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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sieben Tipps Gegen Angst hilft Wissen - das Geheimnis zufriedener Babys
Das Kind schreit wie am Spieß. Nichts läuft so, wie man es sich vorgestellt hat – so geht es vielen Eltern beim ersten Kind. Wo ist die Gebrauchsanweisung?
t-online.de: Frau Imlau, braucht der Markt wirklich noch einen weiteren Babyratgeber? Oder anders gefragt: Was ist an Ihrem Buch anders als an anderen?
Imlau: Ja, es gibt unglaublich viele Ratgeber zu diesem Thema. Aber all diese Ratgeber gehen davon aus, dass Eltern Handlungsanweisungen brauchen. Ich dagegen habe den ersten bedürfnisorientierten Babyratgeber geschrieben. Und es war auch höchste Zeit, einmal diesen Ansatz zu wählen. Denn der Experte für sein Baby ist jeder selbst. Ich kann Eltern nur ermutigen, ihren eigenen Weg zu gehen und ihnen dabei helfen, die Signale ihres Babys zu verstehen.
Im Vorwort zu Ihrem Buch rät ein bekannter Kinderarzt Eltern zu einem Perspektivenwechsel.
Imlau: Die allermeisten Babybücher sind davon geprägt, den auf die Welt kommenden Säugling als defizitäres Wesen zu betrachten. Und von der Frage: Wie bekommen wir das Kind dazu, all das zu lernen, was es lernen muss? Dabei bin ich überzeugt davon, dass Babys nicht unfertige Erwachsene sind, sondern perfekte Kinder, deren Bedürfnisse es zu erkennen gilt.
Betrachtet man die Menschheitsgeschichte, dann ist klar, dass Babys die meiste Zeit extrem gefährdet waren. Die Überlebenschancen der Kleinsten waren nur dann gut, wenn sie ihr Verhalten, dem Motto der Evolution folgend, anpassten. Wenn sie Strategien entwickelten, um bestmöglich geschützt zu sein. Dazu gehört, dass Babys und kleine Kinder intuitiv die Nähe von Erwachsenen suchen, Tag und Nacht. Dass sie sich am sichersten fühlen, wenn sie getragen werden, gestillt werden, Blickkontakt halten können, auch nachts die Nähe der Eltern spüren und wissen, dass sie sicher und geborgen sind.
Nur das bot für lange Zeit die größten Überlebenschancen. Denn die Zeit, in der kleine Kinder sicher in einem Kinderzimmer schlafen können, ohne Säbelzahntiger oder die Gefahr zu erfrieren, ist ein Wimpernschlag in der menschlichen Entwicklung. Woher soll das Kind wissen, dass es in einem Gitterbett sicher ist? Es fühlt sich alleingelassen, und wenn es weint, dann ist das kein Trotz, sondern echte Angst und letztendlich eine kluge Überlebensstrategie.
Ihr Buch verrät sieben Geheimnisse, die man mehr oder weniger stark miteinander verknüpfen kann:
- liebevoll begrüßen
- Mamas gute Milch
- gemeinsam gut schlafen
- Babys verstehen
- ins Leben tragen
- liebevoll betreuen
- zufriedene Eltern
Diese Tipps sollen die Bindung stärken. Was verstehen Sie unter "Bindung"?
Imlau: Viele Eltern stellen sich Bindung tatsächlich wie einen Klebstoff vor, der Eltern und Kinder aneinander kettet und diese Vorstellung halte ich auch für zu statisch. Bindung ist eher wie ein Generationenvertrag, wie eine Lebensversicherung. Die Bindung eines Kindes zu seinen Eltern führt zu Versorgung, Sicherheit und einer sehr engen Beziehung, die schrittweise zu immer mehr Freiheit führt. Erziehung zu echter Selbstständigkeit wurzelt in Vertrauen und darin, als Kind einen sicheren Hafen kennengelernt zu haben, zu dem man auch mal zurückkehren kann.
Doch nicht nur die Bindung zu den Eltern ist wichtig, ein Kind muss auch Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen dürfen. Im Moment beobachte ich eine Richtung in unserer Gesellschaft, die mir nicht gefällt. Immer öfter hört man, wer sorgsam mit seinen Kindern umgehen will, der gibt sie nicht aus der Hand, denn Kitas und Tagesmütter seien mit liebevoller Betreuung nicht zu vereinbaren. Dabei wird völlig zu Unrecht ein wahnsinniger Druck aufgebaut. Mütter bekommen so das Gefühl, alles alleine machen zu müssen - und das ist nicht im Sinne der Evolution. Wir sind eine kooperativ aufziehende Art. Wir sind dazu gemacht, unsere Kinder im Verband großzuziehen. Umso wichtiger ist es heute, sich ein unterstützendes Umfeld zu suchen.
