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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Omikron als Ausweg? Schmidt-Chanasit: "Wir sind in der Endphase der Pandemie"
Einige Experten warnen vor neuen schweren Varianten des Coronavirus, die anderen machen Hoffnung auf ein absehbares Ende. Ist Omikron der Ausweg? Ein Experte erklärt, was die Durchseuchung bringt.
Zwei Jahre nach dem ersten bestätigten Corona-Fall überrollt die fünfte Infektionswelle das Land – mit bislang unvorstellbaren Inzidenzen. t-online sprach mit dem Virologen Jonas Schmidt-Chanasit über Fehler, die in der Pandemie gemacht wurden und welche Zukunftsszenarien uns erwarten.
t-online: Herr Schmidt-Chanasit, nun beschäftigt uns Corona schon zwei Jahre. Aus Ihrer Sicht: Wie gut sind wir durch die Krise gekommen?
Jonas Schmidt-Chanasit: Da wir leider noch immer mittendrin sind, wird man noch warten müssen mit einem abschließenden Fazit, einer Bilanz dessen, was gut und was schlecht lief. Gut war auf alle Fälle, dass wir sehr früh die PCR-Tests hatten, sie sind sehr wichtig, wenn es darum geht, rechtzeitig und aussagefähig zu handeln. Die Schnelltests waren erst später verfügbar, hätten aber meiner Meinung nach früher eingesetzt werden müssen.
Aber wir hatten in den letzten Jahrzehnten, Gott sei Dank, keine Pandemien dieses Ausmaßes, und zwar in jeder Hinsicht. Das heißt, in dieser zeitlichen Länge und diesem Bedrohungspotenzial unserer Gesundheit. Hinzu kommt, Ländervergleiche sind nicht immer hilfreich bei der Überlegung, welche Maßnahmen wir zur Bekämpfung einsetzen. Die Gesundheitssysteme in den einzelnen Ländern sind sehr verschieden aufgebaut und ausgestattet, auch kulturelle und gesellschaftliche Faktoren variieren.
Professor Jonas Schmidt-Chanasit ist Virologe am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg.
Was hat nicht funktioniert?
Was von Beginn an überhaupt nicht funktioniert hat und es auch bis heute nicht zufriedenstellend tut, ist eine aussagekräftige, eine verlässliche Datenlage. Wie hoch ist denn die tatsächliche Impfquote in Deutschland? Wie hoch ist der Bevölkerungsanteil der Genesenen? Alles nur geschätzte Werte, mit denen wir arbeiten. Auf dieser Grundlage ist es dann eben häufig schwer, die Notwendigkeit bestimmter politischer Entscheidungen zu kommunizieren. Aber das ist eine Grundvoraussetzung, um glaubwürdig zu sein.
Auch dieses ständige Dividieren von Politikern und Wissenschaftlern in unterschiedliche Teams ist wenig hilfreich. Da ist das Team Vorsicht, auf der anderen Seite steht das Team Augenmaß. Wir spielen doch nicht in der Handball-EM. Insofern sollte es nur ein Team geben, das alles daran setzt, diese Pandemie so pragmatisch und effizient wie nur eben möglich in den Griff zu bekommen.
Aber wenn die Daten das Problem sind, wie kommen wir an solche?
Zum Beispiel über die Krankenkassen, die ja viele Informationen zu ihren Mitgliedern sammeln. Dort finden sich Daten über Geimpfte und Genesene, die man anonymisiert gut nutzen könnte.
Was hält uns ab?
Ich würde sagen, eine fehlende zentrale Koordination.
Die hätte man ja nun längst mal schaffen können…
Das wäre hilfreich gewesen, um zu sehen, ob jetzt 95 Prozent oder erst 90 Prozent der über 60-Jährigen geimpft sind. Gerade in der Gruppe der über 60-Jährigen ist das Nichtwissen der genauen Prozentzahlen ein Problem bei der Entscheidung, welche Maßnahmen mit welchem Aufwand notwendig sind. Um Entscheidungen durchsetzen zu können, braucht man verlässliche Zahlen.
Zum Beispiel wäre es auch interessant zu wissen: Wie viele haben sich denn inzwischen schon zweimal infiziert und mit welchen Varianten des Coronavirus? Wir vermuten, dass diese Menschen über eine sehr gute Immunität verfügen, sie immunologisch gesehen also nicht "naiv" sind und gut geschützt sind vor einem schweren Krankheitsverlauf. Aber, wir kennen ihre Zahl nicht.
Jetzt hatten wir ja zwischenzeitlich den Versuch, die No-Covid-Strategie zu fahren. Und nun gibt man unter Omikron einige Maßnahmen, die dafür eingeführt wurden, sukzessive auf. Ist das eine Kapitulation?
Nein. Erstens haben nicht alle eine No-Covid-Strategie für die Bekämpfung der Pandemie favorisiert, und es ist und war glaube ich ein Trugschluss zu glauben, wir könnten mit dieser Strategie das Virus über einen längeren Zeitraum unterhalb einer sehr niedrigen Meldeinzidenz halten. Kurze temporäre Erfolge stehen schweren Schädigungen auf anderen Ebenen gegenüber, auch gesundheitlichen.
Und – eine Strategie mit Maximalforderungen in der Breite ist ressourcenaufwendig. Ressourcen sind aber nicht in unendlichem Maße vorhanden. Deshalb ist es sinnvoll, bei der Omikron-Variante mit ihrem milderen Verlauf die eingesetzten Mittel zu fokussieren.
Aus Ihren Aussagen höre ich raus: Sie wären für eine Impfpflicht für die Älteren?
Ich würde das favorisieren, weil diese Gruppe nach allen Erfahrungswerten der letzten beiden Jahre das Gros auf den Intensivstationen und bei den Verstorbenen ausmacht. Das können wir insofern überzeugend begründen und damit die Einsicht in die Notwendigkeit herstellen.
Wie ist Ihr Ausblick? Wird Omikron unser Weg in die Endemie?
Ich glaube, dass wir uns in der Endphase der Pandemie befinden. Die WHO hat bereits prognostiziert, dass sich 60 Prozent der Europäer mit der Omikron-Variante infizieren werden. Das erhöht die Grundimmunität in der Bevölkerung rapide. Ich glaube und würde es uns allen wünschen, dass Omikron unser Ausweg in die Endemie ist.
Auch weltweit? Es wird ja immer gemahnt, dass wir nur dann zur Ruhe kommen, wenn auch die Welt immunisiert ist. Sonst drohen uns neue Varianten?
Man kann nichts ausschließen, aber die bevölkerungsweite Grundimmunisierung durch Impfung oder Infektion, die nun stattfindet, wird die Gefahr neuer problematischer Varianten reduzieren. Ich bin da sehr optimistisch.
Herr Schmidt-Chanasit, wir danken Ihnen für das Gespräch!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Interview mit Jonas Schmidt-Chanasit
- Eigene Recherche