Klimaforscher Ottmar Edenhofer "Da ist die Regierung den Bürgern eine Ansage schuldig"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die EU geht bei Klimamaßnahmen voran. Zum eigenen Nachteil? Nein, sagt Ökonom Ottmar Edenhofer. Er sieht positive Zeichen aus dem Globalen Süden.
Migration, Schuldenbremse, die Ukraine: Der Kampf gegen die Klimakrise ist auf der politischen Agenda derzeit nicht auf den vorderen Plätzen. Trotzdem werden diverse Maßnahmen vorbereitet und eingeführt.
So etwa Klimazölle auf Produkte außerhalb der Europäischen Union – sofern die Länder keinen Emissionshandel betreiben. Außerdem steigt der CO2-Preis in den nächsten Jahren innerhalb der EU an. Vielversprechende Maßnahmen, sagt Klimaforscher und Ökonom Ottmar Edenhofer. Er sieht keinen Wettbewerbsnachteil für die hiesige Wirtschaft.
Denn auch China, Indien und andere Länder des Globalen Südens führen Maßnahmen ein. China baute im vergangenen zudem fast doppelt so viel Wind- und Solarkraftkapazitäten neu auf wie der gesamte Rest der Welt.
Für die Bürger dürften durch die Maßnahmen der EU aber Öl, Gas und Kohle teurer werden. Warum das richtig ist, wie die Politik die Kostensteigerung abfedern kann und warum uns Klimaschäden auf anderen Kontinenten nicht egal sein sollten, erklärt Edenhofer im t-online-Interview.
t-online: Herr Edenhofer, es wird oft kritisiert, Länder mit hohen CO2-Emissionen wie Indien oder China würden bei Klimamaßnahmen nicht mitziehen. Deshalb sei das, was die EU und Deutschland tun, wirkungslos und verzerre den wirtschaftlichen Wettbewerb. Stimmt das?
Ottmar Edenhofer: Natürlich können die EU und Deutschland allein die 1,5-Grad-Grenze nicht einhalten und garantieren. Dafür ist der Anteil Europas an den globalen Emissionen zu gering. Deswegen muss die EU sich auch dafür einsetzen, globale Kooperationen zu vertiefen und zu erweitern. Und genau diesen Weg geht Europa. Dabei gibt es zwei Maßnahmen, die mir besonders vielversprechend erscheinen.
Welche sind das?
Die erste Maßnahme sind die von der EU eingeführten Klimazölle, das sogenannte CO2-Grenzausgleichssystem CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism). Wer in der EU kohlenstoffintensive Produkte wie Eisen oder Stahl einführen will, muss darauf eine Abgabe zahlen, sofern im eigenen Land kein CO2-Preis erhoben wird. Damit will die EU die Wettbewerbsfähigkeit sichern. Man kann die Ausgestaltung des CBAM aus technischen Gründen kritisieren, aber sie hat schon politische Wirkung gezeigt.
Zur Person
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer (63) ist Direktor und Chef-Ökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Außerdem ist er Professor für die Ökonomie und Politik des Klimawandels an der Technischen Universität Berlin. Von 2008 bis 2015 war er Ko-Vorsitzender der Arbeitsgruppe III des Weltklimarates IPCC, der 2007 mit einem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Wie?
Einige Länder haben bereits darauf reagiert. Sie denken sich: Wenn wir keine eigene CO2-Bepreisung haben und unsere Produkte an der europäischen Grenze mit einer zusätzlichen Abgabe belastet werden, dann haben wir davon selbst nichts, dann werden unsere Produkte nur teurer. Deshalb ist es besser, wenn wir ebenfalls einen CO2-Preis einführen. Dann können wir uns den Zoll ersparen und wir haben darüber hinaus noch Einnahmen aus der Bepreisung. Genau diese Reaktion sieht man überall auf der Welt. Die Türkei denkt über einen nationalen Emissionshandel nach. Und China, das ja schon mit Pilotsystemen gestartet ist, sieht die Verringerung von CO2 erklärtermaßen als ein wichtiges Thema. Auch im Globalen Süden gibt es jetzt ein großes Interesse an solchen Bepreisungssystemen.
