonders vorbildlich die Berliner Verkehrsbetriebe um Business-Mütter. Stillen am Arbeitsplatz ist hier ausdrücklich erwünscht.
So wurden ein spezielles Eltern-Kind-Büro sowie Ruheräume eingerichtet, wohin sich Mitarbeiterinnen mit ihren Säuglingen zu den Trinkzeiten zurückziehen können. Zudem bietet das Unternehmen flexible Arbeitszeitmodelle genauso wie einen verlängerten Mutterschutz an.
Vorteile für alle: Gesunde Babys, motivierte Mütter und zufriedene Arbeitgeber
Profitieren können von diesem Engagement nicht nur junge Mütter und ihre Kinder. Auch der Arbeitgeber hat Vorteile. So müssen Frauen, deren Babys Muttermilch bekommen, seltener zuhause bleiben, weil ihr Kind krank ist. Das bedeutet weniger Fehltage, weniger Arztbesuche und weniger Krankenhausaufenthalte.
Angestellte, die nicht stillen, haben doppelt so viele Fehltage wie diejenigen, die stillen, heißt es in der Broschüre des Hebammenverbandes.
Außerdem ergaben andere Untersuchungen, dass 83 bis 94 Prozent der Angestellten in stillfreundlichen Betrieben früher an den Arbeitsplatz zurückkehren. Auch die Arbeitszufriedenheit und Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber ist größer, wenn Stillen am Arbeitsplatz unterstützt wird.