Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Maskenpflicht in Corona-Zeiten Was manche Deutsche von den Italienern lernen können
Italiener sind eher bekannt für die Lust am Leben, als für Regeln, Vorschriften und Disziplin. Im Corona-Sommer 2020 erlebe ich dort aber eine ganz neue Seite. Von der sich mancher Deutsche eine Scheibe abschneiden könnte.
Ich komme gerade aus Italien. Nach langem Überlegen und Abwägen habe ich dort Urlaub gemacht – am Gardasee, mitten im einstigen Corona-Epizentrum Europas. Bei meinen geliebten Italienern, die nicht gerade bekannt dafür sind, dass sie sich gerne an Regeln halten.
Maskenschutz und Abstandsregeln in Italien: Wie läuft das in dem Land des Dolce Vita und der fröhlichen Disziplinlosigkeit, wo die rote Ampel längst nicht bedeutet, dass du mit deinem Alfa auch stehen bleibst? Wie wird es dort mitten in der Corona-Krise sein?
Die neue Disziplin der Italiener
Es war die größte Überraschung, die ich auf all meinen Italienreisen erlebt habe: Die Menschen in der gesamten Region um den Gardasee halten sich in einer nie vorher gesehenen Disziplin an alle Regeln. An der Fähre in Torri del Benaco wird am Pier bei jedem Passagier Fieber gemessen. Die Leute warten ruhig und geduldig mit Mundschutz in der Schlange. Vor den Geschäften in Bardolino oder Toscolano stehen automatische Spender für Desinfektionsmittel zum Einsatz vor jedem Zutritt bereit.
Und bevor ich in der Eisdiele in Garda meine Granita bekomme, muss ich das Schleckermaul vor mir rauskommen lassen und den Mund-Nasen-Schutz korrekt aufgesetzt haben. Ich mache das natürlich sowieso vor dem Eintreten. Im Gegensatz zu einer deutschen Touristin im Supermarkt. Sie will den Security-Mitarbeiter im deutsch-italienischen Sprachmix wild gestikulierend davon überzeugen, dass sie per Attest vom Arzt von der Maskenpflicht befreit sei. Der Mann schaut sie unbeeindruckt an und schmeißt sie raus.
Ohne Maske kein Shopping. So einfach ist das in Italien gerade. Bravo! Ich bin begeistert und denke, warum geht das in Deutschland nicht. Warum haben wir dort Regeln, die doch niemand verfolgt?
Zurück in Berlin: Der Schock
Als ich nach zwei Wochen Ferien bei den diszipliniertesten Italienern, die ich je erlebt habe, zurück nach Berlin komme, kriege ich einen Schock.
Auf dem S-Bahn-Steig warten ungefähr 50 Personen auf ihren Zug. Zwei Drittel haben den Mundschutz unter dem Kinn baumeln oder überhaupt nicht im Gesicht. Im Zug sieht es zwar etwas besser aus, nur noch ein Drittel fährt mit der Maske unter der Nase. Obwohl es eine Pflicht und Bußgeld bei Missachtung gibt. Aber das interessiert wenig, da es niemanden gibt, der kontrolliert. Vom nicht einhaltbaren Mindestabstand will ich gar nicht reden, das Abteil ist brechend voll.
Personal am Flughafen Berlin ignoriert Maskenpflicht
Den Höhepunkt der deutschen Ignoranz und Arroganz erlebte ich bereits zwei Wochen zuvor beim Abflug in Berlin-Tegel: Während Passagiere alle 15 Minuten über Durchsagen ermahnt werden, die Maskenpflicht einzuhalten, treffe ich beim Security-Check auf Mitarbeiterinnen, die ihren Mund-Nasen-Schutz als lästiges Accessoire unter dem Kinn schlabbern lassen.
Ich bin stinksauer und frage die Kollegin, die mich abfertigt, ob es hier keine Maskenpflicht mehr gäbe. Im in Berlin häufig anzutreffenden ignorant-überheblichen Ton antwortet sie: "Jaja…alles wird gut, wir kriegen das schon hin." Sie ist übrigens nicht die einzige Kollegin, die sich nicht an die Corona-Regeln hält und glaubt, sich über sie hinwegsetzen zu können.
Wieso wird eine Frau, die täglich mit Tausenden von Reisenden aus aller Welt Kontakt hat und nicht fähig ist, einen Mundschutz zu tragen, nicht aus dem Verkehr gezogen? In Italien wäre ihr Einsatz am Flughafen so undenkbar.
Deutschland hat einfach Schwein gehabt
Was muss bei solchen Ignoranten eigentlich noch passieren, um ihnen klar zu machen, wie asozial sie sich benehmen. Deutschland hatte bislang viel Glück in der Corona-Pandemie. Hauptsächlich, weil wir Anfang des Jahres ein paar Wochen früher mit Maßnahmen auf das Virus reagiert hatten als unsere Nachbarn.
Wir müssen nicht so tun, als hätte Deutschland irgendwas besonders toll gemacht oder als wären wir den anderen überlegen. Wir haben Schwein gehabt, dass bislang mit 9.423 Menschen vergleichsweise wenige an den Folgen des Coronavirus gestorben sind. Italien hatte dieses Glück nicht. Hier kam das Virus früher an. Die Familien dort haben bis heute 35.758 Corona-Tote zu beklagen.
In manchen Regionen Corona-Tote in fast jedem Ort
In Norditalien hat das Coronavirus in den drei Regionen rund um den Gardasee gewütet wie fast nirgendwo in Europa: Im Norden in Trentino-Südtirol, in der westlichen Lombardei und im Osten in Venetien.
Äußerlich sind die Spuren – bis auf weniger Touristen – für mich als Besucher im September kaum zu sehen. Die Spuren, die Corona an diesem wunderschönen Fleckchen Erde hinterlassen hat, liegen viel tiefer. Der Vermieter unseres Ferienhauses erzählt uns, dass fast jede Familie vom Virus betroffen war. In nahezu jedem Ort gab es Corona-Tote, er selbst hat den Vater verloren. Er würde nicht im Traum daran denken, ohne Mundschutz einkaufen zu gehen.
Italien hat seine Lektion gelernt
Regel-Verweigerer wie die Mitarbeiterin am Tegeler Security-Check oder in der Berliner S-Bahn-kämen in Italien nicht einen Meter weit. Dort mussten die Menschen im Frühjahr wochenlang auf alles verzichten, was zu jenem Lebensstil gehörte, wegen dem auch viele Deutsche Jahr für Jahr nach Italien pilgern: Kein Aperitivo mit den Freunden, keine großen Familienessen, kein Sonnenbad am Lido, keine Modenschauen.
Stattdessen: Abgeriegelte Regionen, Ausgangssperren und ein stillstehendes öffentliches Leben. Ganz Italien war quasi unter Quarantäne. Solche Bilder aus dem Land, wo die Zitronen blühen, hatten wir so noch nie gesehen: Leergefegte Straßen in Rom und Mailand, unendliche Reihe von Särgen in Bergamo und die Hilferufe der Ärzte aus den Krankenhäusern der Region werde ich so schnell jedenfalls nicht vergessen.
- Maskenpflicht: Wie hoch ist das Ansteckungsrisiko im Freien?
Bravo Italia! Lernen vom traumatisierten Land
Der Respekt der Italiener vor dem Coronavirus ist auch wegen dieser Erfahrung enorm. Genauso wie ihre Disziplin. Der Feind ist nicht die Regierung, die Medien oder ein amerikanischer Milliardär. Der Feind ist das Coronavirus und gegen das kämpft man in der Not unisono und im Kollektiv. "Responsabilità" war im letzten halben Jahr ein oft gehörtes Wort in Italien. Verantwortung, die haben die Italiener auf vorbildliche Weise übernommen.
Die Corona-Ignoranten hierzulande, die glauben, das Coronavirus ginge sie nichts an oder existiere gar nicht, können viel lernen von den so oft belächelten Italienern. Von ihrem Willen, das Virus zu besiegen. Und von der Solidarität, gemeinsam die Regeln einzuhalten, um sich selbst und die Mitmenschen zu schützen.
Europa vor dem Herbst: Die Pandemie ist noch da
In Europa ist die Corona-Lage kritisch. Die Fallzahlen steigen fast überall weiter an. Dramatisch ist es in Frankreich und Spanien. Dort ist die Situation bereits schlimmer als im März zur ersten Welle. Inzwischen gibt es europaweit starke Restriktionen. Sperrstunden für die Gastronomie in Frankreich, Militäreinsatz in Großbritannien und Absage der Après-Ski-Partys in Österreich. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie werden auf dem Kontinent deutlich verschärft. In Italien bleiben die Zahlen dagegen auf niedrigem Niveau.
Ähnlich ist es in Deutschland – noch. Die Übertragungswege des Virus liegen bei uns derzeit im privaten Bereich – bei Feiern, Familientreffen, Hochzeiten und Partys. Ein Problem, das von uns allen bekämpft werden kann. Aber dazu gehört etwas, was vielen in Deutschland gerade fehlt: "Responsabilità".
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.