Lieferkettengesetz beschlossen Steigen jetzt die Preise für Billigklamotten?
Die Bilder einer eingestürzten Textilfabrik in Bangladesch haben viele Menschen noch im Kopf. Nun sollen sich die Arbeitsbedingungen durch ein neues Gesetz verbessern. Was dahintersteckt.
Die Bedingungen, unter denen Menschen auf Rohstoffminen in Afrika, in Textilfabriken in Asien oder auf indischen Baumwollplantagen für Niedrigstlöhne schuften, sind häufig lebensgefährlich. Wofür sie arbeiten: Möglichst günstige Klamotten oder Wegwerfprodukte, die später in Europa oder in den USA landen.
Der Bund will den schlechten Arbeitsbedingungen nun einen Riegel vorschieben. Kurz vor Ende der Legislaturperiode hat der Bundestag dafür das umstrittene Lieferkettengesetz beschlossen. t-online erklärt, was genau es damit auf sich hat – und was es für die Verbraucher bedeutet.
Was hat der Bundestag beschlossen?
Große Unternehmen in Deutschland sollen keine Kinder- oder Zwangsarbeit in ihren internationalen Lieferketten mehr dulden. Sie werden mit dem Lieferkettengesetz ab 2023 verpflichtet, gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße bei ihren Zulieferern vorzugehen. Bei Verfehlungen drohen Bußgelder von bis zu zwei Prozent des jährlichen Unternehmensumsatzes.
Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften bekommen zudem die Möglichkeit, Betroffene vor deutschen Gerichten zu vertreten, wenn es Verstöße gibt. Bisher konnten Geschädigte nur selbst klagen, was die wenigsten taten.
Für welche Firmen greift das Gesetz?
Das Gesetz soll ab 2023 gelten – und zwar vorerst für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern. Von 2024 sinkt diese Größenschwelle auf 1.000 Mitarbeiter. Laut Statistik gibt es in Deutschland rund 2.890 Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten. Kleinere Unternehmen sind dagegen nicht betroffen.
Das Gesetz versucht nicht nur direkte Auswirkungen der Arbeit auf das Leben der Menschen zu adressieren. Auch Umweltzerstörungen, die Leid bei Menschen erzeugen, und Korruption sind von dem Gesetz erfasst.
Betroffen von dem Gesetz sind alle "volkswirtschaftlich bedeutenden Branchen", wie es der Gesetzgeber formuliert. Konkret sind das die folgenden:
- Automobilbau,
- Maschinenbau,
- Metallindustrie,
- Chemie,
- Textilien,
- Nahrungs- und Genussmittel,
- Groß- und Einzelhandel,
- Elektronikindustrie und
- Energieversorger.
Was ist die Kritik an dem Gesetz?
Unternehmen und Arbeitgeber kritisieren das Gesetz scharf. Laut Münchner ifo Institut fürchten 43 Prozent der Industriebetriebe negative Auswirkungen durch mehr Bürokratie oder Dokumentationspflichten. Auch der Großhandel sei skeptisch, sagte ifo-Expertin Lisandra Flach.
Es könne auch indirekte Auswirkungen geben, etwa durch Preiserhöhungen. Den geringsten Effekt erwarteten Dienstleister, vermutlich aufgrund geringerer internationaler Verflechtungen.
Die Industrie warnte vor Nachteilen für den Mittelstand. Die Politik versuche, ein gutes Ziel "mit einem schlecht gemachten Gesetz" zu erreichen, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Firmen müssten zu hohe Sanktionen fürchten. Erleichtert zeigen sich BDI und andere Wirtschaftsvertreter, dass zum Schluss der Gesetzesberatungen noch eine zivilrechtliche Haftung ausgeschlossen wurde.
Generell fürchten Unternehmen vor allem Mehrbelastungen. So beklagte die Präsidentin des Gesamtverbands textil+mode, Ingeborg Neumann: "Ein einfaches weißes Hemd wird in 140 Schritten hergestellt." Die Firmen müssten "jedes Baumwollfeld, jede Knopffabrik und jede Reißverschlussproduktion" kontrollieren.
Heftige Kritik von NGOs
Doch auch von anderer Seite kommt Kritik. Vielen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) geht das Gesetz nicht weit genug. Die Hilfsorganisation Oxfam sprach von einer Minimallösung und einem "Lieferkettengesetz light".
Die Wirtschaftslobby habe es völlig verwässert, kritisierte Oxfam-Expertin Franziska Humbert. Zwangsarbeiter hätten keinen Schadensersatzanspruch vor deutschen Gerichten. "Außerdem müssen sich Unternehmen laut dem Gesetz zunächst nur um ihre unmittelbaren Zulieferer kümmern."
Das reiche nicht aus im Kampf gegen Kinderarbeit. Matthias Fiedler vom Forum Fairer Handel ergänzt, dass für das Gesetz so hart gekämpft werden musste, sei ein Trauerspiel. "Menschenrechte sollten ein unhinterfragtes Mindestmaß darstellen."
Es kamen aber auch positive Stimmen aus der Wirtschaft. Die Billig-Modekette Primark betonte, das Gesetz habe das Potenzial, gleiche Wettbewerbsbedingungen für die gesamte Branche zu schaffen. "Wir betrachten ein Lieferkettengesetz auf EU-Ebene als den nächsten logischen Schritt."
Steigen jetzt die Preise für bestimmte Produkte?
Ja, das kann sein. Verbraucher sollen mit dem Gesetz darauf vertrauen können, dass keine mit Kinder- oder Zwangsarbeit produzierten Produkte angeboten werden. Nicht ausgeschlossen ist, dass es daher weniger Dumpingpreise geben wird, wenn Niedrigstlöhnen die Basis entzogen wird – zum Beispiel im Textilhandel.
Auch Lebensmittelriesen diktieren kleineren Lieferanten oftmals die Preise. Ausländische Unternehmen mit deutscher Niederlassung wurden in letzter Minute noch einbezogen. Unklar ist jedoch, wie stark die Preise tatsächlich anziehen. Und ob es das nicht wert ist.
- Eigene Recherche
- Nachrichtenagenturen dpa und Reuters