Sie sprachen von zwei Maßnahmen.
In einem zweiten Paket von Maßnahmen will die EU die Technologien fördern, die zu netto negativen Emissionen führen. Diese Technologien sind notwendig, weil die Ziele des Abkommens von Paris nur noch erreichbar sind, wenn wir zulassen, dass das Temperaturlimit zeitweise überschritten wird. Mithilfe der Negativemissionstechnologien kann dieses zeitweise Überschießen kompensiert werden, sodass wir langfristig die Temperaturgrenze doch noch einhalten können. Zudem gibt es nicht oder nur äußerst schwer vermeidbare Restemissionen. Deshalb brauchen wir CO2-Entnahmen, gewissermaßen als planetare Müllabfuhr. Und jetzt sagen Sie vielleicht: "Was hat das mit internationaler Kooperation zu tun?" Wenn Europa seinen Verbrauch von Kohle, Öl und Gas vermindert, besteht immer die Gefahr, dass andere Länder entsprechend mehr emittieren. Bei den Negativemissionstechnologien ist das nicht der Fall.
Warum?
Länder, die der Atmosphäre CO2 entziehen, vermindern nicht den Verbrauch fossiler Energieträger – verbilligen sie also damit auch nicht an den Weltmärkten –, sondern sie vermindern die Klimaschäden. Da Verlagerungseffekte vermieden werden, gibt es für andere Länder keinen Anreiz, Kohle, Öl und Gas verstärkt zu nutzen. Die Exporteure von fossilen Energien haben sogar einen Anreiz, diese Technologien zur CO2-Entnahme zu fördern, weil sie damit die fossilen Energieträger länger nutzen können und sich zugleich einen neuen Markt aufbauen, auf dem sie Geschäfte machen können, wenn die fossilen Energieträger Geschichte geworden sind. Vor allem für die Exporteure von Öl ist dies eine attraktive Option. Diese Option erleichtert den Übergang zu Wirtschaft, die weitgehend ohne fossile Energieträger auskommt.
Aber die Klimaschutzmaßnahmen in Ländern wie China, Indien oder der Türkei reichen doch tatsächlich noch längst nicht.
Stimmt. Noch sind sie dort auf einem niedrigen Niveau. Und noch sind wir global in einer Situation, in der wir steigende Emissionen haben. Wir verbrennen und nutzen immer noch in ungeahntem Ausmaß Kohle, Öl und Gas. Das ist ein Problem. Aber es wächst auch das Bewusstsein, dass dies mitnichten ausreichend ist. Wir sind mittlerweile auf einem 2- oder sogar 2,5-Grad-Pfad. Gerade deshalb ist es ein positives Zeichen, dass jetzt, von Europa angetrieben, der bestehende CO2-Emissionshandel für Energie und energieintensive Industrie ausgebaut wird. Das ermöglicht es den Regierungen, die Emissionsobergrenze tatsächlich zu kontrollieren.
Und was ist mit Verkehr und Bau, da wird doch auch viel CO2 produziert?
Ja. Ein weiteres Mittel ist die Schaffung eines zweiten Emissionshandels, des ETS-2, über den ab 2027 europaweit der CO2-Preis für die Sektoren Verkehr und Gebäude gebildet wird. Das wird dazu führen, dass die Emissionen in diesen Bereichen endlich unter Kontrolle kommen. Wenn die Verbraucher mehr zahlen müssen, wird die Nutzung zurückgehen.
Aber das wird viele Menschen überfordern.
Und deshalb ist es so wichtig, einkommensschwache Haushalte zu kompensieren und Einnahmen aus dem Emissionshandel wieder zurückzuführen. Dieser Ausgleich ist unabdingbar, um soziale Schieflagen zu vermeiden. Das können wir uns nicht erlauben: Klimapolitik muss so ausgestaltet werden, dass die Menschen durch sie nicht finanziell überfordert werden.
