Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutsche Speicher Dann geht das Gas im Februar aus
Anders als vor einem Jahr ist Deutschland gut auf die kalte Jahreszeit vorbereitet. Die Gasspeicher sind voll. Trotzdem könnte es im Winter im Extremfall zu Engpässen kommen.
Die Energiepreisbremse wird zum neuen Jahr enden. Sorgen müsse man sich deshalb allerdings nicht, versicherte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Dienstag in seiner Regierungserklärung im Bundestag: Die deutschen Gasspeicher seien im Gegensatz zum vergangenen Jahr sehr gut gefüllt, große Preissprünge seien daher unwahrscheinlich. "Sollten die Preise für Energie dennoch erneut unerwartet dramatisch steigen, sind wir jederzeit in der Lage, kurzfristig zu handeln", betonte er.
Wie das konkret aussehen würde, sagte der Kanzler nicht. Doch tatsächlich ist das Land auf die kommenden kalten Monate deutlich besser vorbereitet als noch vor dem Winter 2022. Deutschland war bis dahin vor allem auf Gaslieferungen aus Russland angewiesen. Nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 hatte der russische Energiekonzern Gazprom zuerst seine Lieferungen gedrosselt, ehe sie Anfang September gänzlich eingestellt wurden.
Zu früh für vollständige Entwarnung
Mittlerweile konnte sich Deutschland allerdings aus der Abhängigkeit lösen: Andere Länder haben die Gaslieferungen aus Russland teilweise kompensiert. Zudem kann Deutschland heute über drei LNG-Terminals Flüssiggas einspeisen, Anfang 2024 sollen drei weitere ans Netz gehen.
Können wir also alle wieder sorgenfrei die Heizung aufdrehen? So einfach ist es nicht. Zu diesem Schluss kam die Bundesnetzagentur in einer Analyse Anfang November: Für eine vollständige Entwarnung sei es allerdings zu früh, warnt die Behörde.
Die Agentur, eine untergeordnete Behörde des Wirtschafts- und Klimaministeriums von Robert Habeck, hat Anfang November mehrere Modellrechnungen veröffentlicht. Konkret ging es dabei um Szenarien zu den deutschen Gasvorräten von November bis Ende März im kommenden Jahr. Kalkuliert wurde dabei mit einem anfänglichen Füllstand der deutschen Gasspeicher von 95 Prozent. Derzeit sind die Speicher zu mehr als 99 Prozent gefüllt, an der Prognose ändere sich dadurch allerdings nichts, schreibt die Agentur.
Embed
Sechs Szenarien
Beim Verbrauch kalkulierte die Behörde mit den Zahlen aus den Jahren 2018 bis 2021, bei den Temperaturen dagegen mit denen des Jahres 2012, "in dem es kleinere Kältephasen im Dezember und eine intensive Kältephase im Februar gab".
Im Ergebnis skizzierte sie dabei folgende Szenarien:
1. Sollte bei den genannten Temperaturen die Bevölkerung rund 10 Prozent ihres gewöhnlichen Verbrauchs beim Heizen einsparen, wären die Gasspeicher zum Ende des Winters noch zu 52 Prozent gefüllt. Im vergangenen Winter wurden rund 14 Prozent weniger verbraucht. Das bedeutet: keine Mangellage.
2. Sollte die Bevölkerung keine Einsparungen beim Heizen vornehmen, würde das ebenfalls keine Mangellage hervorrufen, am Ende des Winters wären die Speicher dann aber nur noch zu 33 Prozent gefüllt.
3. Bei Einsparungen von 10 Prozent (wie in Szenario 1) und höheren Exporte in andere Staaten würde es vermutlich auch keine Mangellage geben. Die Bundesnetzagentur kalkulierte dabei mit dem Ausfall der Ukraine-Route: Gemeint sind damit die Pipelines, die nach wie vor aus Russland über die Ukraine Gas nach Europa transportieren. Sollten diese ebenfalls ausfallen, müsste Deutschland mehr Gas an andere Länder exportieren. In dem Fall würde der deutsche Speicherstand nach dem Winter 23 Prozent betragen.
