Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.So raus wie rein Alles Quatsch? Der Hype um Nahrungsergänzungsmittel
Vitamin A, D und C, Folsäure, Zink – viele Menschen nehmen diese Stoffe als Nahrungsergänzung ein. Doch braucht der Körper das – oder schaden wir uns damit sogar? Unsere Kolumnistin klärt auf.
Nehmen Sie NEM? Aus dem Regal der Drogerieabteilung grüßen neben alten Vertrauten in atemberaubendem Takt immer neue Schachteln mit Nahrungsergänzungsmitteln (NEM).
Die Auswahl der Grundsubstanzen mag eigentlich überschaubar sein. Dennoch kommen die Mittel in ihren bunten und gleichzeitig streng pharmazeutisch wirkenden Verpackungen in ungeahnten Kombinationen mit ständig anderen Stoffen oder Vitaminen auf die Kunden zu – und stellen sie vor schwerwiegende Entscheidungen.
Zum Beispiel vor die, ob man die Brennnessel-Pastille lieber in höher konzentrierter Rezeptur ("forte") alle zwei Tage oder (als "Depotpräparat") nur einmal die Woche einwerfen will.
Ein Thema, das die Ärzteschaft spaltet
Nahrungsergänzungsmittel sind ein Riesenmarkt – der die Ärzteschaft spaltet.
Weil es wenig belastbare Studien über den Nutzen all der wunderbaren Dragees, Lutsch- oder Sprudeltabletten, Tropfen und Tinkturen gibt, sagt ein Teil der Mediziner strikt NEIN zu NEM. Die anderen allerdings sehen beachtliche Behandlungserfolge, empfehlen sie weiter und nutzen sie sogar selbst.
Im Grunde genommen müsste vor der Einnahme der meisten Präparate erst einmal ein Bluttest stattfinden um zu klären, ob das Nahrungsergänzungsmittel wirklich gegen einen Mangel ankämpft, oder – wenn nicht – nur eben mal kurz durch unseren Körper reist, um ihn dann als überteuerter Urin in Richtung Kloschüssel wieder zu verlassen.
Warum "viel hilft viel" nicht stimmt
Gerade als Dermatologin und Ernährungsmedizinerin beobachte ich allerdings überraschende und schnell sichtbare Effekte für Haut, Haare oder Nägel – wenn sinnvoll ergänzt wird. Sinnvoll heißt ausdrücklich nicht nach dem Prinzip "viel hilft viel": Die fettlöslichen Vitamine E-D-K-A können sich dann nämlich im Organismus anreichern und Nebenwirkungen haben.
Doch auch nach dem Gießkannenprinzip verabreichte wasserlösliche Vitamine können einen Haken haben: Eine Übermacht von ihnen mit antioxidativer Wirkung kann unsere Selbstheilungskräfte blockieren und die Freisetzung körpereigener Antioxidantien so richtig schlapp werden lassen. Selbst das sehr wichtige Vitamin B12 kann zu Akne führen, oder aber – in übermäßiger Menge genossen – bei Männern womöglich das Lungenkrebsrisiko erhöhen.
Yael Adler
Dr. med. Yael Adler ist Fachärztin für Dermatologie, Venerologie, Phlebologie und Ernährungsmedizin (DGEM). Seit 2007 praktiziert sie in ihrer eigenen Praxis in Berlin. Ihr Talent, komplexe medizinische Sachverhalte anschaulich und unterhaltsam zu vermitteln, stellt sie seit Jahren in Vorträgen, Veranstaltungsmoderationen und den Medien unter Beweis. Über Prävention und Therapien spricht sie regelmäßig in ihrem Podcast "Ist das noch gesund?". Ihre Bücher "Haut nah" und "Darüber spricht man nicht" standen auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Mit ihrem letzten Buch "Genial vital! – Wer seinen Körper kennt, bleibt länger jung" durfte sich die leidenschaftliche Ärztin erneut über diese Spitzenplatzierung freuen.
Für wen sind Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll?
Dabei liefert uns eine ausgewogene Ernährung, das treue Festhalten an Gemüse, Obst und Ballaststoffen vieles, was der Organismus braucht. Allerdings ist die Nähstoffdichte auch nicht mehr das, was sie einmal war. Gewächshausbedingungen, leere Böden, Lebensmittel-Reisezeiten, Lagerung, Licht, Luft und bestimmte Zubereitungsarten reduzieren den Gehalt an Vitaminen.
Auch ist die Darmflora nicht immer fit genug und reduziert daher ebenfalls die Bereitstellung der Mikronährstoffe. So ist es mitunter sinnvoll, ergänzend dazu Mineralstoffe oder Vitamine zu sich zu nehmen. Das gilt für Frauen mit Kinderwunsch, Schwangere oder Stillende ebenso wie für chronisch Kranke.
Auch Leistungssportler und hartnäckige Fitnessstudiosi mögen nicht mehr auf diese Unterstützung verzichten. Und auch die weiter munter um sich greifende vegane Ernährung kann da und dort Mängel aufmachen, die zweckmäßigerweise durch den Einsatz bestimmter Nährstoffe, insbesondere Vitamin B12, ausgebügelt werden.
Schwierig wird das nur, weil die nötige Art und Dosis der einzusetzenden Nahrungsergänzungsmittel von Mensch zu Mensch verschieden sind. Ein Arzt, der uns als Patienten länger und besser kennt ist, kann vielleicht Genaueres raten. Aber auch wir selbst sollten unbedingt kritisch bleiben, wenn wir uns Gutes tun wollen.
