Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Außer Kontrolle Hilft bei Facebook nur noch die Zerschlagung?
Milliarden Nutzer vertrauen Facebook private Informationen an. Doch wie die Geschichte zeigt, geht das Unternehmen mit Nutzerdaten sorglos um. Geldstrafen scheinen wenig zu ändern.
Vor einigen Tagen hatte eine Bekannte – nennen wir sie Sarah – eine Idee: Sie und ich sollten doch mal wieder etwas essen gehen. Nicht mehr nur per WhatsApp kommunizieren, sondern uns endlich mal wieder SEHEN. "Gerne!", whatsappte ich zurück, "wo wollen wir denn hin?" Ihr erster Vorschlag gefiel mir nicht so recht. "Die fragen ihre Gäste nicht nach der Adresse", antwortete ich ihr, "da fühle ich mich nicht wohl." Die Reaktion: Unverständnis. Sie würde doch nicht irgendwem ihre Daten in die Hand drücken. Ohne zu wissen, was dann damit passiert.
Sarah liebt Facebook-Spiele. Ihre Seite gibt Aufschluss darüber, welches Tattoo sie am besten definiert (Blume), welche Sorte Alkohol ihren Charakter am besten widerspiegelt (Wodka) und wie alt sie aussieht (wie 20). Sarah ist Mitglied der Gruppe "Nein zur AfD", hat "Gefällt mir" geklickt bei einem Berliner Yogastudio und hat an der großen Demo gegen Rassismus auf dem Alex teilgenommen.
"Na und?", denken Sie nun. "Dann weiß Facebook das eben. Macht doch nichts."
Nun ja. Erinnern Sie sich noch an Cambridge Analytica?
Wenn nicht – macht nichts. Selbst Journalistinnen und Journalisten haben Probleme damit, diesen riesigen Skandal zu erklären. Aber das ist eine andere Geschichte, über die ich mich gern mal zu einem anderen Zeitpunkt hier aufregen werde. Diese Kolumne soll ja noch öfter erscheinen, zwinker zwinker.
Wie eine Firma Daten von Millionen Facebook-Usern ausnutzte
Cambridge Analytica also kurz zusammengefasst: Facebook-Nutzer und –Nutzerinnen hatten mittels einer App an einem Persönlichkeitstest teilgenommen und anschließend dem Zugriff auf ihre Profile und auf die ihrer Kontakte zugestimmt. Diese Daten wurden an das Unternehmen Cambridge Analytica (inzwischen pleite) verkauft und im US-Wahlkampf benutzt. Ohne Wissen der Menschen hinter den Daten. Insgesamt waren – Achtung! – bis zu 87 Millionen Facebook-Nutzerinnen und -Nutzer betroffen. Noch mal: 87 Millionen. Ihre Daten wurden unter anderem für die US-Wahlkampagne von Donald Trump 2016 missbraucht.
Die bekannte Fernsehjournalistin Nicole Diekmann ist Polit-Profi. In ihrem Element ist sie auf Twitter – wo sie Zehntausende Fans hat. In ihrer Kolumne auf t-online.de filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet.
Ein Desaster für Facebook, das das hochsensible Gut nicht zu schützen vermocht hatte, welches ihm Milliarden Nutzer täglich anvertrauen: Daten. Und mindestens genauso schlimm: Es stellte sich heraus, dass Facebook schon frühzeitig von der illegalen Praxis gewusst hatte, die betroffenen User aber nicht informierte, geschweige denn offizielle Stellen. Der Skandal wurde von einem Whistleblower enthüllt.
Ist Facebook zu groß für Kontrolle?
Ja, es gibt Behörden, die so etwas ahnden. Ja, auch in diesem Fall ist das geschehen. Und ja, sogar in einem durchaus bemerkenswerten Ausmaß. Fünf Milliarden Dollar: So hoch war die Strafzahlung, auf die sich Facebook-Chef Mark Zuckerberg mit der Federal Trade Commission einigte. Eine historisch hohe Zahl – und dennoch: nicht weiter problematisch für Facebook. Allein im ersten Quartal 2019 setzte der Gigant 15 Milliarden Dollar um.
