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Steigende Aggression durch Corona – Psychiater erklärt, was Sie tun können


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Steigende Aggression durch Corona
Wie stark die Pandemie die Seele belastet


Aktualisiert am 25.12.2020Lesedauer: 5 Min.
Ein junges Paar streitet sich: die Corona-Pandemie führt viele Menschen an ihre seelische Belastbarkeit. Wut und Aggression sind häufig die Folge.Vergrößern des Bildes
Ein junges Paar streitet sich: die Corona-Pandemie führt viele Menschen an ihre seelische Belastbarkeit. Wut und Aggression sind häufig die Folge. (Quelle: LightFieldStudios/Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Die Auswirkungen der Corona-Pandemie schüren Verunsicherung, Ängste, Reizbarkeit und Wut. Warum nehmen Aggressionen in Krisenzeiten zu? Und wie kann man mit dem Frust und der Wut im Bauch umgehen? t-online hat bei einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie nachgefragt.

Die psychische Dauerbelastung, die mit der Corona-Pandemie verbunden ist, hat Folgen für die Psyche. Viele Menschen befinden sich in einem emotionalen Ausnahmezustand. Die Einschränkungen im Alltag, die Gefahr einer Ansteckung, die Unsicherheiten im Beruf, die familiäre Situation: All das schürt neben Ängsten, Sorgen und Unsicherheiten auch Wut, Frust und Aggressionen.

Wenn die Seele schreit

"Die Corona-Monate im Ausnahmezustand machen zunehmend mehr Menschen gereizt und aggressiv. Wut ist letztendlich eine typische Reaktion auf anhaltende reale oder antizipierte Ängste. In Verbindung mit wachsender Frustration führt das bei vielen Menschen zu Konfliktsituationen, die schnell eskalieren können – in jedem Lebensbereich", sagt Dr. Andreas Hagemann, Ärztlicher Direktor der auf Psychosomatik spezialisierten Röher Parkklinik in Eschweiler bei Aachen.

Der Verteidigungsmodus springt an

Fühlt sich der Mensch in die Ecke gedrängt, reagiert er auf zwei Arten: entweder gelähmt oder er geht in den Angriffs- und Verteidigungsmodus. Das Ziel ist Schutz: Schutz der Freiheit, der Existenz, der Gesundheit, der Familie. Im Kopf gibt es "Freund oder Feind". Während es in der Steinzeit Säbelzahntiger waren, gegen die man kämpfen musste, sind es in der heutigen Zeit diffuse Gefahren.

Das, was das gewohnte Leben, den liebgewonnen Alltag und alles, was man sich aufgebaut hat, bedroht, ist nicht greifbar. Dem Menschen fehlt die Möglichkeit, den Wunsch nach Verteidigung und Angriff gezielt einzusetzen. Die Aggression entlädt sich in eigentlich harmlosen Situationen.

Bedrohung: Kampf oder Flucht?

Sammeln sich über eine bestimmte Zeit immer mehr verschiedene Emotionen an, ist der innere Gefühlsspeicher irgendwann voll. Während sich die einen zurückziehen, wie gelähmt sind und mit ihrer Verzweiflung alleine kämpfen und möglicherweise eine Angststörung oder Depression entwickeln (Flucht), platzt anderen der Kragen. Sie reagieren offensiv und machen sich ihrer Wut und ihrem Frust Luft (Angriff). Die Hemmschwelle für Aggressionen sinkt – im privaten wie im öffentlichen Bereich. Die Ausschreitungen vieler Corona-Proteste sind ein Beispiel.

"Es ist die Hilflosigkeit, die den Menschen so stark zu schaffen macht. Und die Einschränkungen, welche die Corona-Pandemie mit sich bringt", weiß der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.

"Zusätzlich verschärft wird die beklemmende Situation durch die frustrierende Pandemie-Entwicklung momentan. Hohe, teils sogar steigende Corona-Zahlen trotz Beschränkungen. Viele fragen sich, wo das hinführen soll. Die Einschnitte in das Leben sind für viele jetzt bereits enorm. Zukunftsängste nehmen zu."

Isolation macht aggressiv

Doch die Menschen sehen nicht nur ihre Freiheit und Existenz bedroht. Sie spüren auch die Belastungen der Kontaktbeschränkungen. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Fehlen ihm Kontakt, Austausch und Nähe zu anderen, ist das schlimm.

Noch schlimmer ist es, wenn er seine Lieben im Krankenhaus nicht besuchen kann, einen Familienangehörigen auf dem Sterbeweg nicht begleiten darf, Trauerfeier und Abschied beschränkt sind und Ängste bestehen, die eigene Familie nicht mehr versorgen zu können, weil Arbeitslosigkeit droht. Das macht wütend und verzweifelt. Die Situation anzunehmen, fällt schwer. "Das darf nicht sein. Ich will das nicht", ist eine normale Abwehrreaktion. Die Wut richtet sich gegen alles, was die eigene Sicherheit und Geborgenheit bedroht.

