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Experten beurteilen Maßnahmen: Wie sinnvoll sind die neuen Corona-Regeln?


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Experten beurteilen Maßnahmen
Wie sinnvoll sind die neuen Corona-Regeln?


Aktualisiert am 30.09.2020Lesedauer: 4 Min.
Angela Merkel, Markus Söder und Peter Tschentscher: Auf der gemeinsamen Pressekonferenz stellen sie die Ergebnisse über das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie vor.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel, Markus Söder und Peter Tschentscher: Auf der gemeinsamen Pressekonferenz stellen sie die Ergebnisse über das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie vor. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)
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Die Corona-Lage in Deutschland nähert sich wieder einem kritischen Zustand. Deshalb hat die Bundesregierung mit den Ländern heute die Corona-Regeln verschärft. Was sagen Experten zu den neuen Maßnahmen?

Bundeskanzlerin Angela Merkel warnte vor dem Treffen mit den Ministerpräsidenten vor einem beunruhigenden Anstieg der Corona-Zahlen, gerade auch im privaten Bereich. Deshalb wurden nun neue Maßnahmen beschlossen. t-online hat den Epidemiologen Prof. Dr. Markus Scholz von der Universität Leipzig und Dr. Ute Teichert, Bundesvorsitzende der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, gefragt, wie sinnvoll die neuen Regeln sind.

Unter anderem wurde folgendes beschlossen:

Hotspot-Strategie statt bundesweitem Lockdown

Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte, dass weiterhin nach der sogenannten Hotspot-Strategie entschieden werde und ein bundesweiter Lockdown verhindert werden soll.

Diese Entscheidung begrüßt der Epidemiologe Prof. Dr. Markus Scholz, wie er im Gespräch mit t-online erklärt. "Ich finde es berechtigt, dass man regional reagiert – das ist durchaus gerechtfertigt, da ja auch die Pandemie regional unterschiedlich schwer verläuft. So kann man in Kreisen mit niedrigem Infektionsgeschehen mehr erlauben als in anderen. Das kann auch die Akzeptanz in der Bevölkerung erhöhen, denke ich."

Problematisch sieht der Epidemiologe die Konzentration auf die Infektionszahlen als einzigen Wert zur Entscheidung: "Wichtig wäre, dass definiert wird, welche Ziele man mit den Corona-Maßnahmen verfolgt. Von Frau Merkel und Herrn Söder wurde hierzu gesagt, dass das Ziel die Brechung des exponentiellen Trends ist", so Scholz. "Dazu müsste die Reproduktionszahl dauerhaft auf ca. 1 gehalten werden. Ob die Maßnahmen, die jetzt verabschiedet wurden, dafür reichen, muss man sehen."

Scholz sagt aber auch: "Eine andere Zielgröße könnte die Nachvollziehbarkeit von Kontakten sein. Hierzu müsste die Zahl der lokalen Neuinfektionen limitiert werden. Darauf wird nach meinem Eindruck aktuell am meisten geschaut." Wolle man eine Überlastung des Gesundheitssystems vermeiden, spiele die Zahl der belegten Intensivbetten eine Rolle, betont der Epidemiologe. Dieser Parameter reagiere aber nur mit wochenlanger Verzögerung auf Maßnahmen, so dass dies keine geeignete Größe zur Pandemiesteuerung sei.

Bußgeld für falsche Angaben bei Restaurant- und Kneipenbesuchen

Zukünftig wird bei falschen persönlichen Angaben in Restaurants oder anderen Wirtschaften ein Mindestbußgeld von 50 Euro fällig. In besonders betroffenen Regionen (zum Beispiel Berlin) will der Bund außerdem unter bestimmten Bedingungen auch den Alkoholausschank zeitlich begrenzen lassen.

"Das finde ich sehr gut", sagt Dr. Ute Teichert zu t-online. "Das betrifft uns sehr. Ich kann nicht nachvollziehen, warum jemand falsche Angaben macht. Das sollte im Interesse der eigenen Person sein, dass man benachrichtigt wird, wenn man als Kontaktperson betroffen ist. Das macht den Gesundheitsämtern super viel Arbeit, nicht nur bei den Restaurants und Bars, sondern auch bei den Aussteigekarten in den Flugzeugen der Reiserückkehrer. In Deutschland muss es offenbar erst so strenge Regeln geben, damit die Menschen richtig handeln."

(Quelle: Bettina Engel-Albustin)

Dr. med. Ute Teichert


Dr. med. Ute Teichert ist die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Die Fachärztin vertritt somit die Interessen von rund 3.000 Ärztinnen und Ärzten in über 400 Gesundheitsämtern. Der Öffentliche Gesundheitsdienst hat eine wichtige Funktion im Infektions- und Katastrophenschutz. Ute Teichert leitet außerdem seit 2014 die Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf.