Etwa, wenn wir der Kosmetikindustrie auf die gut manikürten Finger schauen. Sie schiebt uns beispielsweise gern Tiegel mit Hautcremes mit den Vitaminen A, C und E herüber. Die wirken nämlich antioxidativ, und das klingt ja immer schon mal gut. Jedoch bleiben sie oben auf der Haut liegen und zersetzen sich auch rasch an Luft und Licht.
Welche Nahrungsergänzungsmittel im Alter unterstützend wirken
Kostengünstiger und vor allem wesentlich effizienter ist es, wenn von innen gearbeitet wird. Essen Sie Ihre Vitamine, denn sie gelangen dann über die Blutbahn an die Haut, die auch von innen aufgebaut wird. Außen ist sie ja schon fertig.
Eisen etwa brauchen mitunter stark menstruierende Frauen gegen Blässe, Müdigkeit, Haarausfall, Infektneigung und Blutarmut. Jodsalz oder Jodtabletten (wir leben im Jodmangelgebiet) helfen der Schilddrüsenfunktion. Magnesium am Abend entspannt, hilft der Muskelregeneration, dem Herzen, den Knochen und der Verdauung. Selen reguliert die Proteinfaltung, entgiftet den Organismus und bringt die körpereigene Herstellung von DNA auf Touren.
Selen bewirkt übrigens auch die Erneuerung von Vitamin C und Ubiquinol – beides wirkmächtige körpereigene Antioxidantien. Selen schützt unser Gewebe und bindet und entschärft Schwermetalle, die sich als Umweltgifte bei uns einnisten wollen. Auch unser Immunsystem profitiert, das chemische Element heilt Entzündungen, bringt die Schilddrüsenfunktion auf Touren und befeuert die Zellteilung.
Ein wichtiger Player ist das Coenzym Q10 (Ubiquinol): In den Mitochondrien, den Energieschmieden unserer Körperzellen, ist es federführend an der Energiegewinnung beteiligt und unterstützt bei stärkeren Belastungen und im Alter. Wir nehmen es über Nahrungsmittel wie Fleisch, Fisch, Nüsse, Soja und Hülsenfrüchte und über bestimmte Pflanzenöle zu uns. Es ist aber auch als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich.
Hühnersuppe liefert Zink
Ein anderes Element verspeisen wir seit zig Generationen über ein altbekanntes Gericht: die Hühnersuppe, die unsere Oma und schon die Oma der Oma bei Erkältungen zubereitet hat. Sie enthält nämlich Zink in beachtlichen Mengen. Bei mehr als 300 Enzymreaktionen in unserem Körper mischt dieses Element kräftig mit. Unter anderem bei der Gewebeerneuerung und – wiederum – bei der Antioxidation. Zink schärft die Sinneswahrnehmungen und macht sich nützlich bei der Produktion von Botenstoffen im Nervensystem.
Auch die Hormonproduktion, einschließlich der Sexualhormone, verläuft mit Zink-Unterstützung. Es spielt eine wichtige Rolle im Vitamin-A-Stoffwechsel und für unsere Hautgesundheit. Fehlt es, entwickelt die Haut Ekzeme, die auf Kortisoncremes nicht ansprechen und oft vergeblich und viel zu lang damit behandelt werden, weil man annimmt, hier läge etwa eine Neurodermitis vor. Zink als Nahrungsergänzung heilt die Haut dann innerhalb von wenigen Tagen bis Wochen.
Die Folsäure, auch als Vitamin B9 bekannt, begegnet uns in grünem Blattgemüse. Sie ist besonders wichtig, weil unser Körper sie nicht in heimischer Produktion herzustellen vermag. Hier sind Nahrung und Nahrungszusätze die unentbehrlichen Zulieferer. Immerhin schützt Folsäure unser Nervensystem, weil sie gewissermaßen die Ummantelung unserer Nerven bewirkt. Bei Kinderwunsch ist sie zudem ein Muss für die gesunde Entwicklung des Babys.
Auch von Omega-3-Fettsäuren hat jeder schon gehört. Zehn bis fünfzehn Prozent unseres Gehirns setzen sich aus der Omega-3-Fettsäure DHA zusammen – zur Unterstützung unserer kognitiven und psychischen Funktionen. Omega-3-Fettsäuren (EPA und DHA) schützen unsere Gefäße und beugen inneren Entzündungen vor. Und wer kennt sie nicht, die verheißungsvolle Werbung, wo ein kleines Dragee prompt für volles Haar, schönere Nägel und viel strafferes Bindegewebe sorgt.
Das Superspurenelement Silizium kann aber eigentlich noch viel mehr, um sich alternder Haut, Cellulite oder Osteoporose entgegenzustemmen. Vollkorngetreide, Reis, Hafer, Kartoffeln, Spinat, Paprika oder Kieselsäure enthalten den Zauberstoff.
Vitamin D päppelt das Immunsystem auf
Wenn die Tage kürzer werden, empfiehlt sich spätestens jetzt Vitamin D, das man schon an hellen Sommertagen zur Krebsvorsorge schlucken kann. In der dunklen Jahreszeit soll es auch noch gegen die Winterdepression und im Anschluss gegen die Frühjahrsmüdigkeit helfen. Es ist (gern in Kombination mit Vitamin K2) ein Mittel gegen Osteoporose oder die mittlerweile historische Avitaminose Rachitis.
Dabei ist Vitamin D eher ein Hormon als ein Vitamin. Es macht unserem Körper die Aufnahme des lebenswichtigen Kalziums möglich und stärkt das Immunsystem. Gerade in der Zeit der Corona-Pandemie hat es sich neue Meriten erworben.
Kurzum, unter dem Dach der Nahrungsergänzungsmittel versammelt sich manches an Kompetenz. Man sollte nur nicht wahllos ins Regal greifen. Bleiben Sie anspruchsvoll und achten Sie auf sich!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.