"Zu erheblichen Überforderungen kommt es durch die anhaltende Corona-Krise bei sehr vielen Menschen, die Familienleben und Job unter sehr belastenden Bedingungen meistern müssen. Hierbei sind nicht nur die konkreten Gefahren eine Belastung, sondern vor allem die individuellen Erwartungen, was noch alles passieren könnte", sagt Hagemann. "Ausmaß und Dauer der Pandemie bringen viele an die Grenzen ihrer psychischen Belastbarkeit. Es wird einfach alles zu viel. Und dieses Zuviel sucht sich ein Ventil. Vieles ist nicht mehr rational gesteuert und gerät außer Kontrolle."

Corona und Aggressivität in der Familie

Familien sind ganz besonders von der Corona-Krise betroffen. Die Ausnahme-Situation mit Unterrichtsausfall und Home-Office stellt alle Beteiligten vor enorme Herausforderungen. Neben den bereits beschriebenen äußeren Belastungsfaktoren sind dem Psychologen zufolge insbesondere der mangelnde Rückzug und die permanente Doppelbelastung, gedanklich an mehreren Orten gleichzeitig präsent sein zu müssen, krankheitsfördernd. Kommen dann noch finanzielle Beschränkungen durch Jobverlust oder Kurzarbeit hinzu, sind die Eltern in einem Ausnahmezustand. Die Geduld hängt an einem seidenen Faden.

"Aber auch die Kinder sind überfordert, der Situation oft hilf- und schutzlos ausgeliefert: durch die Ungewissheit, die Angst vor einer Erkrankung, reduzierte Kontakt- und Freizeitmöglichkeiten sowie gegebenenfalls zunehmenden Streit in der Familie oder häusliche Gewalt", sagt Hagemann. Eskaliere die Situation und ließen sich Konflikte nicht mehr lösen, sollte sich die Familie Unterstützung suchen. Kompetente Ansprechpartner seien unter anderem die Telefonseelsorge (0800-1110111), das Hilfetelefon ‘Gewalt gegen Frauen‘ (0800-116016) sowie das Kinder- und Jugendtelefon (116111).

Wie lassen sich Aggressionen vorbeugen?

Damit Konfliktsituationen nicht eskalieren, rät der Psychiater, in (Streit-) Gesprächen möglichst sachlich und höflich zu bleiben. Stoßen ruhig vorgebrachten Argumente auf wütende Ablehnung, sei es gegebenenfalls besser, auf ein weiteres Gespräch beziehungsweise weitere Auseinandersetzungen zu verzichten.

Nicht für jeden Konflikt gebe es eine Lösung – und das müsse es auch nicht. Auch zwei verschiedene Meinungen sollten die Möglichkeit haben, nebeneinander stehen zu dürfen. Wut und Aggression sind ein Ausdruck von Hilflosigkeit, Überforderung und Ängsten. "Um selbst ausgeglichen und gelassener reagieren zu können, empfehlen sich regelmäßige Entspannungsübungen wie die Progressive Muskelrelaxation oder Autogenes Training", rät Hagemann. "Förderlich ist auch körperlicher Ausgleich. Viel Sport und Bewegung wirken Aggressionen und Stress nachweislich entgegen. Sein persönlicher Tipp: Versuchen Sie trotz aller Corona-Beschränkungen auch das Positive im Leben zu sehen und schaffen Sie sich kleine tägliche Highlights.

Raus aus der Passivität, rein ins Handeln

Eine wichtige Stütze ist zudem der Austausch mit anderen Menschen, die eine ähnliche Situation erleben. Das stützt, gibt Kraft und bietet häufig Ideen, wie sich die eigene Situation verbessern lässt. Nehmen Sie außerdem Hilfsangebote an. Informieren Sie sich, welche Hilfen für Sie eine Stütze sein können.

Je aktiver Sie werden und je mehr Sie wieder das Gefühl zurückerlangen, die Situation lenken zu können – im privaten, im beruflichen sowie im Kontakt mit anderen – desto mehr Sicherheit schaffen Sie sich. Und desto geringer werden Ihre Wut und Ihre Aggression.

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Psychosomatische Beschwerden durch Corona?

Die anhaltende Belastung der Pandemie-Situation zeigt sich nicht nur durch bewusste Reaktionen, sondern arbeitet auch im unbewussten Inneren. Ängste können sich durch verschiedene körperliche Beschwerden ausdrücken. Andauernde Kopfschmerzen und Rückenschmerzen sind ein häufiges Beschwerdebild, wenn zu viel Last auf den Schultern liegt. Schlaflosigkeit und Konzentrationsschwäche zeigen ebenso, dass Körper und Psyche arbeiten.

Auch Tinnitus ist eine häufige Folge anhaltender Belastungssituationen. Die psychosomatischen Folgen auf Stress entstehen schleichend. Was sich oft zuerst durch harmlos erscheinende körperliche Beschwerden zeigt, kann sich im weiteren Verlauf zu einer Angststörung oder einer Depression entwickeln.

"Es ist schwer zu erkennen, wo die Angst aufhört und wo eine Angsterkrankung anfängt," sagt Hagemann. Generell gelte: Suchen Sie bei länger anhaltenden belastenden Symptomen möglichst früh therapeutische Hilfe – bevor sich die Angst zu einer Angsterkrankung oder die Verstimmung zu einer Depression entwickelt. "Je früher der Therapeut beziehungsweise Facharzt konsultiert wird, desto kürzer die Behandlung und umso effektiver die Ergebnisse."

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Dr. Andreas Hagemann
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