Grenzwerte für private Feiern je nach Infektionszahlen

Feiern in öffentlichen Räumen werden auf 50 Teilnehmer beschränkt, in privaten Räumen maximal 25 Personen "empfohlen". Dies gilt, wenn in einem Landkreis innerhalb von sieben Tagen mehr als 35 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner auftreten. Gibt es innerhalb von sieben Tagen mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, dürfen höchstens noch 25 Menschen öffentlich feiern, privat werden nur noch zehn "dringlich empfohlen".

"Wenn man Größen von privaten Feiern reduziert, kann man natürlich die Kontakte entsprechend verringern", so Scholz. Der Epidemiologe bezweifelt allerdings, dass die Regeln auch eingehalten werden: "Ob man wirklich bei privaten Feiern Höchstgrößen festlegen kann, die kontrollierbar sind, da kann man Zweifel haben." Allerdings seien Empfehlungen zu privaten Feiern sinnvoll, "gerade, weil sich ja auch herausgestellt hat, dass viele Infektionen in der letzten Zeit auf solche Feiern zurückgeführt werden können."

Ute Teichert reagiert ähnlich: "Auch das hat enorme Auswirkungen auf unsere Arbeit. Je mehr Menschen an Feiern beteiligt sind, umso höher ist auch die Zahl der Kontaktpersonen. Das macht also deutlich mehr Arbeit. Die neuen Regeln sind eine Entlastung für die Gesundheitsämter."

Fieber-Ambulanzen zur Entlastung von Arztpraxen

Wenn die erwartete Grippewelle auf die Corona-Pandemie trifft, sollen zur Entlastung der Arztpraxen und Krankenhäuser Fieber-Ambulanzen und Schwerpunkt-Sprechstunden für Entlastung sorgen. Gesundheitsämter, die mit der Verfolgung von Kontakten zu Infizierten nicht mehr hinterherkommen, sollen sich bei den Landesbehörden melden, die dann das Robert Koch-Institut alarmieren.

"Schwerpunktpraxen mit Fieberambulanzen finde ich gut", sagt Teichert. "So können Infizierte in gesonderten Bereichen behandelt werden und stecken andere Patienten im Wartezimmer nicht an. Sowas haben wir auch schon zu besonders heftigen Influenzazeiten gemacht."

Etwas kritischer sieht sie die Idee mit der personellen Unterstützung:
"Das ist ein gut gemeintes Hilfsangebot, wenn die Gesundheitsämter zusätzliches Personal anfordern können. Wo das aber herkommen soll, ist mir noch nicht ganz klar. Ich weiß nicht, ob es im Robert Koch-Institut so viele Menschen gibt, die sofort abrufbar sind. Vielleicht werden die dann alle von der Arbeit freigestellt?“

Schulen nicht mehr vollständig schließen

Laut Bundeskanzlerin Merkel sei es oberstes Ziel der Bundesregierung, die Wirtschaft am Laufen und Schulen und Kitas offen zu halten. Künftig sollten die Kontakte in den Schulen so weit begrenzt werden, dass bei einem Infektionsfall nicht mehr ganze Schulen mit Hunderten Schülern geschlossen werden müssten, sondern nur noch ein Teil der Schüler für einen gewissen Zeitraum isoliert werden müsste.

(Quelle: Universität Leipzig)

Prof. Dr. Markus Scholz



Prof. Dr. Markus Scholz leitet am Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie (IMISE) der Universität Leipzig eine Arbeitsgruppe zur Genetischen Statistik und Systembiologie. Er beschäftigt sich mit molekularen Ursachen von komplexen Erkrankungen sowie mit deren Modellierung. Seine Arbeitsgruppe betreibt seit 15 Jahren Infektionsforschung und untersucht aktuell auch die Corona-Pandemie.

Scholz bezweifelt eine Umsetzbarkeit: "Dass bei den Schulen die Kontakte unter den Schülern reduziert werden sollen, scheitert meiner Erfahrung nach spätestens auf dem Schulhof. Die Schüler werden teilweise zu unterschiedlichen Zeiten zum Essen geschickt, aber wenn sie sich auf dem Schulhof treffen, entstehen automatisch Kontakte." Zusätzlich sieht er auch ein Problem bei der Lehrerschaft: "Am Gymnasium geht es auch nicht mehr, dass nur ein Lehrer pro Klasse zuständig ist: Es wird also zumindest einen Lehreraustausch zwischen den Klassen geben." Man könne aber versuchen, die Kontakte zwischen den Klassen durch unterschiedliche Einlasszeiten, Eingänge usw. zu reduzieren, rät der Epidemiologe.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Nachrichtenagentur dpa
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