Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Extreme Trockenheit So treibt der Rhein-Pegel die Preise hoch
Der Rhein führt derzeit extrem wenig Wasser. Das stellt Unternehmen vor logistische Herausforderungen – und dürfte die Verbraucherpreise noch höher treiben.
Inhaltsverzeichnis
- Warum sind die Pegelstände des Rheins aktuell so niedrig?
- Was bedeutet das für die Binnenschifffahrt?
- Welche Kosten entstehen den Unternehmen am Rhein durch das Niedrigwasser?
- Welche Folgen hat der niedrige Wasserstand für die Wirtschaft und für Verbraucher?
- Können die Güter nicht anderweitig transportiert werden?
- Wie lange wird das Niedrigwasser anhalten?
Er ist Naherholungsgebiet, Lebensraum für Tiere – und eine der wichtigsten Handelsrouten des Landes: Der Rhein ist für Deutschlands Wirtschaft extrem wichtig. Doch seit Juli ist der Pegelstand des größten Flusses außergewöhnlich niedrig. Wo man sonst durchs kühle Wasser waten kann, offenbart sich nun ein rissiges, ausgetrocknetes Flussbett.
Für die Binnenschifffahrt und die deutsche Industrie kann das zum Problem werden: Zahlreiche Unternehmen, die am Rhein gelegen sind, nutzen den Fluss als Transportweg. Wird der Rhein zu flach, können große Schiffe ihn nicht mehr befahren. Die Folgen dürften letztlich auch die Verbraucher zu spüren bekommen.
Warum sind die Pegelstände des Rheins aktuell so niedrig?
Dass der Rhein im Laufe des Jahres unterschiedliche Pegelstände aufweist, ist nicht ungewöhnlich. "Solche niedrigen Pegelstände gibt es nicht erst seit ein paar Jahren", sagt Saskia Meuchelböck vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Die Ökonomin ist Co-Autorin einer Studie, die die wirtschaftlichen Auswirkungen des Rhein-Niedrigwassers von 2018 untersucht hat. Damals wurden die bisher tiefsten Pegelstände gemessen.
Außergewöhnlich jedoch ist der Zeitpunkt für die niedrigen Wasserstände. Normalerweise erreiche der Rhein erst im Oktober und November seinen tiefsten Stand. "Dass wir es, genauso wie 2018, schon im Sommer mit extremen Niedrigwasser zu tun haben, ist auf die große Hitze zurückzuführen und darauf, dass es momentan kaum regnet", erklärt die Expertin.
Eigentlich zählt das Rheingebiet zu den niederschlagsreichsten Flussgebieten Europas. Derzeit jedoch bleibt es fast immer trocken, wie das Beispiel Köln zeigt: Während dort im Juli der vergangenen zehn Jahre durchschnittlich 73,3 Liter pro Quadratmeter Regen fielen, waren es in diesem Jahr nur 18,6.
Für die Definition des Niedrigwassers nahmen die Wissenschaftler des IfW die kritische Marke von 78 Zentimeter an der Messstelle Kaub an. Dort befindet sich laut dem Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Rhein die niedrigste Fahrrinnentiefe. "Kaub ist sozusagen das Nadelöhr auf der Route", so Meuchelböck. Aktuell steht der Pegel in Kaub bei 45 Zentimetern, 2018 waren es zeitweise sogar nur 25 Zentimeter.
Embed
Was bedeutet das für die Binnenschifffahrt?
Der Rhein ist eine der wichtigsten Wasserverkehrsstraßen Europas und verbindet zahlreiche Häfen und Handelszentren. Große Frachtschiffe versorgen über den Rhein etwa Unternehmen wie BASF in Ludwigshafen oder Thyssenkrupp in Duisburg mit Rohstoffen. Diese können mit Frachtschiffen günstig und effizient transportiert werden – vorausgesetzt, die Kapazität der Schiffe lässt sich voll nutzen. Dabei gilt: Je schwerer ein Schiff beladen ist, desto tiefer wird der Kiel ins Wasser gedrückt.
"Bei niedrigen Wasserständen kann dementsprechend weniger Fracht befördert werden", erläutert Christian Hellbach vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Rhein auf Anfrage von t-online. Bis zu welchen Wasserständen die Fahrt wirtschaftlich und praktisch möglich sei, hänge dabei von vielen Faktoren ab, beispielsweise der Fahrrinnentiefe, der Konstruktion des Schiffes sowie vertraglichen Regelungen und der Dringlichkeit der Lieferung.
Welche Kosten entstehen den Unternehmen am Rhein durch das Niedrigwasser?
Aktuell fahren viele Binnenschiffer nur noch mit einem Bruchteil der möglichen Fracht. Für dieselbe Menge an Ladung braucht es in der Folge mehr Fahrten und mehr Schiffe. Die Kosten für Logistik steigen stark, Lieferungen verzögern sich.
