Streit um strahlenden Müll Regierung: Schweiz soll deutsche Orte nahe Atomendlager entschädigen
Der geplante Standort für das Schweizer Atommüllendlager nahe Baden-Württemberg ist umstritten. Betroffene Regionen sollen kompensiert werden.
Der nahe Baden-Württemberg geplante Standort für das Schweizer Atommüllendlager sorgt für Diskussionsstoff zwischen Deutschland und dem südlichen Nachbarn. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte in Berlin, seine Regierung werde die Standortentscheidung "mit der Schweizer Regierung zu besprechen haben".
Vizeregierungssprecherin Christiane Hoffmann sagte, die Bundesregierung habe die schweizerische Entscheidung "zur Kenntnis genommen" und werde sie nun prüfen. Bislang habe es eine "gute Einbindung der deutschen Seite in den Auswahlprozess" gegeben, und die Bundesregierung hoffe, "dass dies auch fortgesetzt wird", sagte Hoffmann.
Die grenznahe Anlage werde jedoch "auch die Gemeinden auf deutscher Seite stark belasten", sagte ein Sprecher des Bundesumweltministeriums am Montag in Berlin. Es gebe bereits Gespräche mit der Schweiz über "Ausgleichszahlungen für die regionale Entwicklung". Die Schweiz habe Bereitschaft zu solchen Zahlungen signalisiert.
Ausgleichszahlungen für umliegende Gemeinden
Mögliche Kompensationszahlungen für die umliegenden Gemeinden bestätigte auch Monika Stauffer, die Leiterin der Sektion Radioaktive Abfälle beim Bundesamt für Energie. "Die Abgeltungsverhandlungen werden herausfordernd sein", sagte sie. Wer wie viel Geld bekomme, müsse ausgehandelt werden. In einem unverbindlichen Kostenszenario waren dafür einmal 800 Millionen Franken (822 Millionen Euro) vorgesehen. Dass über Ausgleichszahlungen, auch für die stark belasteten deutschen Gemeinden, gesprochen werde, bestätigte auch der Sprecher des deutschen Umweltministeriums am Montag.
Das Ensi hat als Rahmenbedingung für das Endlager festgelegt, dass die Strahlung höchstens 0,1 Millisievert im Jahr betragen darf, sagte der Leiter des Aufsichtsbereichs Entsorgung, Felix Altorfer. Bei dem geplanten Lager rechne das Ensi nach den bisher vorliegenden Daten aber nur mit höchstens 0,001 Millisievert Strahlung. Im deutschen Strahlenschutzgesetz ist der Grenzwert für die effektive Dosis zum Schutz von Einzelpersonen auf 1 Millisievert im Jahr festgelegt.
Die Schweizer Kernkraftwerkbetreiber haben die Kosten für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle im vergangenen Jahr auf 18,2 Milliarden Franken geschätzt. Sie zahlen bereits in einen Fonds, um die Kosten zu decken.
Laut Schweizer Experten der sicherste Ort
Nach Überzeugung von Schweizer Experten gibt es keinen sichereren Ort für radioaktiven Abfall: Die Region Nördlich Lägern unweit der deutschen Gemeinde Hohentengen sei aus rein geologischen Gründen die beste Wahl unter den drei geprüften Standorten, sagte Matthias Braun, Chef der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra), am Montag in Bern. "Es ist ein eindeutiger Entscheid. Die Geologie hat gesprochen." Die wichtigsten Fakten zum Standort lesen Sie hier.
Die nötige Gesteinsschicht von Opalinuston liege dort am tiefsten unter der Erdoberfläche, die Schicht sei am dicksten und der mögliche Bereich für das geplante Endlager am größten. In Nördlich Lägern seien in der Gesteinsschicht Spuren des ältesten Wassers gefunden worden: 175 Millionen Jahre alt. Das gebe ihm Vertrauen, auf lange Sicht Prognosen zu machen, sagte Braun. "Das Gestein ist sehr dicht, bindet radioaktive Materialien wie ein Magnet, und sollte es doch einmal brechen, heilt es sich von selber wieder."
Die Verpackungsstation für die Brennelemente soll am jetzigen Zwischenlager Würenlingen unweit des deutschen Waldshut-Tiengen entstehen, weil dort bereits Bauten vorhanden sind. Sie müssten nur erweitert werden. Verpackt werden sollen dort die etwa 3,5 bis 4,5 Meter langen und rund zwei Kilogramm schweren Brennstäbe mit einem Durchmesser von gut einem Zentimeter. Etwa 100 bis knapp 300 Brennstäbe sind mit Abstandshaltern zu jeweils einem Brennelement gebündelt.
Baubeginn frühstestens 2031
Das Bundesamt für Energie und das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) wollen die Vorschläge der Nagra im Bewilligungsverfahren prüfen. In der Expertengruppe geologische Tiefenlager des Ensi sind neben vier Schweizern auch vier deutsche Professoren vertreten. In dem Lager sollen die radioaktiven Abfälle aus Atomkraftwerken, Industrie und Forschung in Hunderten Metern Tiefe eingebettet werden. Über die Bewilligung sei noch nicht entschieden, betonte das Bundesamt. Im günstigsten Fall könnte mit den Bauten 2031 begonnen werden, mit der Einlagerung 2050.
Die deutschen Gemeinden reagierten mit Skepsis auf die Entscheidungen. Sie wollen genau prüfen, ob die Begründungen der Nagra plausibel sind, zumal der Standort Nördlich Lägern 2015 als zweite Wahl zurückgestellt worden war. Nach Angaben von Braun waren dafür damals Unsicherheitsfaktoren ausschlaggebend, weil die Opalinuston-Schicht dort so tief liege. Weitere Prüfungen hätten sie aber eines Besseren belehrt: "Es hat sich herausgestellt, dass die Festigkeit des Gesteins etwa doppelt so gut ist wie das damals im vorsichtigen Szenario bewertet wurde", sagte er.
Die Frage, ob in das Endlager so nah an der deutschen Grenze nicht auch die deutschen radioaktiven Abfälle entsorgt werden könnten, beantworten die Schweizer mit einem klaren Nein. "Es ist ein anerkanntes Prinzip, dass jedes Land seine eigenen Abfälle bei sich selber entsorgen muss", sagte Roman Mayer, Vizedirektor des Bundesamts für Energie. Auch ein Sprecher des deutschen Bundesumweltministeriums erklärte am Montag, dass Deutschland seinen hochradioaktiven Atommüll in einem eigenen Endlager entsorgen werde. "Deutschland hat sich entschieden, für seinen Atommüll ein eigenes Endlager zu konstruieren und nicht mit europäischen Partnern gemeinsam. Wir sind für unseren Müll verantwortlich", stellte der Sprecher klar.
- Nachrichtenagentur dpa