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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Fondsmanagerin gibt Anlagetipps "ETFs sind nicht die eierlegende Wollmilchsau"
Anlegen ist das neue Sparen: Während das Vermögen wächst, bleibt viel Zeit zum Leben. Doch lohnt sich die Börse bei steigenden Zinsen überhaupt noch?
In Zeiten der Krise fragen sich viele Privatanleger und Sparer: Wie kann ich trotz Börsenschwankungen mein Geld gewinnbringend anlegen? Was passiert, wenn die Kurse zurückgehen? Und sollte ich angesichts steigender Zinsen nicht lieber auf festverzinste Produkte setzen? Wir haben beim Erfinder des Indexfonds für Privatanleger und zweitgrößten ETF-Anbieter der Welt, Vanguard, nachgefragt.
t-online: Frau Hofmann, schon 1976 erfand Vanguard-Gründer John Bogle den ersten Indexfonds für Privatanleger. Auch heute noch hat die Idee von ETFs, also börsengehandelten Indexfonds, Bestand. Hätte man sich in fünf Jahrzehnten nicht mal etwas Neues einfallen lassen können?
Chris Hofmann: Tatsächlich sind ETFs und das passive Investieren in Europa erst in den vergangenen Jahren so richtig populär geworden. Ich bin jetzt seit knapp 18 Jahren in der ETF-Industrie dabei, und anfangs wurden ETFs stark belächelt, gerade auch in Deutschland. Man setzte lieber auf aktive Fonds; die Vorteile von ETFs wurden Privatanlegern gar nicht erläutert. Heute informieren sich Anleger viel stärker selbst und suchen nach Möglichkeiten, kostengünstig fürs Alter vorzusorgen. Seitdem gewinnt das passive Investieren von Jahr zu Jahr mehr Fans.
Trotzdem investieren in Deutschland immer noch viermal mehr Menschen in aktive Aktienfonds als in Aktien-ETFs. Sind die alle auf dem Holzweg?
Das würde ich nicht sagen. Auch wir bei Vanguard verfolgen durchaus aktive Strategien, das ist nicht per se schlecht. Es geht nicht um aktiv gegen passiv, es geht vielmehr um teuer gegen günstig. Denn es ist schwierig, den Markt langfristig zu schlagen, vor allem mit einer typisch aktiven Kostenstruktur. Dass vielen Privatanlegern nicht bewusst ist, dass es auch anders geht, hat mit mangelnder Transparenz zu tun. Wenn Sie zu Ihrem Bankberater gehen, wird er Ihnen eher ein aktives Produkt empfehlen als einen ETF, weil er dafür eine Vergütung bekommt.
Vanguard Group
Mit einem verwalteten Vermögen von rund acht Billionen US-Dollar und etwa 18.000 Mitarbeitern weltweit ist Vanguard der zweitgrößte Vermögensverwalter der Welt. Chris Hofmann leitet das Intermediary Wholesale Team und verfügt über rund 20 Jahre Erfahrung sowohl auf der Händler- als auch der Emittentenseite im Bereich börsennotierte Indexfonds (ETFs).
Dann mal ganz praktisch gefragt: Worauf sollte ich achten, wenn ich mir meine Altersvorsorge mit ETFs selbst bauen will?
Grundsätzlich gilt: früh anfangen und langfristig dabeibleiben. Suchen Sie sich einen Aktien-ETF, der breit aufgestellt ist, also in Hunderte, besser Tausende Unternehmen auf der ganzen Welt investiert. Dann können Sie in einer Krise entspannter sein. Achten Sie darauf, dass das Fondsvolumen mindestens 100 Millionen Euro groß ist. Das gibt Ihnen eine gewisse Garantie, dass der Fonds nicht geschlossen wird. Auch die Kosten spielen eine Rolle, wobei ETFs ohnehin deutlich günstiger sind als aktiv gemanagte Fonds. Und: Kaufen Sie nie etwas, das Sie nicht verstehen.
Auf der anderen Seite: Warum sollte ich überhaupt noch in ETFs investieren, wenn ich mittlerweile wieder festverzinste Sparbriefe mit vier Prozent ohne Risiko bekomme?
Niemand kann sagen, wie sich die Zinsen ändern. Heute sind es vier Prozent, morgen könnten es sechs Prozent sein und nächstes Jahr vielleicht nur noch zwei. Wie viel Risiko jemand gehen möchte, ist immer eine individuelle Entscheidung. Aber wenn es um die eigene Altersvorsorge geht, sollten Sie immer langfristig denken – und nicht taktieren, nur weil Sie für eine kurze Zeit höhere Zinsen abgreifen können.
Aktuell sind die Zeiten eher hart: Laut der Konsumklimastudie des Forschungsunternehmens GfK rechnen viele Deutsche damit, dass sich ihre finanzielle Lage verschlechtert. Einige fragen sich, ob sie überhaupt noch weiter für ihre Altersvorsorge sparen sollen. Merken Sie bereits, dass Anleger ihr Geld abziehen?
Wir sehen nicht, dass ETF-Sparpläne zurückgefahren werden. Wir beobachten eher den Trend, dass zusätzlich die Rentenmärkte neu erwacht sind. Da sehen wir wieder Geldzuflüsse, weil sich die Renditen dort verbessert haben.
An der Börse gilt: Der nächste Absturz kommt bestimmt. Was raten Sie unerfahrenen Anlegern, wie sie sich in Krisen verhalten sollten?