Konsequenzen haben die niedrigen Pegel des Rheins jedoch auch für Energieunternehmen. Diese sind nicht nur durch die schwierige Logistik betroffen: Viele nutzen das Wasser des Flusses auch, um ihre Kraftwerke zu kühlen. "Ab einer gewissen Wassertemperatur darf man aus Gründen des Umweltschutzes das Wasser jedoch nicht wieder in den Fluss leiten, ohne es vorher herunterzukühlen", so Meuchelböck. Auch dies verursache bei den Energieversorgern zusätzlichen Aufwand.
Welche Folgen hat der niedrige Wasserstand für die Wirtschaft und für Verbraucher?
Mehrere Ökonomen haben zuletzt gewarnt, dass niedrige Rhein-Pegel das Risiko für einen Wirtschaftsabschwung, auch Rezession genannt, vergrößerten. Zwar sei das Niedrigwasser ein viel kleineres Problem als die drohende Gaskrise, doch sollte es bis Dezember andauern, könnte es im dritten und vierten Quartal 0,2 Prozentpunkte Wirtschaftswachstum kosten, sagte Chefvolkswirt Andrew Kenningham vom britischen Analysehaus Capital Economics laut einer am Donnerstag vorliegenden Studie.
Wie stark die Auswirkungen potenziell sind, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Zuletzt gab es ähnlich niedrige Wasserpegel des Rheins im Sommer 2018. Damals hielt das Niedrigwasser mehrere Wochen an und blockierte wichtige Gütertransporte.
Eine Studie des IfW, an der auch Saskia Meuchelböck beteiligt war, kam anschließend zu dem Ergebnis, dass 30 Tage Niedrigwasser im Rhein zu einem Rückgang der deutschen Industrieproduktion von rund einem Prozent im betreffenden Monat führten. "Berücksichtigt man auch die verzögerten Effekte, kommt man in der Spitze für 2018 sogar auf 1,5 Prozent", erklärt Meuchelböck.
Wie sich das diesjährige Niedrigwasser auf die Wirtschaftsleistung auswirkt, ist noch offen. "Für geringere Effekte als 2018 spricht, dass Unternehmen sich besser vorbereitet haben und beispielsweise in Schiffe mit weniger Tiefgang investiert haben", so Meuchelböck. "Dadurch, dass Unternehmen aktuell aber ohnehin schon durch Lieferengpässe belastet sind, könnten die logistischen Herausforderungen wegen des Niedrigwassers die Industrie aber umso härter treffen." Entscheidend sei, wie sich die Situation weiter entwickle.
Meuchelböck rechnet auch damit, dass die Unternehmen ihre gestiegenen Transportkosten an ihre Verbraucher weitergeben. Der geringe Wasserstand könnte damit also auch die Inflation weiter antreiben. Wie viel genau, lasse sich dabei erst später abschätzen.
Können die Güter nicht anderweitig transportiert werden?
Grundsätzlich könnte die Ware auch auf der Schiene oder Straße transportiert werden. "In der Umsetzung ist das aber nicht so einfach", erklärt Meuchelböck. "Da fehlen die Kapazitäten bei Lkw und Zügen."
Zudem sei es oft nicht wirtschaftlich, die Güter anders als auf dem Wasserweg zu transportieren. Um ein großes Frachtschiff mit 7.000 Tonnen Transportkapazität zu ersetzen, bräuchte es Berichten zufolge 280 Bahnwaggons oder 280 Lastwagen.
Wie lange wird das Niedrigwasser anhalten?
Die Aussagekraft von langfristigen Prognosen zum Pegelstand ist begrenzt, weil dieser stark von Temperatur und Niederschlag abhängt. "Kurzfristig, das heißt die nächsten drei bis vier Tage, wird vorhergesagt, dass die Pegelstände weiter um rund 10 cm fallen werden", so Christian Hellbach.
Die 14-Tage-Vorhersage deute jedoch wieder auf eine Entspannung hin. "Heißt, die Pegel werden wieder leicht steigen, allerdings befinden wir uns auch dann immer noch auf einem niedrigen Niveau."
Es ist wahrscheinlich, dass Niedrigwasser wie das diesjährige am Rhein zunehmend häufiger werden. "Anhaltende Dürre- und Hitzeperioden, die durch den Klimawandel wahrscheinlicher werden, begünstigen Niedrigwasserereignisse und stellen die Binnenschifffahrt vor Herausforderungen", so die Expertin. Ihr Credo: Um wirtschaftliche Schäden für die deutsche Wirtschaft zu verhindern, müssten sich die Unternehmen anpassen, etwa indem sie ihre Lieferketten breiter aufstellen.
- Gespräch mit Saskia Meuchelböck, Ökonomin am IfW
- Statement des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Rhein
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa