Faktencheck Steigen die Corona-Zahlen, weil mehr getestet wird?
Die Corona-Infektionen gehen weiter nach oben, einige schieben das auf die Ausweitung der Tests. Warum das zu einfach gedacht ist.
Seit Ende Juli steigen die Zahlen der bekannten Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Deutschland wieder an. Es gibt Stimmen, die dafür allein die Aufstockung der Tests verantwortlich machen – und nicht eine größere Verbreitung des Erregers.
Behauptung
Die Corona-Fallzahlen erhöhen sich derzeit nur deshalb, weil mehr Menschen auf den Erreger untersucht werden.
Bewertung
Ein Anstieg ist nur zum Teil auf die höhere Anzahl an Tests zurückzuführen, für das gesamte Infektionsgeschehen ist eine solche Schlussfolgerung aber unzulässig.
Fakten
Die Zahl der aus den Bundesländern übermittelten Corona-Fälle in Deutschland war seit Mitte März bis Anfang Juli rückläufig, seitdem nimmt sie wieder stetig zu. Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) bis Samstagmorgen 1.415 neue Corona-Infektionen innerhalb eines Tages.
Doch auch die Gesamtzahl der Tests steigt kontinuierlich. Seit Monaten werden die Kapazitäten ausgebaut. Dem RKI übermittelten Labore seit Ende Juni jede Woche eine Test-Zahl von mehr als 500.000, zuletzt waren es sogar gut 672.000. Zum Vergleich: In der Woche zwischen 27. April und 3. Mai waren es rund 327.000 Tests.
Corona-Nachweise: Wie ist das Verhältnis zur Test-Gesamtzahl?
Das Science Media Center (SMC) hat in einer Auswertung der RKI-Daten untersucht, wie sich die Zahl der Corona-Nachweise im Verhältnis zur Gesamtzahl der Tests entwickelt hat. Demnach war zum Beispiel zwischen Anfang April und Mitte Juni die Zahl gemeldeter Coronafälle Woche für Woche gesunken, während die Zahl der durchgeführten Tests zuweilen stieg – oder auch sank.
In jüngster Zeit hat sich die Zahl der Tests teilweise nur leicht erhöht, während die gemeldeten Positiv-Ergebnisse höhere Wachstumsraten verzeichneten. Ein Beispiel: In der Woche zwischen dem 6. und 12. Juli waren unter gut 510.000 Tests knapp 3.000 Positiv-Befunde. Vier Wochen später (3. bis 7. August) wurden 672.000 Resultate übermittelt, davon etwa 6.900 positive. Während also die Anzahl der Tests um knapp 32 Prozent anstieg, sprang die Zahl der Corona-Fälle um 131 Prozent.
RKI: Beiden Angaben aus sehr unterschiedlichen Datenquellen
Das RKI hält sich allerdings zurück, diese beiden Angaben aus sehr unterschiedlichen Datenquellen miteinander ins Verhältnis zu setzen. Während festgestellte Corona-Infektionen verpflichtend übermittelt werden müssten, sei die Zahl der durchgeführten Tests eine freiwillige Angabe der Labore. Diese Zahl schwanke, es gebe Nachmeldungen. Außerdem gibt das RKI an, dass Mehrfach-Tests ein und derselben Person als unterschiedliche Fälle in die Statistik einfließen, da keine Daten zu den getesteten Menschen erfasst werden.
Sowohl das RKI als auch die Autoren des SMC Corona Reports schließen zwar nicht aus, dass in einzelnen Wochen ein Anstieg der Fallzahlen zum Teil auf die zusätzlich durchgeführten Tests zurückzuführen ist. Die grundsätzliche Schlussfolgerung, steigende Fallzahlen seien nur davon abhängig, bezeichnet das SMC aber als unzulässig. Auch Epidemiologie-Professor Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig sagt: "Der Anstieg der positiven Tests ist nicht allein dem Anstieg der Testungen geschuldet."
Tests an Menschen, die keine Symptome zeigen
Was derzeit nicht in demselben Maße wächst wie die Neuinfektionen: die Zahlen schwerer Erkrankungen und Todesfälle. Es ist davon auszugehen, dass aktuell im Verhältnis mehr Personen im arbeitsfähigen Alter oder jünger getestet werden – etwa Reisende, Menschen am Arbeitsplatz oder in der Schule.
Zu Beginn der Corona-Pandemie wurden vor allem Personen untersucht, deren Krankheitszeichen auf eine mögliche Covid-19-Diagnose hindeuteten. "Im Gegensatz zu anderen Infektionskrankheiten testen wir derzeit sehr viel umfassender auch Menschen, die keine Symptome zeigen", so Epidemiologe Krause.
Im April lag das Durchschnittsalter der vom RKI erfassten Infizierten bei 50 Jahren, aktuell bei 34 Jahren. Bei jüngeren Menschen treten schwere Verläufe seltener auf als bei älteren. Zu beachten sei aber auch, so das RKI, dass Todesfälle zeitversetzt registriert werden, da die Menschen meist nicht in der gleichen Woche sterben, in der sie sich infizieren.
"Die Erfassung der schwer Erkrankten und der Todesfälle tritt erst nach einer gewissen Zeit auf", so Krause. Das sei auch am Anfang der Ausbreitung des Erregers in Deutschland so gewesen. "Wir dürfen nicht versäumen, direkt besonders die Menschen vor Infektionen zu schützen, die zu schweren Krankheitsverläufen neigen." Der Altersdurchschnitt der Gestorbenen lag nach RKI-Angaben zuletzt bei 81 Jahren.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Nachrichtenagentur dpa