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Ausbreitung der Delta-Variante: Eine Masseninfektion ist ethisch nicht vertretbar


Meinung
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Ausbreitung der Delta-Variante
Eine Masseninfektion ist ethisch nicht vertretbar

MeinungG. Nyborg, A. Ewing, Y. Bar Yam und M. Schneider

Aktualisiert am 18.08.2021Lesedauer: 5 Min.
Einkaufsstraße in Düsseldorf: Vielerorts steigen die Inzidenzen stetig an. Vermehrt infizieren sich jüngere Menschen mit dem Coronavirus.Vergrößern des Bildes
Einkaufsstraße in Düsseldorf: Vielerorts steigen die Inzidenzen stetig an. Vermehrt infizieren sich jüngere Menschen mit dem Coronavirus. (Quelle: Michael Gstettenbauer/imago-images-bilder)

Die Delta-Variante ist hoch ansteckend. Wer nicht geimpft ist, ist somit einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt. Eine Lockerung der Maßnahmen wäre in dieser Situation fatal – und das nicht nur für Ungeimpfte, mahnt eine Gruppe von Forschern.

Das Infektionsrisiko ist durch die Delta-Mutante des Coronavirus für Ungeimpfte höher denn je – und das betrifft in Deutschland insbesondere Kinder und junge Menschen. Die Risiken sind nicht nur für diese Gruppen hoch, sondern für die ganze Welt, meinen die Wissenschaftler Gunhild Nyborg, Cécile Philippe, Andrew Ewing, Yaneer Bar Yam, Shi-Tu Chiou, Sunil Raina, Bengt Norden, Sigurd Bergman und Matthias Schneider. In einem Gastbeitrag für t-online erklären sie, warum Maßnahmen gegen die Ausbreitung von SARS-CoV-2 weiter wichtig bleiben.

Da sich die Delta-Variante weltweit durchsetzt, müssen wir unser Denken über die Eigenschaften und das zerstörerische Potenzial neuer Virusvarianten ändern. Wir brauchen gute politische Entscheidungen, um einen ausreichenden Schutz für unsere ungeschützten Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten – zugunsten der Gesundheit als auch der Wirtschaft.

Während der gesamten Corona-Pandemie wurde die tägliche Zahl der Infektionen, Krankenhausaufenthalte und Todesfälle durch das Coronavirus von Entscheidungsträgern zur Bewertung des angeblichen Risikos im Zusammenhang mit der Pandemie herangezogen. Da in immer weiteren Teilen der Welt immer mehr Menschen geimpft sind, vermitteln diese Parameter zunehmend ein unzureichendes Bild von den Risiken für die öffentliche Gesundheit, insbesondere für die nicht geimpften Menschen. Und die Mehrheit der Ungeimpften ist jung.

Extrem ansteckendes Virus

Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass die Delta-Variante, von der bereits bekannt ist, dass sie extrem ansteckend (1) ist, zu den am schnellsten übertragbaren Viren gehört (2), die wir kennen. Mit zunehmender Übertragbarkeit muss ein noch größerer Anteil der Bevölkerung immun sein, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.

In dieser Situation sind ausreichende nicht-pharmakologische Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie erforderlich, da ansonsten die meisten ungeimpften Personen innerhalb kurzer Zeit mit dem Virus in Berührung kommen werden. Mit dem Beginn des neuen Schuljahres wird die Übertragung unter den jungen Menschen wahrscheinlich dramatisch zunehmen.

Wir wissen noch immer zu wenig über Delta

Wie wird sich dies auf Kinder und Jugendliche auswirken? Trotz einer Fülle von Untersuchungen, die sich auf frühere Varianten stützen, haben wir bei Delta immer noch wenig Gewissheit über das, was vor uns liegt. Vieles von dem, was wir bisher wissen, bezieht sich auf frühere Virusvarianten mit unterschiedlichen Graden der Übertragbarkeit, der Krankheitsschwere, der Risikofaktoren und der Impfstoffwirksamkeit.

Aus mehreren Ländern, die mit der Delta-Variante konfrontiert sind, gibt es beunruhigende Berichte über Kinder, die Krankenhaus behandelt werden müssen oder die an Covid-19 sterben (3,4,5). Es gibt Hinweise darauf, dass dies nicht nur auf den raschen Anstieg der Fälle zurückzuführen ist, sondern auch darauf, dass die Delta-Variante eine schwerere Erkrankung verursachen kann (6). Unabhängig davon scheint es klar zu sein, dass Kinder und junge Erwachsene jetzt einer größeren Bedrohung durch SARS-CoV-2 ausgesetzt sind als zu jedem anderen Zeitpunkt der Pandemie.


Gunhild Alvik Nyborg ist eine norwegische Ärztin mit einem Abschluss in Wirtschaftswissenschaften und einem Doktortitel in Epidemiologie von der Universität Oslo. Während der Pandemie hat sie mit Wissenschaftlern in Norwegen und auf internationaler Ebene an der Überprüfung und Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Pandemie gearbeitet, um die Ausbreitung von SARS-CoV-2 einzudämmen und die negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft zu verringern.