4. Sollte zu dem genannten Ausfall der Ukraine-Route auch noch der Gasimport nach Deutschland zurückgehen, würde der Speicherstand noch weiter schrumpfen, auf 17 Prozent. Allerdings geht die Behörde in diesem Fall ebenfalls von keiner Gasmangellage aus. Zum Vergleich: Anfang April lag der Speicherstand in diesem Jahr bei rund 27 Prozent.
5. Kritisch wird es dagegen, wenn Deutschland bei Heizen nicht moderat spart (10 Prozent) und es gleichzeitig zu der oben genannten Versorgungslücke kommt. Anfang Februar würde dann eine Gasmangellage herrschen. Der gleichzeitige nationale Verbrauch und die gesteigerten Exporte würden dazu führen, dass der Bedarf nicht mehr gedeckt werden könnte und die Speicher Ende März mit einem Füllstand von 5 Prozent fast leer wären.
6. Noch drastischer wäre ein gleichzeitiger Rückgang bei den Importen. Sollten diese ebenfalls zurückgehen, würden die Speicherstände Ende März bei 2 Prozent liegen. Auch in diesem Fall spricht die Behörde von einer Gasmangellage ab Anfang Februar.
"Würde den Gasverbrauch stark ansteigen lassen"
Allerdings sind alle genannten Szenarien mit Vorsicht zu genießen, vor allem wegen zwei Faktoren: Die beiden Worst-Case-Szenarien ließen sich etwa dadurch ausgleichen, dass die LNG-Terminals ihre Auslastung hochfahren. Das Modell kalkulierte für den Winter lediglich damit, dass die Terminals 50 Prozent ihrer Leistung abrufen. Sollten sie auf 90 Prozent hochfahren, könnten die Mangellagen verhindert werden: In dem Fall rechnet die Bundesnetzagentur nämlich mit Speicherständen von 14 Prozent am Ende des Winters.
Noch wichtiger als die Performance beim Flüssiggas ist jedoch ein Faktor, der sich so gut wie gar nicht einkalkulieren lässt: das Wetter. "Ein sehr kalter Winter würde den Gasverbrauch stark ansteigen lassen", sagte Netzagentur-Chef Klaus Müller. Für die Szenarien wurde mit den Wintermonaten des Jahres 2012 kalkuliert: Dabei war der Januar vergleichsweise mild, Anfang Februar kam es dagegen zu einer kurzen extremen Kältephase, bei der die Temperaturen stellenweise mehr als 20 Grad unter dem Gefrierpunkt lagen. Im Dezember gab es ebenfalls eine kürzere Kältephase, während es zu Weihnachten ungewöhnlich warm war.
In jedem Fall war es trotz teils extremer Temperaturen nicht zu einer längeren Kältephase über mehrere Wochen oder gar Monate gekommen. Die Netzagentur hat auch für den aktuellen Winter Prognosen aufgestellt, wie das Wetter den Gasverbrauch beeinflussen könnte. Angesichts der aktuellen Temperaturen stuft sie die Lage als kritisch ein: Bleiben die Temperaturen über den gesamten Winter ähnlich tief, würde das zu einem Mehrverbrauch von rund 18 Prozent der gesamten Speicherkapazität führen.
Dadurch wäre Deutschland entweder auf größere Einsparungen oder mehr Gasimporte angewiesen. Entwarnung gab der Deutsche Wetterdienst (DWD) zuletzt nicht: "Es deutet sich auch weiterhin an, dass es sich bei der aktuellen Witterungsphase um eine längere winterliche Episode handelt", sagte Meteorologe Felix Dietzsch am Sonntag.
- bundesnetzagentur.de: "Gas-Winterszenarien 2023/2024"
- bundesnetzagentur.de: "Bundesnetzagentur schreibt Gasszenarien für den Winter fort"
- bundesnetzagentur.de: "Aktuelle Bewertung des Indikators Temperaturprognose: Die Lage ist kritisch"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- dvgw.de: "Füllstände der Gasspeicher für Deutschland"
- wetter24.de: "Winterrückblick 2011/12"
- wetterdienst.de: "Deutschlandwetter im Winter 2012/13"