Trotz Lohnplus Fachkräftemangel in der Altenpflege nicht behoben
Berlin (dpa) - Trotz steigender Löhne klafft in der Altenpflege weiter eine Riesenlücke an unbesetzten Stellen. Auf 12.300 offene Stellen für Fachkräfte in der Branche kommen derzeit rund 3400 arbeitslose Pflegefachkräfte.
"Da ist der Markt leer", sagte ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit (BA) der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Viele Pflegekräfte spielen mit dem Gedanken, den Beruf aufzugeben, hieß es beim Deutschen Caritasverband. Dabei stieg das mittlere Entgelt für eine Altenpflegefachkraft 2020 um knapp 4,7 Prozent auf 3174 Euro, wie aus dem neuenEntgeltatlasder BA hervorgeht.
Spitzenreiter beim mittleren Entgelt für Pflegefachkräfte ist Baden-Württemberg mit 3446 Euro, gefolgt von Bayern mit 3329 Euro. Schlusslichter sind Sachsen mit 2768 und Sachsen-Anhalt mit 2736 Euro.
KNAPPER BESCHÄFTIGUNGSZUWACHS:
Zwar gewinnt die Altenpflege seit Jahren Beschäftigte dazu - doch bei Weitem nicht genug, um die Enpässe auszugleichen. 2020 halbierte sich der Beschäftigungszuwachs, wie eine Antwort der BA auf eine Anfrage der Linken im Bundestag zeigt, die der dpa vorliegt. Die Branche zählte Ende 2020 rund 629.000 Beschäftigte und somit 10.000 mehr als Ende 2019. Das entspricht einem Zuwachs von 1,6 Prozent. Im Vorjahr hatte der Zuwachs noch gut 3,1 Prozent betragen. Im Jahr davor waren es sogar knapp 3,3 Prozent.
Die Linken-Abgeordnete Pia Zimmermann, die die Anfrage gestellt hatte, sagte der dpa, ein Rückgang der Zuwächse sei angesichts des eklatanten Personalmangels ein alarmierendes Zeichen. Allerdings trägt laut BA ein statistischer Effekt zu dem Ausreißer nach unten bei: Denn seit 2020 gibt es in der Pflege eine neue generalistische Ausbildung, so dass keine Altenpflege-Azubis mehr in die Beschäftigten-Statistik eingehen, wie ein BA-Sprecher erläuterte. Trotzdem seien Fachkräfte weiter knapp, heißt es auch bei der BA.
BELASTUNGEN DURCH CORONA:
Die Zusatzbelastungen, die Corona für die Altenpflege brachte, lässt sich etwa anhand der gestiegenen Sterblichkeit in Pflegeheimen ahnen. In den ersten beiden Corona-Wellen im Frühjahr und Herbst 2020 lag die Sterblichkeit laut AOK-Bundesverband deutlich über dem Mittel der Vorjahre. Im Frühjahr gab es im Vergleich dazu 20 Prozent mehr Todesfälle, im Herbst sogar 30 Prozent. Die Arbeitsbedingungen seien ohnehin belastend, sagte eine Caritas-Sprecherin. "Diese Entwicklung wurde durch die Corona-Pandemie, die eine extreme weitere Arbeitsverdichtung und -belastung mit sich gebracht hat, noch verstärkt."
Vermehrt lägen Aussagen sehr engagierter Pflegekräfte vor, die den Berufsausstieg angesichts der hohen Belastungen durch die Krise zumindest erwägen, so die Sprecherin. "Ob sie faktisch Konsequenzen ziehen werden, wird sich nach der Krise erweisen." In der Branche insgesamt soll es auch immer wieder dazu gekommen sein, dass Krankenhaus-Träger Pflegekräfte mit mehr Gehalt abwerben.
VERSUCHE DER POLITIK:
Zimmermann sagte, Versuche, dem Fachkräftemangel in der Altenpflege politisch gegenzusteuern, hätten in den vergangenen Jahren bestenfalls mäßigen Erfolg gehabt. Die Politikerin nannte beispielhaft das 2019 gestartete "13.000-Stellen-Programm", das mit knapp 3000 Stellen hinter den Erwartungen zurückgeblieben sei.
Noch im laufenden Jahr hatten die Koalition eine Pflegereform auf den Weg gebracht, die unter anderem höhere, an Tarifen orientierte Löhne bringen soll. Der private Pflege-Arbeitgeberverband bpa verwies allerdings darauf, dass das mittlere Entgelt für Fachkräfte in der Altenpflege von 2015 bis 2020 bereits um 24 Prozent gestiegen sei. "Im Gegensatz zu den allgemeinen Behauptungen wurde für die Altenpflegefachkräfte nicht nur geklatscht", sagte bpa-Präsident Rainer Brüderle. Fachkräfte würden zwar weiter händeringend gesucht. "Tariftreueregelungen werden da kontraproduktiv wirken", sagte er aber.
Zimmermann meinte hingegen, an auskömmlichen Tarifverträgen und deren solider Finanzierung führe kein Weg vorbei. Sie schlug vor, dass sich eine Kommission auch mit Diakonie, Caritas und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi darüber Gedanken machen solle. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte: "Mehr Geld schafft nicht automatisch neues Personal." Verlässliche Arbeitszeiten sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf seien genauso wichtig.