Täuscht das oder stehen Eltern heute grundsätzlich mehr unter Druck als früher?
Imlau: Nein, das ist tatsächlich so. Deswegen versuche ich auch in meinem Buch ganz stark, genau diesen Druck von den Eltern zu nehmen. Dabei ist das Wichtigste: Kein Kind braucht perfekte Eltern, kein Kind will perfekte Eltern. Sie wären eine Katastrophe. Denn Fehler sind urmenschlich und wer will schon von einem gottgleichen Wesen großgezogen werden? Schließlich müssen Kinder auch von ihren Eltern lernen dürfen, dass es okay ist, nicht perfekt zu sein, Fehler zu machen und aus diesen zu lernen.
Sie schreiben "das Gesicht eines Babys ist der Spiegel seiner Seele" - ein offenes Buch sozusagen. Allerdings dauert es eine Weile, bis man "lesen" lernt, bis man die Signale versteht.
Imlau: Ja ganz klar, eigentlich sind wir Menschen darauf gepolt, das Muttersein, das Umgehen mit kleinen Kindern zu lernen, bevor wir eigene Kinder haben. Heute aber bekommen viele Paare ein Baby, ohne je vorher eines im Arm gehalten zu haben. Umso wichtiger ist es, sich bewusst zu machen, dass Babys angeborene Bedürfnisse haben und diese auch mal lautstark artikulieren. Niemand hat die Fähigkeit, genau zu wissen, was ein Neugeborenes braucht.
Aber eines ist sicher: Wenn es weint, dann hat es einen Grund. Es hat Hunger, braucht Nähe, ist müde - aber vor allem will es niemanden ärgern oder provozieren und auch nicht seine Lungen stärken. Ein Weinen ist ein Signal für ein Bedürfnis und nicht einfach nur Gebrüll. Wenn man sich dessen bewusst ist, dann ist das schon ein ganz entscheidender Schritt auf dem Weg zum zufriedenen Baby.
Oft wird Müttern geraten, auf ihr Bauchgefühl zu hören. Was kann man Ihrer Ansicht nach tun, um den inneren Kompass zu justieren?
Imlau: Ich glaube, es hilft schon, wenn zum Bauch der Kopf dazu kommt und man sich ganz sachlich klar macht: Wie ticken unsere Babys? Warum wacht der kleine Mensch nachts zehnmal auf und vergewissert sich, dass alles in Ordnung ist? Ein Bedürfnis, das Sinn macht vor dem Hintergrund unserer Geschichte. Wenn das im Kopf angekommen ist, dann ist es auch so, dass man seinem Gefühl besser trauen kann.
Man sagt ja, der schlimmste Feind für das Bauchgefühl einer Mutter ist eine andere Mutter. Kennen Sie einen Trick, sich zu schützen?
Imlau: Ich halte es für absolut legitim, auch mal zu sagen, ich will das jetzt nicht hören! Gerade für junge Mütter ist es wichtig, sich abzugrenzen. Und auch mal zu sagen: Du meinst es gut, das weiß ich, aber ich muss jetzt ein bisschen Abstand haben und in mich spüren, wie ich das mit meinem Baby machen möchte. Dabei hilft es auch, sich und dem Kind zu sagen: Die Geschichten anderer sind nicht unsere Geschichte, das bist nicht du, das bin nicht ich. Auch wenn es nicht immer einfach ist: Man sollte versuchen, bei sich zu bleiben. Und gegen die Angst hilft Wissen.
Erhoffen Sie sich, dass sich mehr Eltern nach der Lektüre Ihres Buches erlauben, ursprünglichen Impulsen nachzugeben? Schließlich können sie jetzt ja begründet werden.
Imlau: Ja, schon. Ich möchte den Leuten helfen, die Hintergründe zu verstehen. Zu verstehen, warum ein Kind gar nicht alleine schlafen will. Und sich dann zu erlauben, der eigenen Intuition auch nachzugeben. Meiner Ansicht nach ist die Babyzeit oft überschattet. Dabei könnte jeder die sieben Geheimnisse umsetzen. Sie kosten nichts und sind auch kein Erziehungsprogramm für die Oberschicht. Stattdessen sind sie eine Strategie, wie Menschen rund um den Erdball erfolgreich mit ihren Kindern umgehen.