VDA-Chefin warnt Auto-Standort Deutschland in Gefahr
Die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie sorgt sich um den Wirtschaftsstandort Deutschland. Besonders hohe Energiepreise seien ein Problem.
Die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, Hildegard Müller, schließt nicht aus, dass Deutschland als Branchenstandort auf der Strecke bleiben könnte. Zwar würden die deutschen Hersteller den Wettlauf um die Zukunft nicht verlieren, "der deutsche Standort ohne massive Reformen schon", sagte Müller der Deutschen Presse-Agentur in einem gemeinsamen Interview mit Microsofts Deutschlandchefin Marianne Janik.
Müller beklagte vor Beginn der Automesse IAA unter anderem Überregulierung, zu langsame politische Entscheidungen und fehlende Rechtsrahmen bei Zukunftsthemen wie Künstliche Intelligenz.
Ein Beispiel sei die Nutzung von Daten: "Wenn wir das hier in Europa, in Deutschland beschränken, dann heißt das nicht, dass das irgendwo auf der Welt nicht passiert." Und es bedeute auch nicht, dass deutsche Hersteller nicht anderswo in dem Bereich aktiv seien. "Die Frage ist, schaffen wir hier einen politischen, einen regulatorischen Rahmen, so dass wir wettbewerbsfähig sind und international vorangehen können."
Müller für Industriestrompreis
Der Hauptpunkt aber sei, "dass der Standort in Deutschland seine internationale Wettbewerbsfähigkeit aufgrund der Kostenstruktur dramatisch verliert", warnte Müller. So habe man hier die höchsten Energiekosten. Die Autobranche halte einen zeitlich befristeten Industriestrompreis für nötig. Damit solle verhindert werden, dass wichtige Industrien wie Batterie- oder Halbleitertechnik abwandern oder sich gar nicht erst ansiedeln. Von mittelständischen Zulieferern heiße es: "Das Thema Energiepreise wird gerade toxisch für uns." Investitionen würden nicht mehr hierzulande erhöht, "sondern sie gehen ins europäische Ausland oder in die USA".
Microsoft erwarte in den kommenden zwei bis drei Jahren eine deutliche Beschleunigung der Digitalisierung der Autobranche, "wie wir sie in den letzten 40 Jahren so noch nicht erlebt haben", sagte Janik. Dazu gehörten neben Künstlicher Intelligenz wie dem frei formulierenden Dialogsystem ChatGPT etwa Simulationen, mit denen Assistenzsysteme verschiedene Situationen durchspielen können. Der Tech-Konzern biete sich der Branche als "Plattformgeber" an. "Diese Plattform-Idee bedeutet, dass wir Branchengrenzen auch aufbrechen."
Die Autoindustrie erlebe Zeitverluste und Komplexitäten, da die Verwaltung in Deutschland nicht digitalisiert sei, kritisierte Müller. "Natürlich gibt es keine einfachen Lösungen bei KI, bei ChatGPT – aber sie sind im Kommen, die müssen wir jetzt gestalten. Wir können nicht sagen, wir warten jetzt mal Jahre", mahnte sie. "In der Zeit ziehen andere Weltregionen, die ja sowieso in vielerlei Hinsicht gerade bessere Standortbedingungen haben als wir, an uns vorbei."
250 Milliarden Euro für Digitalisierung
Die Industrie müsse jetzt investieren und wolle in den kommenden fünf Jahren 250 Milliarden Euro unter anderem in Digitalisierung stecken. "Wir können und werden nicht warten als Branche, weil wir sonst die Klimaziele nicht erreichen", betonte Müller. "Wir entscheiden jetzt, wo wir in die Zukunftstechnologien investieren – und deswegen muss auch der Staat in seiner Geschwindigkeit bei diesen Themen zulegen."
Microsoft-Managerin Janik, die zuvor unter anderem beim Mercedes-Konzern gearbeitet hatte, betonte, das Rennen bei vielen Zukunftstechnologien sei noch nicht entschieden: "Ich glaube, es geht erst richtig los." So habe man mit Künstlicher Intelligenz die Chance auf einen Innovationssprung. Die deutsche Autoindustrie zeige gerade die Fähigkeit, mit der Tech-Branche zu kooperieren, so Janik.
"In digitalen Mobilitätslösungen liegt ein enormes Potenzial für CO2-Einsparungen", sagte auch Müller. Darüber hinaus werde man sich damit sicherer, effizienter und komfortabler fortbewegen können. "Wir haben zahlreiche Lösungen schon entwickelt – es braucht jetzt die digitale Infrastruktur und die gesetzlichen Rahmenbedingungen, damit wir sie realisieren können."
- Nachrichtenagentur dpa