Kurz vor den Wechseljahren Wenn Eltern sich spät nochmal auf ein Baby einlassen
Auch, wenn die Zahl der späten Mütter in den letzten Jahren stark gestiegen ist, sind die meisten um die vierzig mit ihrer Familienplanung fertig. Die Kinder sind aus dem Gröbsten raus und eine neue Lebensphase beginnt. Theoretisch. Denn plötzlich tickt bei so mancher Frau die biologische Uhr.
Noch einmal eine Schwangerschaft erleben, noch einmal im Leben das Strampeln eines Babys im Bauch fühlen, noch einmal einen Säugling haben - eine Idee, die übermächtig werden kann. Und gekoppelt mit einer neuen Partnerschaft besteht vielleicht auch der Wunsch, noch einmal von vorne anzufangen.
Die Berliner Medizinpsychologin Dr. Beate Schultz-Zehden beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Wechseljahren der Frau und den damit zusammenhängenden seelischen Veränderungen. Sie bestätigt, dass viele Frauen in dieser Phase sich noch einmal heftig nach einem Baby sehnen. Von der psychischen Seite aus betrachtet landen Frauen, die sehr spät noch einmal ein Kind möchten, schnell in einer Schublade: Das Kind soll fehlende Nähe ersetzen, vielleicht sogar die Beziehung kitten, dem Leben wieder einen Sinn geben. Das mag manchmal so sein, ist aber nicht der übliche Grund, spät noch einmal Mutter zu werden. Häufig steckt etwas ganz anderes dahinter.
Um das dritte Baby betrogen
Die Lebenssituationen der Frauen, die sich nach vielen Jahren noch einmal für ein Baby entscheiden, sind sehr unterschiedlich. Eines aber liegt allen zugrunde: Ein nicht ausgelebter Kinderwunsch kann sich sehr negativ auf die weibliche Psyche auswirken. Das bekam die 43-Jährige Rebecca am eigenen Leib zu spüren. "Unsere Situation war sicher nicht die Alltägliche", erzählt sie. "Ich wollte immer viele Kinder haben. Aber als unsere beiden Töchter ganz klein waren und ich mir bereits ein drittes Kind vorstellen konnte, ging mein Mann fremd und die andere Frau bekam ein Baby von ihm. Wir haben uns zwar wieder zusammengerauft, aber ich habe es nie geschafft, mich von meinem Wunsch nach einem dritten Kind zu verabschieden. Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, die andere hätte das Baby, das eigentlich meines hätte sein sollen."
Zwei Teenies und ein Kleinkind - nichts für schwache Nerven
Als Rebecca Ende dreißig war, wurde der Wunsch so stark, dass sie wusste, sie würde es sich selbst und ihm nicht verzeihen, wenn sie es nicht noch einmal versuchen würden. Ihr Nachzügler ist inzwischen zwei Jahre alt und wird von allen vergöttert, vor allem vom Vater. "Zwei Pubertierende und ein Kleinkind, da braucht man Nerven wie Drahtseile. Aber ich habe mich richtig entschieden, das weiß ich. Und wenn ich sehe, wie stolz die beiden Großen auf ihren kleinen Bruder sind und wie verantwortungsvoll sie mit ihm umgehen, dann geht mir das Herz auf."
Die Großen nicht vernachlässigen
"Allerdings", warnt Sunita, die selbst drei große und zwei kleine Kinder hat, "darf man die Großen nicht aus den Augen verlieren. Man muss schon darauf achten, dass keiner durchs Raster fällt, nur, weil er sich nicht so lautstark äußert." Der Altersabstand zwischen ihrem ältesten Sohn und der kleinsten Tochter beträgt rund 17 Jahre. Zum Vergleich: Der gängige Altersunterschied zwischen Geschwistern liegt bei 3,5 Jahren. Eine Marge, die sich seit den Siebzigerjahren kaum verändert hat. Weniger Altersabstand bedeutet stärkere Konkurrenz zwischen den Geschwistern und vor allem mehr Trubel für die Mütter. Bei einem größeren Abstand soll es schwerer sein, eine Bindung zueinander aufzubauen. Soweit die Theorie der Psychologen. Denn die Erfahrungen vieler Mütter in dieser Situation sind ganz andere.
Älteren Kindern sind Nachzügler oft peinlich
"Als ich bereits erwachsen war, hat mein Vater eine Frau geheiratet, die ein Jahr jünger ist als ich", erzählt Jutta. "Natürlich ist man sich dessen bewusst, dass diese Frau möglicherweise eigene Kinder will. Und wenn es dazu kommt, ist es irgendwie peinlich." Gerade in der Zeit der Patchworkfamilien kommt es immer häufiger vor, dass der Altersabstand zwischen Geschwistern beziehungsweise. Halbgeschwistern relativ groß ist. Jutta war mit ihren Zwillingen schwanger, als die Frau des Vaters ihr Baby bekam. "Die Situation war gelinde gesagt seltsam. Aber heute habe ich ein Superverhältnis zu meinem kleinen Bruder und für meine Kinder ist er eher wie ein Cousin. Nur die Rolle meines Vaters ist ein bisschen verwirrend. Als Opa können meine drei Kinder ihn nicht sehen."
Die Großen erziehen die Kleinen mit
Auch Sunitas Kinder waren alles andere als begeistert, als sie von der erneuten Schwangerschaft erfuhren. Die Spannbreite der Gefühle schwankte zwischen Entsetzen und Peinlichkeit. "Und wahrscheinlich", so die 45-jährige, "war auch Angst im Spiel. Vor allem vor der Veränderung." Was auch damit zusammenhängen könnte, dass der Vater der drei in Berlin lebt und gerade erst ein Jahr zuvor eine neue Familie gegründet hat. Das Verhältnis zwischen ihm und den Kindern hat dadurch sehr gelitten. "Doch als die Mädchen da waren, hat sich alles schnell normalisiert und inzwischen hängen die Älteren sehr an ihren kleinen Schwestern." Dass die Großen die Kleinen miterziehen, findet sie völlig in Ordnung. "Manchmal sind sie sogar strenger mit den Mädchen, als ich es inzwischen bin. Ich finde, ich bin heute einfach gelassener. Mein Großer wirft mir aber immer vor, ich sei zu lasch und mehr Regeln wären besser."
Nachzügler haben Sonderstellung im Familiengefüge
Die Kleinsten haben oft einen besonderen Charme, den sie wohl einzusetzen wissen. Außerdem sind sie als besonders risikofreudig bekannt. Schließlich muss der Vorsprung der anderen ja irgendwie ausgeglichen werden. Dass die Nachzügler allerdings oft von allen verwöhnt werden, kann nach hinten losgehen, das hat bereits in den 30er-Jahren der Psychotherapeut Alfred Adler beschrieben. Sie bleiben die ewig Kleinen und merken manchmal erst verspätet, dass sie mehr können, als sie dachten. Der US-Psychologe Kevin Leman beschreibt in seinem Buch "Geschwisterkonstellationen", dass Nachzügler, die mindestens fünf Jahre jünger sind als ihre Geschwister, schon wieder Quasi-Erstgeborene sind - mit all deren Chancen.
Schon immer von großer Familie geträumt
Sunita ist selbst ein Einzelkind und wollte vielleicht auch deswegen immer eine große Familie. "Ich bin einfach gerne Mutter. Und wenn es das Alter, die finanzielle und wohnliche Situation zulassen würden, könnte ich mir sogar weitere Kinder vorstellen."
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.