Geringverdiener benachteiligt OECD-Studie kritisiert deutsches Weiterbildungssystem
Berlin (dpa) - Das System der Weiterbildung in Deutschland zeigt einer OECD-Studie zufolge im internationalen Vergleich Schwächen. In dem Bericht "Weiterbildung in Deutschland", den die Organisation nun vorlegte, wird der Bundesrepublik zwar insgesamt ein "leistungsstarkes Bildungs- und Ausbildungssystem" bescheinigt.
"Bei der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen über die Erstausbildung hinaus liegt Deutschland jedoch deutlich hinter anderen erfolgreichen OECD-Ländern", schreiben die Autoren. Politik und Verbände reagierten mit Zustimmung, aber auch Kritik.
Die Autoren kritisieren, dass sich die Beteiligung an Weiterbildung in Deutschland erheblich zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterscheide. "Erwachsene mit geringen Grundkompetenzen, Geringverdienende und Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen weisen besonders niedrige Teilnahmequoten auf."
Auch die Struktur des Weiterbildungssystems wird kritisiert. Es gebe schätzungsweise 18.000 öffentliche und private Weiterbildungsanbieter. Unternehmen, Sozial- und Wirtschaftspartner, Weiterbildungsträger und die Regierungen auf Bundes- und Landesebene teilten sich die Verantwortung. Das System sei damit sehr komplex. Es könne so zwar auf unterschiedliche Anforderungen von Individuen, Organisationen und regionalen Arbeitsmärkten eingegangen werden. Aus Nutzerperspektive sei die Landschaft der Fördermöglichkeiten aber "unübersichtlich und kompliziert".
Der Bericht empfiehlt ein deutsches Weiterbildungsgesetz für einen gemeinsamen Rechtsrahmen im gesamten Bundesgebiet, die Einführung von Mindestqualitätsstandards für Weiterbildungsanbieter und höhere Anreize, um Angebote anzunehmen, etwa durch gezielte Aufstockung des Arbeitslosengeldes. Ansprüche auf Bildungszeiten sollten zudem erheblich ausgeweitet werden.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sagte, der OECD-Bericht zeige, Deutschland sei schon ziemlich gut. "Aber wir können und müssen noch besser werden." Deutschland müsse zur Weiterbildungsrepublik werden, damit die Beschäftigten von heute die Arbeit von morgen machen könnten.
Weiterbildung wird Experten zufolge immer wichtiger, da sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung verändert. Für 18 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland bestehe ein hohes Risiko der Automatisierung mit Blick auf die kommenden 15 Jahre, während für weitere 36 Prozent das Risiko erheblicher Veränderungen bestehe, heißt es von der OECD. "Damit hat Deutschland einen der höchsten Anteile an gefährdeten Arbeitsplätzen im OECD-Vergleich."
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi begrüßte den Vorschlag für ein Weiterbildungsgesetz. "Die enormen Defizite in der beruflichen Weiterbildung darf sich Deutschland nicht länger leisten", sagte Vorstandsmitglied Sylvia Bühler. "Mit einer geregelten Finanzierung von Weiterbildung, einer transparenten Beratungsstruktur und geregelten Freistellungsmöglichkeiten wird ein solches Gesetz die Weiterbildungsmöglichkeiten für Beschäftigte verbessern."
Von Arbeitgeberseite gab es dagegen Kritik. Es gehe um passgenaue Lösungen vor Ort, hieß es von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. "Dabei unterscheiden sich Bedarfe nach Branchen und Regionen. Eine stärkere Zentralisierung, Regulierung und Standardisierung von Weiterbildung wie sie die OECD empfiehlt, würde genau das Gegenteil bewirken. Betriebe und Weiterbildungsträger würden in ihrem Handlungsspielraum eingeengt, passgenaue individuelle Lösungen durch mehr Bürokratie erschwert."
Der für das Thema zuständige FDP-Bundestagsabgeordnete Jens Brandenburg forderte "ein zweites Bildungssystem für das ganze Leben". Jede und jeder solle an den Veränderungen durch die Digitalisierung teilhaben können." Brandenburg schlug ein "Midlife-Bafög" vor, um Menschen in der Mitte des Lebens bei der Weiterbildung zu unterstützen.