Influencer im Stadion Sie können nicht anders
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Während der EM sind die Stadien voll. Eine Gruppe von Besuchern der Fußballspiele ist besonders friedfertig, wird aber trotzdem angefeindet. Zu Unrecht, findet unsere Kolumnistin Nicole Diekmann.
Es gibt Influencerinnen, über die kann man viel Schlechtes schreiben. Wer diese Kolumne regelmäßig liest, weiß: Davor schreckt hier wirklich niemand zurück. Auch heute soll es um Influencerinnen gehen. Und um Influencer. Und um Fußball. Und um Ärger. Kurz: um Influencer in den EM-Stadien.
Denn bei den Topspielen sitzen auch YouTuber und Insta-Stars auf den Rängen. Und jubeln. Im Zweifel über sich selbst: Denn die Influencer kümmern sich mindestens ebenso intensiv um das Geschehen auf dem Rasen wie darum, sich selbst inmitten des Trubels zu inszenieren und zu filmen. Natürlich tun sie das. So wie Hunde nicht anders können, als zu bellen, Schnee naturgemäß kalt ist und die Ampelkoalition die Hölle zum Gefrieren bringen würde, würde sie plötzlich aufhören zu zanken, müssen sich Influencer inszenieren. Vermutlich würden sie das auch tun, wenn sie keine Influencer wären. Bevor ich mich hier aber in der Henne-und-Ei-Frage verrenne, zurück zum eigentlichen Thema: Influencer doing influencer things.
Zur Person
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf der Plattform X – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. In ihrem Podcast "Hopeful News" spricht Diekmann jede Woche mit einem Gast über die schönen, hoffnungsvollen – einfach GUTEN Nachrichten. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz".
Leute wie "ViscaBarca" (1,9 Millionen Follower auf YouTube) oder Ivana Knöll, deren Instagram-Account namens "knolldoll" mehr als 3 Millionen Menschen folgen, sitzen nun also auch in den Stadien. Leute, die ihrem Team während der Bundesligasaison nicht zu den Auswärtsspielen nachreisen, die sich nur bei schönem Wetter in die Kurve stellen. Keine Hardcore-Fans also. Solche Leute sitzen nun also auch in den Stadien. Und haben nicht mal dafür bezahlt.
Das hat jetzt Kritiker auf den Plan gerufen. Die Fanvereinigung "Unsere Kurve" zum Beispiel. Die Influencer würden den "echten Fans" die Plätze wegnehmen, die nur schwer an Tickets kämen, sagt Sprecher Thomas Kessen der Nachrichtenagentur dpa und fordert eine klare Trennung zwischen Menschen, die das Stadion aus geschäftlichem Interesse besuchen, und tatsächlichen Fans.
Gehört zu einem entspannten Sonntag
Nun habe ich mehrere Fragen. Erstens: Was sind denn "echte" Fans? Muss ich, die ich mich ja offen zu meinem ausgeprägten Desinteresse für Fußball bekenne, vor jedem Stadionbesuch erst mal einem Test unterziehen? Denn ja, obwohl Fußball mir zu 99 Prozent meiner Zeit völlig egal ist, wurde auch ich schon mehr als einmal in Stadien gesichtet – wenn auch nicht während dieser EM. Ich bin ja keine Influencerin, müsste fürs Ticket bezahlen, hätte Energie für die Verlosung aufbringen müssen – also nee. Aber auch das ist für diese Kolumne egal.
Ich bin zwar keine Influencerin, aber ich bin Freundin von Fußballfans. Ich bin Mutter eines Fußballfans, ich bin Fan von Stadionatmosphäre, und manchmal will ich auch einfach nur draußen rumstehen, wenig denken, noch weniger reden, aber unter Menschen sein, dabei ein Bier trinken und eine Bratwurst essen. Quasi glotzen, aber nicht alleine und nicht auf der Couch. Und das Ganze gerne an einem Sonntag. Was ist da die perfekte Lösung, um all meine bescheidenen Ansprüche unter einen Hut zu kriegen? Ganz genau: Ich gehe ins Stadion.
Brauchen wir einen Test für Fans?
Stellen wir uns mal vor: Es ist ein solcher Sonntag. Von dieser Sorte gibt es in meinem Leben so drei, vier im Jahr. Ich stehe, lecker zufrieden mit meiner Freizeitgestaltung so rum in einem Block und lasse meine Gedanken schweifen, während die lieben Menschen neben mir das Spiel, die Tabelle, den aktuell aufregendsten Spielertransfer oder von mir aus auch den jüngsten Wutanfall von Uli Hoeneß in der Fußballsendung "Doppelpass" diskutieren. Plötzlich spricht mich jemand an und fragt ab: Ob ich bitte mal die Abseitsregel erklären könne. Und alle Mitglieder der deutschen Nationalmannschaft aufzählen. Wie oft Leverkusen schon Meister geworden sei, das solle ich bitte auch noch kurz angeben, und zum Schluss noch, ob ich Team Messi bin oder Team CR7, bitte schön. Quasi ein Einbürgerungstest für Stadionimmigranten.
Nun ist es so: Ich schnappe viel auf, lese berufsbedingt intensiv Zeitung und habe ein gutes Gedächtnis. All das könnte ich also sogar korrekt beantworten. Und dürfte demnach dann im Stadion bleiben? Weil ich also kein unechter Fan bin und einem "echten" Fan den Platz wegnehme? Das ist ja lächerlich!
Harmlose Besucher
Zweitens: Nicht alle Influencer, die sich und das Spiel in den Stadien filmen, kurze bis mittellange Filme daraus fertigen und den Hype um diese ja wirklich auf mehreren Ebenen schöne EM anheizen (und auch den Hype um sich, aber so wie Hunde bellen … Sie wissen schon), machen transparent, wer sie nun ins Stadion eingeladen hat. Aber wir können wohl davon ausgehen, dass viele ihrer Tickets zu den Kontingenten der Partner und Sponsoren der Uefa gehören. Also ohnehin nicht in den normalen Verkauf gelangt wären. Säßen da keine Internet-Stars, säßen da höchstwahrscheinlich andere Promis. Aus Funk und Fernsehen, wie man so schön sagt. Es ist also tatsächlich ziemlich verfehlt, nun so ein Ding daraus zu machen.
Meine Güte, Leute. Lasst doch die Kirche im Dorf beziehungsweise die Influencer ins Stadion. Zünden die Pyrotechnik? Pfeifen die, während die gegnerische Nationalhymne abgespielt wird? Benehmen die sich wie diese gewaltbereiten "Fans", die Partien zu Hochrisikospielen werden lassen? Nehmen die anschließend im Suff halbe Innenstädte auseinander?
Ich glaube nicht. Und ich glaube, deshalb sollte sich der Ärger nun wirklich nicht gegen Influencer in Fußballstadien richten. Da gibt es ganz andere Themen. Bestimmt fällt mir für kommende Woche wieder eines ein. Heute aber breche ich eine Lanze. Für Influencer. Muss ja auch mal sein.
- Eigene Meinung