Ganz die Mama oder der Papa? Geliebte und ungeliebte Familienähnlichkeiten
Viele Menschen versuchen herauszufinden, wem ein Kind ähnlich sieht, weisen auf Gemeinsamkeiten mit Mama oder Papa hin, was das Aussehen betrifft, aber auch hinsichtlich Charaktereigenschaften. Besonders häufig wird dabei bei Neugeborenen auf die Ähnlichkeit mit dem Vater verwiesen. Gibt es die wirklich?
Kaum sind die Babys auf der Welt, geht sie los, die Suche nach den Ähnlichkeiten zu Mama oder Papa. Entzückt stellen die frischgebackenen Großeltern fest, dass der Enkelsohn die kleinen Ohren von der Mama oder die Haarfarbe vom Papa geerbt hat. Die Mütter entdecken bei ihren Babys besonders häufig Ähnlichkeiten zum Papa. Warum ist das so? Und stimmt es wirklich, dass Babys oft ihren Vätern gleichen? Wie wirken sich Ähnlichkeiten auf das Verhältnis zwischen Kindern und Eltern aus?
Ähnlichkeiten verstärken die Fürsorge
Mitte der 90er Jahre kam eine Studie der University of California in San Diego, bei der unabhängige Beobachter Vater, Mutter und Baby betrachteten, zu dem Ergebnis, dass Einjährige ihrem Vater mehr ähneln als ihrer Mutter. Dieses sei evolutions-biologisch auch sinnvoll, denn die Ähnlichkeiten haben eine – meist unbewusste – Bedeutung für die Entscheidung der Väter, ob und wie viel sie in ihre Kinder investieren. Umgekehrt wirken sich Zweifel an der Vaterschaft besonders bei kleinen Jungen negativ auf ihre Zuwendungsbereitschaft und Fürsorge aus.
Ein unbewusster Prozess
Dass Ähnlichkeiten eine bedeutende Rolle spielen und dass dieser Prozess unbewusst abläuft, zeigte auch ein Forschungsprojekt an der University of Liverpool. Im Rahmen dieses Projektes sollten Männer anhand von Babyfotos auswählen, welche Kinder sie eher adoptieren würden, welche ihnen besser gefielen und bei welchen sie bereitwilliger Alimente zahlen würden.
Dabei wussten die Teilnehmer nicht, dass es sich bei einigen Fotos um Aufnahmen von Erwachsenen handelte, die mit Hilfe eines Computers mit Kinderbildern verschmolzen worden waren. Die entstandenen Kinderbilder hatten dadurch Ähnlichkeiten mit den jeweiligen Erwachsenen. Und genau diese Kinder wählten die befragten Männer für eine potenzielle Adoption aus.
Mütter verstärken das Gefühl
Auch und besonders die große Mehrheit der Mütter weist bereits kurz nach der Geburt auf die Gemeinsamkeiten mit dem Vater hin. Bei einer Studie von 2007 gaben ausnahmslos alle Mütter an, ihr Baby ähnele dem Vater. Sie scheinen sich – oft unbewusst – zu bemühen, den Partner im Glauben zu bestärken, das Kind sei von ihm, um Misstrauen an seiner Vaterschaft zu vermeiden. Diese Zweifel von Vätern sind auch nicht ganz unbegründet, denn fast jedes zehnte Kind ist ein sogenanntes "Kuckuckskind", das nicht vom vermeintlichen Vater stammt.
Babys wollen unerkannt bleiben
Dieser Glaube an vermeintliche Ähnlichkeiten zwischen Vater und Nachwuchs gilt mittlerweile als überholt und basiert wohl eher auf Wunschdenken. Babys sind vielen neuen Studien zufolge im Gegenteil daran interessiert "unerkannt zu bleiben". Das Kindchenschema – runde Augen, Stupsnase und fliehendes Kinn – wirkt wie eine "Herkunftsverschleierungs-Strategie".
Sie haben kein Interesse an Ähnlichkeiten, weil ihnen so das größte Maß an Aufwand und Pflegebereitschaft von möglichst vielen Erwachsenen gesichert wird. Und wenn sie unerkannt bleiben, investiert auch der vermeintliche Vater in sein nicht-biologisches Kind. Richtig ist aber, dass Söhne im Laufe ihres Heranwachsens immer mehr ihren Väter gleichen, Töchter dagegen ihrer Mutter. Dieses Phänomen lässt sich durch die Sexualhormone erklären.
