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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Autor Christian Stöcker "Dann ist Wladimir Putin ein armer Mann ohne Macht"
In seinem neuen Buch vertritt der Journalist Christian Stöcker eine brisante These. Im Interview erklärt er, warum Männer die Welt verbrennen – und warum nur die Marktwirtschaft den Planeten retten kann.
Ob steigende Temperaturen, schmelzende Gletscher oder zunehmende Wetterkatastrophen: Die Klimakrise wird immer spürbarer. Wie konnte es so weit kommen? In seinem neuen Buch "Männer, die die Welt verbrennen" geht der Wissenschaftsjournalist und Hochschulprofessor Christian Stöcker schonungslos mit jenen ins Gericht, die in seinen Augen einen Löwenanteil an der Krise haben. Zugleich formuliert er Ideen, was gegen die Bedrohung hilft. Hier erklärt er sie.
t-online: Herr Stöcker, an diesem Donnerstag erscheint Ihr Buch, das einen konfrontativen Titel trägt. Wer sollte im Buchladen auf keinen Fall daran vorbeigehen?
Christian Stöcker: Unbedingt stehen bleiben sollten Menschen, die das Gefühl haben, dass etwas nicht stimmt. Die aktuellen globalen Temperaturen, die so krasse Unwetterkatastrophen mit tausenden Toten wie im letzten Jahr bedingen, sind in der Geschichte der Menschheit einzigartig. Zugleich sind die Reaktionen sowohl der Weltwirtschaft als auch der Weltpolitik mehr als unverhältnismäßig entspannt, und das hat Gründe. Die möchte ich den Menschen näherbringen: Die Gründe, die Akteure, die dahinterstehen, und wie wir sie am Ende besiegen. Kurz gesagt: Dieses Buch ist fast für jede und jeden etwas.
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Gleich am Anfang steht in Ihrem Buch eine Warnung: Warum denken Sie, Ihr Buch könnte auf manche Leser wie eine Verschwörungserzählung wirken?
Die Ölindustrie hat in den vergangenen 40 Jahren einen unglaublichen Aufwand im Bereich der Desinformation betrieben. Das haben viele schon einmal gehört. Aber wenn ihnen das ganze Ausmaß an Arbeit, die dahintersteckt, deutlich vor Augen geführt wird, könnte es wie eine Verschwörungserzählung wirken. Dabei gibt es reale Verschwörungen in diesem Feld: Ihr aktuelles Ziel ist es, jede Form der wirksamen Klimaregulierung zu verhindern. Im Unterschied zur Verschwörungserzählung sind diese Verschwörungen aber belegbar. Das mache ich in meinem Buch.
Sie schreiben, dass die meisten Unternehmen direkt oder indirekt mit dem Anstieg der CO₂-Emissionen zusammenhängen. Liegt das Problem also in unserer Art zu wirtschaften?
Wir können die Klimakrise nur mit der aktuellen Wirtschaftsweise ernsthaft bekämpfen. Der Punkt ist: Marktwirtschaften sind gut darin, Exponentialfunktionen zu erzeugen, also Entwicklungen, die sich immer weiter beschleunigen.
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Aber ist das nicht genau der Grund, warum wir uns jetzt in dieser Misere befinden?
Wenn wir auf die Verschmutzung unserer Atmosphäre oder die Nitratbelastung unseres Wassers blicken, dann haben Sie auf jeden Fall recht. Aber wir brauchen diese Beschleunigungsprozesse an anderer Stelle dringend. Aus der katastrophalen Situation, in die wir uns hineinmanövriert haben, kommen wir sonst nicht mehr hinaus. Und mir ist kein anderes System bekannt, das diese Art von Beschleunigung ermöglichen würde.
In welchem Bereich sehen Sie positive Effekte?
Immer weiter beschleunigtes Wachstum ist etwa bei Speichertechnologien oder im Bereich der erneuerbaren Energien zu beobachten. Wir müssen dieses Wachstum eben entsprechend im Griff haben. Das heißt etwa, dass derjenige für Schäden aufkommt, der sie zu verantworten hat. Bei den Fossilbranchen ist das in den vergangenen 50 Jahren nicht der Fall gewesen. Das kommt natürlich nicht von ungefähr.
Sind hierfür die "Söldner der Klimawandelleugner" verantwortlich, von denen Sie schreiben?
Genau. Der wahrscheinlich bekannteste von ihnen ist vor ein paar Jahren gestorben: Fred Singer, ein amerikanischer Physiker. Er gehörte zu einer Gruppe von Männern der Wissenschaft, die wissenschaftliche Erkenntnisse in Zweifel gezogen haben. Alles im Sold amerikanischer Industrien.
Können Sie noch ein Beispiel nennen?
Im Auftrag der Zigarettenindustrie hat dieselbe Gruppe von Wissenschaftlern behauptet, Rauchen sei nicht schädlich. An anderer Stelle, dass es kein Ozonloch gebe oder keinen sauren Regen. Und dann eben auch, dass es keine menschengemachte Klimakrise gebe. Es war eine hochbezahlte Wissenschaftsclique, die aus ideologischen Gründen log. Gegenwärtig wird mit dieser Strategie versucht, Zweifel an den erkennbaren und sauber durchgerechneten Gegenmaßnahmen zur Klimakrise zu säen: Elektroautos sparen auf einmal kein CO₂ mehr ein, es werden Wasserstoffheizungen herbeifantasiert, die es gar nicht gibt, oder Ähnliches. Immer unter der Prämisse: Wir säen Zweifel, um Handeln zu verhindern. Das sind klassische Falschinformationen, oft geadelt durch ein vermeintliches wissenschaftliches Gewand.
Zur Person
Christian Stöcker war früher in der psychologischen Grundlagenforschung an der Universität Würzburg tätig. Später arbeitete in verschiedenen deutschen Medienhäusern. Seit 2005 ist er Wissenschaftsjournalist. Seit 2016 bildet er an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg Journalisten im Studiengang "Digitale Kommunikation" aus.
Was lässt sich dagegen unternehmen?
Wir müssen das Niveau der Debatten steigern. Wir müssen den Kenntnisstand der Beteiligten steigern. Desinformation ist eine der größten Gefahren unserer Zeit. Sogar russische Bots und Trolle haben ein erstaunlich hohes Interesse an Desinformationen zum Klimawandel – Russlands Geschäftsmodell ist eben Öl, Gas und sonst fast nichts. Die Forschung zeigt ganz klar: Wenn Leute erst mal angefangen haben, irgendetwas komplett Falsches zu glauben, ist es extrem schwierig, sie wieder zurückzuholen.
Wie lässt sich dieser Desinformationsflut entgegenwirken?
Wir müssen den Leuten bereits im Vorhinein sagen, dass sie wahrscheinlich mit diesen und jenen Fehlinformationen konfrontiert werden. Außerdem müssen wir sie für die Strategien der Desinformanten sensibilisieren.
Wie zum Beispiel?
Indem wir den Menschen sagen: Werdet hellhörig, wenn sich die Sprache emotionalisiert oder falsche Dichotomien heraufbeschworen werden – also Schwarz-Weiß-Denkmuster. Es gibt selten nur diesen oder jenen Punkt, es gibt meistens Zwischentöne. Auch in der Medienwelt gibt es keine ausreichende Sensibilisierung hierfür. Während sich 99 Prozent der Wissenschaftler einig über die Existenz der menschengemachten Klimakrise waren, wurden in Interviews und Diskussionsrunden trotzdem Vertreter der 1-Prozent-Gegenmeinung eingeladen.
Das ist ungefähr so, als würden wir über Geologie diskutieren und immer jemanden einladen, der an eine flache Erde glaubt. Den Menschen muss klar werden, dass es viele Akteure gibt, die sie bewusst anlügen – weil es ihr Geschäftsmodell ist. Verstehen sie das nicht, treten sie Desinformationskampagnen naiv gegenüber und glauben diese am Ende womöglich. Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.
Sie wollen also den Erkenntnisstand in der Diskussion steigern. Was sollte man als aufgeklärter Bürger Ihrer Ansicht nach unbedingt wissen?
Eine Sache, von der ich mir ziemlich sicher bin, dass sie die meisten nicht auf dem Schirm haben, ist die Höhe der Subventionen. Laut dem Internationalen Währungsfonds, der nun nicht gerade ökoradikale Aktivistenorganisation ist, wurden im Jahr 2022 weltweit sieben Billionen Dollar an direkten und indirekten Subventionen für fossile Brennstoffe geleistet. Das entspricht fast dem Doppelten des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Den fossilen Konzernen stellen wir die Schäden, die sie verursachen, also nicht nur nicht in Rechnung – wir bezahlen sie mit unserem Steuergeld auch noch fürs Weitermachen.
In Ihrem Buch prangern Sie "Petromaskulinität" an. Was meinen Sie damit?
Der Begriff geht auf Studien in den USA zurück. Sie zeigen: Eher reaktionäre, teils antifeministische, meist marktradikale Einstellungen gehen einher mit der Begeisterung für fossile Brennstoffe. Diese Einstellung findet sich eben vorwiegend bei Männern, die dann wiederum die Propaganda bestimmter Organisationen unterstützen, die erfolgreich versuchen, Klimaschutzmaßnahmen zu verhindern. Konservative Männer in den USA sind überwiegend klimawandelskeptisch. Sie glauben, mehr über das Thema zu wissen als andere. Dabei schwingt häufig ein gewisses Maß an Sozialdarwinismus mit. Sie halten sich also für überlegen gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen.
Sind Männer also das Problem?
So pauschal würde ich das nicht unterschreiben. Aber unser Wirtschaftswachstum der vergangenen 200 Jahre ist angetrieben von fossilen Brennstoffen. Vom entstandenen Wohlstand profitieren Männer am meisten – Frauen am wenigsten. Extremwetterkatastrophen treffen Frauen ebenfalls härter. Immer wenn es schwierig wird, leiden Frauen mehr als Männer. Die Privilegien, die Männer in unserer patriarchalen Welt haben, verteidigen sie teils mit völlig irrationalen Verhaltensweisen. Ein Beispiel ist Wladimir Putin: ein unheimlich frauenfeindlicher, reaktionärer, aggressiver und bösartiger Mann, dessen gigantischer Reichtum und dessen komplette Macht auf Öl und Gas basieren.
Sie schreiben, dass auch in Deutschland Schüler der amerikanischen Klimawandelleugner sitzen. Wen meinen Sie konkret?
Hier gibt es vor allem eine Organisation: das sogenannte "Europäische Institut für Klima und Energie (EIKE)". Das ist ein Sammelbecken für organisierte deutsche Klimawandelleugner. Namentlich fällt mir auch Frank Schäffler von der FDP ein. Das ist der Mann, der die bereits gefundene Einigung innerhalb der Koalition zum Thema Heizungsgesetz auf dem FDP-Parteitag mit einem Alternativantrag zerstört hat – profitiert hat nur die Gasindustrie.
Diese Position kommt nicht von ungefähr, denn der private Thinktank von Schäffler, das "Prometheus-Institut", ist selbst Teil des neoliberalen Atlas-Netzwerks. Dieses wiederum ist einer der Hauptverteidiger der fossilen Industrien. 2023 zweifelte Schäffler öffentlich an, dass die Klimakrise menschengemacht sei. Der sogenannte Klimareferent der FDP, Steffen Hentrich, saß auch schon bei amerikanischen Klimawandelleugnern auf dem Podium. Den Zusammenhang zwischen Klima und Extremwetter zweifelte er öffentlich an.
Also ist das ein reines FDP-Problem?
Nein, das ist kein reines FDP-Problem. In den 16 Jahren der Merkel-Regierung war der Umgang mit erneuerbaren Energien hochproblematisch. Dazu haben viele Politiker intensiv beigetragen. Das sind nicht alles Leugner des Klimawandels, manche wollten einfach den Status quo erhalten – die Folgen sind jedoch ebenso fatal.
Mit Gerhard Schröder sitzt der schlimmste Gaslobbyist des Landes in der SPD. Von der AfD brauchen wir gar nicht erst anzufangen, für die ist die Klimawandelleugnung Parteilinie. Aber nicht nur in der Politik haben wir diese Leute sitzen.
Ihre Kritik reicht auch über die Politik hinaus.
Ja, auch in den Medien finden wir solche Fälle: Stefan Aust, Herausgeber der "Welt", hinterfragt immer noch, ob der Klimawandel menschengemacht ist. Mathias Döpfner, Vorstandsmitglied der Axel Springer AG, schrieb in einer SMS, dass er "sehr für den Klimawandel" sei, denn der Mensch sei in Warmzeiten immer erfolgreich gewesen. In diesem Land sitzen diese hochproblematischen Menschen an relevanten Stellen.
Der Appell zum Ende ihres Buches lautet, die Männer, die die Welt verbrennen, in die Schranken zu weisen – aber wie?
Diese Männer zeigen uns selbst, was wir zu tun haben. Wir müssen das tun, wogegen sie am stärksten kämpfen. Das bedeutet momentan in erster Linie, die Absatzmärkte auszutrocknen, etwa mit erneuerbaren Energien. Wenn Öl, Gas und Kohle als Energieträger nicht mehr relevant sind, verändert sich die gesamte Gleichung zum Positiven. Dann ist Wladimir Putin ein armer Mann ohne Macht. Und die Machthaber aus Katar, die die Hamas fördern, haben dann auch keinen Einfluss mehr.
- Interview mit Christian Stöcker
- zdf.de: "Eine FDP-Klimapersonalie, die Fragen aufwirft"