Statt Ostereiern Sorbische Weihnachtskugeln als Baumschmuck
Burgneudorf (dpa/sn) - Der süßliche Duft von warmem Bienenwachs liegt in der Luft. Auf der Herdplatte köcheln in ausrangierten Teelichtbehältern die Farben Weiß und Gold. Immer wieder taucht Annelie Rölke die zurechtgestutzte Gänsekielfeder in die dampfenden Töpfchen und setzt dreieckige "Wolfszähne" auf den schillernden Untergrund.
Normalerweise gehören diese ursprünglichen sorbischen Muster auf die Osterklassiker aus der Lausitz. Doch statt Eiern betupft die 27-Jährige Weihnachtsbaumkugeln. "Ich habe in dieser Saison so viele Aufträge, dass ich höchstwahrscheinlich am 24. Dezember hier noch sitze", sagt sie.
Baumschmuck verzieren neben dem Studium
Die Studentin dreht die Kugel, die Muster fliegen aus den Gedanken aufs Glas. Draußen, vor den Fenstern des Mehrfamilienhauses in Burgneudorf im nördlichsten Zipfel des Landkreises Bautzen stieben die ersten Flocken.
Normalerweise müsste die junge Frau ihre Bachelorarbeit an der Hochschule Görlitz-Zittau vorantreiben. Fachliteratur stapelt sich ordentlich neben dem bemalten und unbemalten Christbaumschmuck. Ihre ursprüngliche Heimat liegt im 15 Kilometer entfernten Mühlrose - vielleicht Deutschlands letztem Dorf, dass in der Braunkohlegrube verschwindet. "Das ist Vergangenheit, keiner meiner Familie wohnt noch dort", sagt sie ohne Wehmut.
Familien halten sorbische Traditionen am Leben
Dort, auf dem Familienhof an der Grubenkante, wurden in Rölkes Kindheitsorbische Traditionengepflegt. Auch wenn niemand mehr die Sprache spricht. "Ich war die Begleitung des Schleifer Christkinds und bin im Advent von Haustür zu Haustür, zum Maibaumtanz ging es in Tracht und Karfreitag wurden eben Eier gemalt." 2019 ist sie mit dem Handwerk beim Sorbischen Ostermarkt in Bautzen erstmals zu Gast.
Zu der traditionellen Veranstaltung zeigen Dutzende Volkskünstler sorbische Verzier-Techniken. "Wie viele Familien die Tradition in der Ober- und Niederlausitz pflegen, kann man nur schwer schätzen. Die wenigsten aber können davon leben", sagt Veronika Suchy vom Förderkreis für sorbische Volkskultur.
Die Tradition werde in den Familien weitergeben. Deshalb sei sie auch nicht bange, dass der Brauch aus der Lausitz verschwinde. In manchen Orten würden drei Generation zu Ostern die Eier verzieren.
"Kugeln sind etwas moderner als Eier"
Und selbst der Weihnachtstrend macht vor den traditionellen sorbischen Stuben keinen Stopp. "Ich kenne einige, die privat ihre Kugeln mit sorbischen Motiven verzieren", sagt Suchy. Ein solches Beispiel ist Rölke bei einem Markt in der Niederlausitz aufgefallen - und sie wollte das selbst auch probieren. Ihre erste Weihnachtskollektion bot sie im vergangenen Jahr an, beim Ostermarkt. "Nach dem Wochenende war ich ausverkauft", sagt sie.
Aus den sogenannten Wolfszähnen - dicht aneinander getupften Dreiecken - entsteht eine Girlande auf dem roten glänzenden Untergrund. "Ich verwende die klassischen sorbischen Muster. Aber Kugeln sind etwas moderner als Eier", sagt die Studentin und dreht ihre Arbeit weiter.
Etwa zwei Stunden benötigt die junge Frau für ein Kunsthandwerk. Die Malstraße mit Herdplatte bleibt immer stehen, damit Rölke in der Mittagspause die zerbrechlichen Aufträge abarbeiten kann.
Wolfszähne sollen Schutz und Kraft spenden
Der Geruch des Bienenwachses verströmt Gemütlichkeit. Zufrieden betrachtet die Volkskünstlerin ihre Arbeit. "Das hier bleibt ein Hobby, meine Leidenschaft gehört den Menschen", sagt die Heilpädagogik-Studentin. Sie legt ihre angefangene Arbeit zum Trocknen und greift nach einem neuen Exemplar.
"Eigentlich wollte ich mir für den eigenen Christbaum noch ein paar Kugeln verzieren, aber das muss warten", sagt die junge Frau und tupft weiter Wolfszähne. Die kleinen Dreiecke symbolisieren Schutz vor dem Bösen und sollen den Beschenkten Kraft geben. Ein Wunsch, der nicht nur zu Ostern, sondern auch in die Weihnachtszeit passt.