Wer vererbt was?
Manche Eigenschaften werden häufig fälschlicherweise dem Vater zugeschoben, obwohl dieser nicht dafür verantwortlich ist. So haben Wissenschaftler festgestellt, dass für den Haarausfall nicht der eigene Vater, sondern der Großvater mütterlicherseits verantwortlich ist. Insgesamt erben Kinder sogar deutlich mehr von ihren Müttern als von ihren Vätern.
Das hängt mit Unterschieden auf dem 23. Chromosomenpaar zusammen: Die Frau hat ein doppeltes X-Chromosom, auf dem 1.100 Gene liegen, auf dem Y-Chromosom des Mannes dagegen nur 80. So leiden zwar zum großen Teil Jungen und Männer unter der Rot-Grün-Blindheit, vererbt wird diese Sehschwäche aber über die Mütter.
Auch einige Krankheiten wie zum Beispiel die Duchenne´sche Muskeldystrophie, Bluterkrankheit oder geistige Behinderung kann man nur von seiner Mutter erben. Aber einige Merkmale werden auch über den Vater weitergegeben: So vererbt ein Papa seinem Sohn die Tendenz, eher Söhne oder Töchter zu zeugen. Hat ein Mann viele Schwestern, so wird er selber ebenfalls eher Töchter haben. Sind seine Geschwister alle männlich, wird er eher Söhne bekommen.
Erleichtern Ähnlichkeiten das Miteinander?
Die meisten Eltern mit mehreren Kindern haben den festen Vorsatz, alle gleich zu lieben. Trotzdem fühlen sie sich häufig einem Kind näher, weil sie sich in seinen Verhaltensweisen wieder erkennen und leichter damit umgehen können. Dem extrovertierten Plappermäulchen, das unbekümmert durchs Leben geht, fühlt sich manche Mama besonders nah, kannte sie doch selber als Kind keine Schüchternheit.
Der Papa erkennt sich in dem kleinen Bücherwurm wieder, dem er seine "Jugendbücher" weiterreichen und über Comics fachsimpeln kann. Häufig machen sich Eltern dann weniger Sorgen und zweifeln weniger an dem richtigen Umgang. Das erzeugt Nähe und bringt Leichtigkeit in die Mutter- / Vater- Kind-Beziehung. Auch Gemeinsamkeiten, die die Geschwisterposition betreffen, machen das Miteinander manchmal einfacher, weil man sich zum Beispiel eher in das Nesthäkchen einfühlen kann, wenn man selbst das jüngste Kind unter den eigenen Geschwistern ist.
Ungeliebte Ähnlichkeiten
Aber Ähnlichkeiten können auch genau das Gegenteil bewirken, wenn Eltern in ihren Kindern ihre eigenen Fehler wiederentdecken, die sie doch lieber verdrängen oder vergessen würden. Eltern vererben nicht nur unsere Schokoladenseiten und reagieren oft besonders allergisch, wenn sie ihren Konzentrationsmangel, ihre Schüchternheit oder Tollpatschigkeit bei ihrem Kind wieder erkennen. Ein Vater, der nie gelernt hat, Ordnung zu halten, steht kopfschüttelnd im Zimmer seines Sohnes und ärgert sich über dessen Chaos. Eine Mutter erkennt sich widerwillig in der bockigen Art ihrer Tochter wieder, die bei jedem kleinen Anlass in der Ecke sitzt und schmollt.
So reagieren Eltern richtig
Wenn Eltern an ihrem Sohn oder ihrer Tochter Charaktereigenschaften feststellen, die sie an sich selber ablehnen, ist es besonders wichtig, dass sie die Stärken ihres Sohnes oder ihrer Tochter in den Vordergrund stellen und ausbauen. Und vielleicht es auch eine Gelegenheit, an den eigenen, ungeliebten Schwächen zu arbeiten. Denn bei Charaktereigenschaften beziehungsweise Verhaltensweisen von Kindern spielt auch das Vorbild der Eltern eine wichtige Rolle, da sie häufig das Verhalten ihrer Eltern nachahmen.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.