Die Tech-Riesen stehen für eine neue Zeitrechnung; nicht nur technisch, sondern auch in ihren finanziellen Dimensionen: Laut Facebooks jüngstem Börsenbericht nutzen jeden Monat 2,9 Milliarden – noch mal: Milliarden – Menschen einen oder mehrere der zu Facebook gehörenden Dienste: also Facebook selbst, WhatsApp oder Instagram. Da drängt sich die Frage auf, ob Facebook inzwischen nicht schlicht zu groß ist, um noch kontrolliert werden zu können.
Hilft nur noch Zerschlagung?
Wieder einmal wurden Rufe nach einer Zerschlagung von Facebook laut – lauter denn je. Die Rufenden stammen aus der Politik, sind Fachleute und sogar einstige Weggefährten Zuckerbergs. Unter ihnen herrscht weitgehende Einigkeit darin, wie ein erster und relativ unkomplizierter Schritt aussehen könnte, um die Riesenmaschine endlich zu zähmen: Facebook solle Instagram und WhatsApp wieder verkaufen – die einstigen Konkurrenten, die Zuckerberg mal eben geschluckt und, im Falle von WhatsApp, mit den Daten von Facebook verzahnt hatte.
Dass genau das nicht passiert, war Voraussetzung für die Genehmigung der Übernahme gewesen. 110 Millionen Euro Strafe verhängte die EU-Kommission deshalb. Peanuts im Vergleich zu 5 Milliarden. Und der Beweis: Viel Reue scheint man bei Facebook nicht zu zeigen. Mit Daten wird weiterhin nach Gutsherrenart verfahren.
Mit dem Verkauf von Insta und WhatsApp, schrieb der Facebook-Mitbegründer und Zuckerberg-Kumpel Chris Hughes in einem viel beachteten Kommentar in der "New York Times" im Mai 2019, könnte endlich eine gesunde Konkurrenz zu Facebook wachsen. Und er erzählt eine Anekdote – nach Cambridge Analytica habe er mehrere wütende Leute sagen hören: "Ich höre jetzt bei Facebook auf. Gott sei Dank gibt’s ja Instagram."
Daten sind ein Geschäftsmodell
Eine Zerschlagung wäre also ein Anfang. Erstens könnten Daten wieder entflochten werden – und zweitens könnten alternative Angebote Nutzerinnen und Nutzer dazu bringen, sich für die Plattform zu entscheiden, die verantwortungsvoller und transparenter mit ihren Daten umgeht.
Aber selbst das wäre nur ein erster Schritt. Denn selbst wenn Facebook und andere sich tatsächlich darum bemühten, Nutzerdaten möglichst gut zu schützen, würden sie ein Problem bleiben – denn: Sie wollen Geld verdienen. Und das tun sie mit unseren Daten. Sie sind ihr Geschäftsmodell. Und diese gesammelten Nutzerdaten liegen dann weiterhin erst mal auf den US-Servern der Unternehmen, und dann darf sich der US-amerikanische Geheimdienst NSA quasi frei daran bedienen. Die entsprechenden Gesetze sind natürlich geheim – erfahren haben wir auch dies nur dank eines Whistleblowers. Sein Name: Edward Snowden.
Lieber nicht zu viel preisgeben
Was also tun? Facebook verlassen? Den Versuch gab es nach Cambridge Analytica, relativ groß angelegt, schon mal. Die "Delete Facebook"-Initiative versandete. Denn, damit wären wir wieder bei der Monopolstellung: Wo sollen die Leute denn sonst hin?
Also bleibt erst mal nur, nicht arglos Persönliches in jede verfügbare Plattform zu hacken.
Sarah und ich haben uns übrigens auf einen Kompromiss geeinigt: Wir haben uns beim Italiener, den sie vorgeschlagen hatte, eine Pizza geholt und damit auf eine Wiese gesetzt. Dort habe ich ihr erklärt, wie problematisch ihr Onlineverhalten ist, wenn sie – und das ist ja erst mal gut – dermaßen vorsichtig mit ihren Daten sein will. Sie war ernsthaft erstaunt. Und schrieb mir, nachdem wir uns verabschiedet hatten, eine Nachricht: "Ich werd’ mich in Zukunft bei Facebook einfach zurückhalten. Danke und gute Nacht!" Diese Zeilen schickte sie – ganz genau – via WhatsApp.
- Artikel von Chris Hughes in der New York Times: It’s Time to Break Up Facebook