Das Wichtigste ist gute Vorbereitung. Jeder sollte sich vor einem Investment folgende Fragen stellen: Was sind meine Ziele? Wie will ich mein Portfolio aufbauen? Wie viele Aktien, wie viele Anleihen? Und zu welchen Kosten? Wenn wir diese Entscheidungen getroffen haben, gilt es, Kurs zu halten. Bloß nicht nervös werden! Unsere eigenen Studien haben gezeigt, dass in der Corona-Krise jene Investoren am erfolgreichsten waren, die die Schwankungen einfach ausgesessen haben.
Andere Vermögensverwalter würden entgegnen, dass Anleger besser fahren, wenn ein Fondsmanager in diesen Phasen gegensteuern kann. Was stimmt denn nun?
Gute aktive Fondsmanager können den Markt durchaus schlagen, die Frage stellt sich aber, über welchen Zeitraum und zu welchen Kosten. Nach Abzug der Gesamtkosten sieht das sicherlich schon wieder anders aus. Den Fondsmanager möchte ich sehen, der es langfristig schafft, den Markt zu schlagen.
Weltweit liegt das verwaltete Vermögen von ETFs bei knapp 9 Billionen US-Dollar. Was entgegnen Sie Kritikern, die behaupten, dass ETFs den Kursverfall an den internationalen Börsen noch verstärken würden, wenn flächendeckend Geld aus ihnen abgezogen wird?
Richtig ist, dass ETFs vom weltweit investierten Volumen in Geldanlagen circa sieben bis acht Prozent ausmachen. Und darin enthalten sind einfach alle ETFs – Renten, Aktien, Multi-Asset. Nehmen wir an, dass der amerikanische Leitindex S&P 500 fällt und daraufhin eine große Schar von Anlegern verkaufen möchte, dann würde dieser Anteil unter einem Prozent des gesamten Anlagevolumens ausmachen. Entsprechend gering ist die Wahrscheinlichkeit, dass dies einen Crash verstärkt. Das Bild aber, das wir alle fälschlicherweise vor Augen haben, ist: Die Kurse fallen, alle verkaufen und der breite Markt crasht. Das sind die Ängste, die hervorgerufen werden. Da sage ich, dass man sich erst einmal den Mechanismus ansehen sollte, wie ein ETF gehandelt wird.
Können Sie uns diesen Mechanismus näher erklären?
Nehmen wir ein Beispiel: Montags fallen die Kurse und Anleger entschließen sich, ihre ETF-Anteile zu verkaufen. Im Hintergrund müssen dann Fondsanteile gegen Wertpapiere zurückgetauscht werden. Das dauert mindestens einen Tag, wenn nicht sogar zwei. Der Anleger selbst bekommt davon nichts mit. Es bedeutet aber: Wenn der Markt fällt, werden die verkauften ETF-Anteile nicht sofort in den Markt gegeben, sondern erst mit Zeitverzug. Zudem ist der Anteil von Aktien-ETFs am Gesamtmarkt so gering, dass die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass ETF-Verkäufe Crashs verschlimmern können.
Gilt nicht sogar umgekehrt, dass Crashs ein guter Zeitpunkt sind, um als Anleger einzusteigen?
Es ist immer ein guter Zeitpunkt, in den Markt einzusteigen beziehungsweise seine Altersvorsorge mit ETFs aufzubauen. Selbst kurz vor der Rente können Sie noch einsteigen. Mein persönlicher Tipp ist dabei, möglichst in breit diversifizierte ETFs zu investieren. Auch eine Kombination aus Industrie- und Schwellenländern-ETFs bietet eine gute Möglichkeit für Anleger, an der wirtschaftlichen Entwicklung des globalen Aktienmarktes zu partizipieren.
Die Bundesregierung möchte das Rentenniveau stabil halten und strebt eine Aktienrente nach skandinavischem Vorbild an. Bei der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge soll es künftig ein Wertpapierdepot statt der Riester-Rente geben. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Es ist gut, dass die Bundesregierung Finanzinstrumente für die Altersvorsorge entdeckt. Damit lässt sich langfristig eine höhere Verzinsung erzielen. Das Investieren in passive Indexfonds wäre dabei für alle Sparer eine gute Lösung.
Vielen Anlegern wird Nachhaltigkeit immer wichtiger. Worauf gilt es zu achten?
Es gibt inzwischen eine große Vielfalt nachhaltiger ETFs. Anleger sollten überlegen, was für sie Nachhaltigkeit bedeutet und wie das in einem ETF abgebildet wird. Dabei spielt es eine große Rolle, dass der Ansatz des zu replizierenden Index transparent genug ist, sodass der Anleger die Methodologie einfach verstehen kann. Wenn Anleger das Produkt nicht verstehen oder den Fokus auf andere Zielkriterien richten, sollte ein nachhaltiger ETF bei der Investitionsentscheidung auch keine Rolle spielen.
Müssen Anleger bei nachhaltigen ETFs mit weniger Rendite rechnen?
Das ist nicht automatisch so. Wer sich entscheidet, nachhaltig anzulegen, tut das aber sowieso nicht in erster Linie wegen der Rendite. Um trotzdem zu profitieren, gilt auch hier wieder: möglichst kostengünstig und breit diversifiziert aufstellen und langfristig investieren.
Die Erfindung des Indexfonds für Privatanleger ist nun schon eine Zeit her. Wann kommt von Vanguard das nächste revolutionäre Produkt?
(lacht) Wir haben aktuell nicht den Eindruck, dass in unserer Werkzeugbox ein Produkt fehlt. Sollte es so weit sein, werden wir nachlegen. Aber bis dahin gilt: Ein ETF ist zwar nicht die eierlegende Wollmilchsau, aber er bietet so viele Vorteile, dass ich ihn selbst meinen Kindern empfehle.
Frau Hofmann, wir danken Ihnen für das Gespräch.
- Interview mit Chris Hofmann von Vanguard am 26.10.2023