Wie wahrscheinlich ist das? Die Bundesregierung wollte eigentlich ein Klimageld einführen, um für einen solchen Ausgleich zu sorgen. Bisher blieb das aus.
Die Einführung eines Klimageldes bedarf eines klaren politischen Willens, der im Augenblick fehlt. Dabei ist die Schaffung der technischen Voraussetzungen überfällig. Egal, wie eine Kompensation ausgestaltet wird – wir brauchen sie. Ohne sie wird es sehr, sehr schwer werden, die Klimaziele zu erreichen.
Wie optimistisch sind Sie, dass diese Regierung sie noch einführen wird?
Es wird von der derzeitigen Ampel-Koalition in der Klimapolitik absehbar wohl keine großen Gesetzesvorhaben mehr geben. Sie hat klimapolitisch das gemacht, was in dieser Koalition für diese Legislatur möglich war. Die Klimaziele bis 2030 im Gebäude- und Verkehrssektor zu erreichen, wird damit schwierig. Diese Klimaziele sind aber nicht nur nationale Ziele. Dann werden vor allem europäische Verpflichtungen greifen. Da wird die nächste Bundesregierung nachbessern müssen.
Die Teuerungen sind aber schon beschlossen. Was passiert, wenn es keinen Ausgleich gibt?
Die deutsche CO2-Bepreisung bei Verkehr und Wärme, die 2027 in den ETS-2 überführt wird, steigt nächstes Jahr von 45 auf 55 Euro je Tonne, 2026 soll er in einem Korridor von 55 bis 65 Euro liegen. Für den ETS-2 ist ein Höchstpreis von zunächst 45 Euro beschlossen. Das ist sinnvoll. Aber der Preis muss natürlich weiter ansteigen, weil das System sonst keine Lenkungswirkung hat – es soll ja den Anreiz setzen, dass Investitionen immer stärker in fossilfreie Technologien fließen. Da ist die Regierung den Bürgern und allen Investoren eine Ansage schuldig. Davor drückt sie sich im Augenblick, obwohl sie doch erklärtermaßen ambitionierte Ziele verfolgt. Doch der Preis muss steigen, um die Klimaziele zu erreichen. An dieser Wahrheit kann sich die Regierung nicht vorbeidrücken.
Was würden Sie sich von ihr wünschen?
Die Politik muss klarmachen: Ambitionierte Klimapolitik ist kein Luxusprojekt für gute Zeiten. Und auch so handeln. Das ist kein Schönwetterthema. Klimapolitik ist Wohlstandssicherung und gehört zur staatlichen Daseinsvorsorge. Es geht darum, drastische Klimaschäden zu verhindern, die nicht nur in Europa selbst zum Problem werden, sondern die auch Regionen wie Lateinamerika, Afrika und andere stark treffen.
Warum sollten Klimaschäden in Afrika oder Lateinamerika für Deutschland wichtig sein?
Wir würden es ja auch im nationalen Rahmen nicht akzeptieren, dass wir anderen Schaden zufügen und dafür auch noch die Gewinne einstreichen. Wer verschmutzt, muss für den Schaden aufkommen. Das gilt auch in der Beziehung zwischen Ländern. Als Exportnation kann es uns nicht gleichgültig sein, wenn durch den Klimawandel das Sozialprodukt in den Ländern Afrikas und Lateinamerikas einbricht. Die Welt ist längst eine globale Haftungsgemeinschaft geworden. Wir sitzen alle in einem Boot. Wir tun gut daran, zur Wohlstandssicherung eine ambitionierte Klimapolitik zu betreiben, damit das Boot nicht sinkt.
Herr Edenhofer, vielen Dank für das Gespräch!
- Video-Interview mit Ottmar Edenhofer