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Virologe Streeck im Interview: "Warum sind Sie so skeptisch beim Impfstoff?


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Virologe zur Corona-Forschung
Professor Streeck, warum sind Sie so skeptisch beim Impfstoff?


Aktualisiert am 01.10.2020Lesedauer: 4 Min.
Hendrik Streeck: Er ist Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik in Bonn.Vergrößern des Bildes
Hendrik Streeck: Er ist Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik in Bonn. (Quelle: Federico Gambarini/dpa)

Wann der Impfstoff gegen Covid-19 kommt, kann niemand genau sagen. Der Virologe Hendrik Streeck ist vorsichtig und hält nichts von allzu optimistischen Vorhersagen. Warum, erklärt er im Interview.

Der Virologe Hendrik Streeck hält einen baldigen Covid-19-Impfstoff für unwahrscheinlich. Im Interview mit t-online erklärt der Bonner Forscher, warum er skeptischer ist als andere Experten und welche Erfahrungen er bei der Suche nach Impfstoffen gemacht hat. Streeck spricht auch über die Schwachstellen der Corona-Forschung und seine eigene mediale Präsenz.

t-online: Professor Streeck, mehrere Impfstoffprojekte laufen derzeit in der Phase III – der letzten und entscheidenden klinischen Testphase an Freiwilligen. Sie haben allerdings mehrfach gesagt, dass Sie einen baldigen Impfstoff für unwahrscheinlich halten. Warum sind Sie so skeptisch?

Hendrik Streeck: Es kann sein, dass der nächste Impfstoff wunderbar funktioniert. Aber es kann genauso sein, dass alle Impfstoffe, die in der Phase III sind, nicht funktionieren. Das lässt sich einfach nicht seriös vorhersagen, wie auch vorherige Studien gezeigt haben.

Woher genau kommt diese Zurückhaltung?

Ein paar Beispiele, warum ich da so vorsichtig bin:

1961 hatten wir einen Impfstoff gegen RSV, ein schlimmes Lungenvirus bei Kindern. Dieser wurde an Kindern getestet – es lief alles wunderbar, keine großen Nebenwirkungen. Dann zeigte sich, dass es Antikörper-verstärkende Erkrankungen gibt. Wenn man also schon eine Immunantwort auf das Virus hat, kann diese die Erkrankung sogar noch verschlimmern. In Folge der Impfstoffversuche 1961 starben so zwei Kinder, die vorher den Impfstoff bekommen hatten. Wir kennen das gleiche Phänomen auch von Dengue und anderen Erregern.

Bei HIV haben sich bei der Impfstoffphase III mehr Menschen infiziert, die den Impfstoff bekommen haben als die, die ihn nicht erhalten haben. Es gibt auch für Coronaviren in Tierversuchen diese Antikörper-verstärkende Immunantwort. Für den russischen Impfstoff "Sputnik-V" etwa wird vermutet, dass es dadurch zu mehrfacher HIV-Infektion kommen kann.

Wir haben bisher auch keinen Impfstoff gegen die humanpathogenen Coronaviren gefunden, obwohl an MERS und SARS geforscht wird.

Aber mehrere Studien zu Impfstoffkandidaten können doch optimistisch stimmen ...

Ich betrachte die Daten der Impfstoffstudien sehr vorsichtig. Ein AstraZeneca-Impfstoff zum Beispiel wird wahrscheinlich bewirken, dass sich jemand infizieren kann und keinen schweren Covid-19-Verlauf hat. Das ist für so eine Pandemie suboptimal.

Warum?

Das Virus kann trotzdem weitergegeben werden – auch an die Menschen, die keine gute Immunantwort gegen SARS-CoV-2 aufbauen und somit nicht gut geschützt sind. Außerdem diskutieren wir gerade eine weitere wichtige Frage: Was machen wir, wenn der Impfstoff nur zu 40 Prozent effektiv ist?

Was würde dieses Szenario bedeuten?

Wenn es gut kommt, lassen sich vielleicht 50 Prozent der Menschen damit impfen. Dann sind aber nur 20 Prozent von ihnen geschützt. Aber alle Geimpften glauben, sie wären geschützt. Wenn man dann von den AHA-Regeln abweicht, kommt man vom Regen in die Traufe.

Ich bin realistisch, und behaupte nicht: "Wir haben in diesem Herbst einen Impfstoff". Ich bin aber auch nicht derjenige, der meint: "Es gibt keinen Impfstoff in den nächsten 15 Jahren." Ich sage nur, dass wir es nicht wissen.

Vor der Corona-Pandemie war die HIV-Forschung Ihr wichtigstes Forschungsfeld. Haben Sie von der Forschung an Corona eigentlich manchmal genug?

An HIV und anderen Viren forschen wir weiter, das hat nicht aufgehört. Und ich forsche weiterhin sehr intensiv an SARS-CoV-2. Aber die Wissenschaft ist zu Covid-19 sehr gesättigt. Das merkt man daran, dass es schwieriger geworden ist, Artikel zu publizieren und in wissenschaftlichen Journals zu veröffentlichen.

Ist das eine Schwachstelle der Forschung?

Die Forschung läuft nicht gemeinsam, jeder versucht für sich am schnellsten zu sein. Das ist schade, weil es zum Teil darum geht, schnelle Ergebnisse zu liefern, so dass der Einzelne sich mit einer besseren Publikation profiliert.

Eine Pandemie sollte dazu führen, dass die Aufgaben unter allen Forschern verteilt sind. Das ist meine Vision für die Wissenschaft, dass wir alle gemeinsam – weltweit oder zumindest in Europa – in Gruppen bestimmte Themenkomplexe bearbeiten. Dann geht es mehr darum, wie wir schnellstmöglich Wissen über das Virus und die Erkrankung erlangen, sozusagen ein Manhattan-Projekt.

So etwas müsste natürlich erst einmal aufgebaut und dann von oben koordiniert werden. Oder gibt es schon Instanzen, die Sie dafür in Betracht ziehen? Die WHO vielleicht?

Die Weltgesundheitsorganisation koordiniert bereits, wenn es um epidemiologische Studien geht. Ich wünsche mir, dass sie insgesamt gestärkt wird und zum Beispiel solche Aufgaben neu übernimmt.

Sind Sie da zuversichtlich?

Noch sehe ich das leider nicht. Es hängt natürlich auch von den USA ab, aber wir brauchen eine starke WHO. Denn nur gemeinsam können wir eine Pandemie besiegen.

Sie sind ja als Virologe gerade sehr präsent und werden in den sozialen Medien auch von Corona-Leugnern angegriffen. Ist der Umgang damit belastend?

Es ist Neuland für mich gewesen, solchen Angriffen ausgesetzt worden zu sein. Aber mit der Erkenntnis ist auch hier die Erfahrung entstanden, damit umgehen zu können.

Wir danken für das Gespräch, Professor Streeck!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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