Es gibt immer mehr Belege (7) für das Risiko von Langzeitkomplikationen auch bei jungen Menschen, einschließlich Organschäden. Eine kleine Anzahl von Kindern mit Covid-19 ist vom pädiatrischen Multisystem-Inflammationssyndrom (PMIS) betroffen (8), das häufig zu Herzfunktionsstörungen, Myokarditis, Herzkranzgefäßerweiterungen und Aneurysmen führt. Bei höheren Infektionszahlen werden wir wahrscheinlich noch viel mehr solcher Fälle erleben.


Andrew Ewing ist Professor für Chemie und Molekularbiologie an der Universität Göteborg in Schweden und Akademieprofessor an der Universität Shenzhen in China. Er ist gewähltes Mitglied der Königlichen Schwedischen Akademie der Wissenschaften und der Göteborger Akademie der Künste und Wissenschaften. Während der Pandemie war er Mitglied der Covid-19-Vereinigung des schwedischen Wissenschaftsforums, Mitglied der Covid-Aktionsgruppe und Mitglied der Weltgesundheitsorganisation.

Schwere Folgen

SARS-CoV-2 ist nicht nur ein Atemwegsvirus, es gibt Hinweise darauf, dass das Coronavirus selbst über den gleichen Weg wie der Geruch in das Gehirn gelangt (9). In einem kürzlich erschienenen Preprint (10) wurde in einer großen kontrollierten Studie mit Gehirnscans der Verlust grauer Substanz in bestimmten Teilen des Gehirns nach Covid-19 nachgewiesen (vor allem in den olfaktorischen Bereichen). Ein Verlust von Hirngewebe wurde auch bei Menschen mit leichter Krankheit festgestellt; bei Menschen mit schwerer Krankheit trat der Gewebeverlust auch in gedächtnisrelevanten Teilen des Gehirns auf.

In einer kürzlich durchgeführten Studie an Erwachsenen wurde bei 12 Prozent der Teilnehmer acht Monate nach einer Covid-19-Infektion ein reduziertes Gedächtnisvermögen festgestellt. Weitere kognitive Defizite wurden in einer Studie mit 90.000 Personen festgestellt (11). Ein internationales Konsortium zur Untersuchung der kurz- und langfristigen Folgen von SARS-CoV-2 auf das zentrale Nervensystem, das von der WHO unterstützt wird, untersucht nun auch, ob Covid-19 das Risiko der Entwicklung von Demenz auf lange Sicht erhöhen kann (12).

Risiko für schulische, kognitive und soziale Entwicklung

Es ist im Augenblick unklar, wie diese Studien sich auf Jugendliche übertragen lassen. Allerdings sind neurologische und psychiatrische Auffälligkeiten bei hospitalisierten Menschen mit Covid-19 viermal häufiger bei Kindern und Jugendlichen gegenüber Erwachsenen.

Eine kürzlich in "Nature" (13) veröffentlichte Studie ergab auch, dass 13 Prozent der zu Hause isolierten jungen Erwachsenen im Alter von 16 bis 30 Jahren nach sechs Monaten immer noch ein reduziertes Konzentrationsvermögen aufwiesen. Elf Prozent berichteten von Gedächtnisproblemen und mehr als die Hälfte wiesen nach sechs Monaten immer noch ein oder mehrere Symptome auf.

Solche Symptome werden häufig bei Menschen mit Long-Covid beobachtet (14) und können sich nachteilig auf die schulische, kognitive und soziale Entwicklung auswirken. Solche Symptome spiegeln sich nicht in der Zahl der Krankenhausaufenthalte und Todesfälle wider, können aber dennoch kurz-, mittel- und langfristig zu erheblichen menschlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kosten führen (15).

In diesem Szenario mit hohem Risiko, Ungewissheiten und angesichts der baldigen Verfügbarkeit von Impfstoffen und der bereits vorhandenen verschiedenen nicht pharmakologischen Maßnahmen, ist eine Masseninfektion junger Menschen keine ethisch vertretbare Option (16).

Zeit ist von entscheidender Bedeutung

Staaten sollten Impfkampagnen mit nicht-pharmazeutischen Maßnahmen kombinieren (17), um die Übertragung von SARS-CoV-2 zu unterbinden. Wo es sicher ist, Schulen zu öffnen, sollte die Belüftung Priorität haben, und die Behörden sollten sich bemühen, Ressourcen bereitzustellen, damit Kinder und Jugendliche in kleineren Gruppen unterrichtet werden können. Wo immer möglich, sollten Masken als universeller Schutz vorhanden sein. Eltern sollten sich impfen lassen, um sich und ihre Kinder zu schützen.

In einigen Monaten werden Ergebnisse aus klinischen Studien mit Kindern ab sechs Monaten vorliegen. Vorerst sollten die Gesundheitsbehörden Maßnahmen ergreifen, um Kinder ab dem zwölften Lebensjahr zu impfen (18), sobald der Impfstoff verfügbar ist. Da das neue Schuljahr beginnt, ist Zeit von entscheidender Bedeutung.

Die Minimierung der Zahl der Infektionen ist die beste Strategie, um das Auftreten neuer, gefährlicherer Varianten (19) zu verhindern. Jeder Infektionsfall ist gleichzusetzen mit dem Kauf eines weiteren Loses für die Variantenlotterie. Jedes Land, das beschließt, die Kontrolle des Virus zu verringern, erhöht nicht nur sein eigenes Risiko, sondern das der ganzen Welt. In Solidarität mit der ganzen Welt müssen wir die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus kontrollieren.

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
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