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Österreich: Urteil über Hass und Hetze im Internet setzt Zeichen


Meinung
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Bahnbrechendes Urteil
Hier hilft nur schwarze Pädagogik

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

19.06.2024Lesedauer: 4 Min.
Polizisten in Österreich:Vergrößern des Bildes
Polizisten in Österreich: nicht jede Lüge gefallen lassen. (Quelle: Isabelle Ouvrard/imago-images-bilder)
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Österreich setzt ein juristisches Beispiel im Umgang mit Hetze im Netz. Ein bahnbrechendes Urteil könnte nun auch für Deutschland Signalwirkung haben.

Von Österreich lernen heißt siegen lernen. Das mag jetzt erst mal falsch klingen, zumindest in den Ohren von Fußballfans. Aber: Erstens haben sich die Österreicher ja nun wirklich gut geschlagen gegen die Grande Nation. Und zweitens gibt es mehr als nur Fußball auf dieser Welt. Dafür ist hier sowieso mein Kolumnen-Kollege Stefan Effenberg zuständig, und der bin ich drittens bekanntermaßen nicht.

Hier geht’s Woche für Woche ums Netz, und da hat Österreich die Nase vorn. Und zwar auf der Supernasen-Skala ganz weit vorn.

Nicole Diekmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf der Plattform X – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. In ihrem Podcast "Hopeful News" spricht Diekmann jede Woche mit einem Gast über die schönen, hoffnungsvollen – einfach GUTEN Nachrichten. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz".

Denn in Österreich hat sich ein Dammbruch ereignet. Ein historisches Urteil wurde gesprochen, ein juristisches Erdbeben hat stattgefunden. Ich könnte noch mehr Superlative finden für das, was Österreichs Oberster Gerichtshof entschieden hat – und ich schwöre Ihnen: Ich würde welche finden und sie wären allesamt nicht übertrieben.

In Österreich haftet nämlich nun jeder Nutzer allein für das, was er (oder sie) im Zuge eines Shitstorms verbreitet. Das heißt umgekehrt: Niemand kann sich mehr als unschuldiger Lemming auf die lahme Ausrede zurückziehen, er sei ja nur in einer riesigen Masse mitgeschwommen, auf einer Welle des Hasses. Jeder muss fortan sehr genau überlegen, ob er sich beteiligt an der Verbreitung von Hass, Hetze und/oder Falschnachrichten.

Polizist ging gegen Shitstorm vor

Der konkrete Anlass war das Bild, das einen Polizisten zeigte. Es wurde in den sozialen Netzwerken verbreitet, inklusive der Behauptung, der Beamte habe einen unschuldigen 82-Jährigen zu Boden gerissen und stundenlang verhört. "Dieser Polizist ist schuldig!" stand unter einem Foto seines Gesichts.

"Dieser Polizist" war 2021 auf einer Corona-Leugner-Demo im Einsatz. Und hatte dort nachweislich keinen 82-Jährigen zu Boden gerissen. Er hatte auch niemanden festgenommen oder verhört.

"Dieser Polizist" wehrte sich. Er machte sich die Arbeit, 406 Personen, die am Shitstorm gegen ihn teilgenommen hatten, ausfindig zu machen. Er verklagte einen von ihnen. Und gewann. 3.000 Euro Strafe muss der Beklagte nun zahlen. Das ist kein Vermögen, aber das ist viel Geld. Und darüber hinaus ist das ein sehr, sehr klares Warnschild an alle, die so gern und bereitwillig mitmachen bei solchen Aktionen. Sie alle konnten bisher immer darauf hoffen, zwar den Ruf von jemandem geschädigt zu haben, ihm psychisch geschadet und ihm Angst gemacht zu haben, aber trotzdem straffrei auszugehen. Hass und Hetze machen viel kaputt. Unsere Debattenkultur. Aber ganz konkret auch das Leben von Menschen. Klingt groß. Ist aber leider so.

Wir müssen uns alle prüfen

Deshalb ist der Grundsatz, aber auch die Summe an sich ein gutes Signal. Eine sensationelle Nachricht; da bin ich wieder ganz bewusst beim Superlativ. Denn ob das Gefühl, Teil einer Bewegung zu sein, es "denen da oben" endlich mal gezeigt zu haben, 3.000 Euro wert ist – das würde ich doch arg anzweifeln. Keine Frage, nach vielen Jahren im Netz sagt mir meine Expertise: Es gibt wahrscheinlich überraschend und erschreckend viele, die eine solche Strafe gern in Kauf nehmen für die Kompensation ihrer offensichtlich massiven Probleme mit der Welt, mit der Selbstregulation und mit ihrem Selbstbewusstsein. Allzu viele aber dürften es dann doch wieder nicht sein. So viel positives Menschenbild konnte mir nicht mal Social Media bisher zerstören.

Viel überraschender ist die klare Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, der dem Beklagten in der Urteilsbegründung attestiert, "in Kauf" genommen zu haben, "ein Bild des Klägers ohne Prüfung auf den Wahrheitsgehalt in Umlauf zu bringen". Denn das heißt: Wir alle, jeder und jede Einzelne, sind dazu verpflichtet, zu prüfen, ob das, was wir mit einem lässigen Klick weiterverbreiten, auch stimmt. Und demnach müssen wir dazu auch alle in der Lage sein.

Das setzt Medienkompetenz voraus. Ein viel diskutiertes Thema, ein heiß diskutiertes Thema. Ein so wichtiges und drängendes Thema, dass regelmäßig über ein gleichlautendes zusätzliches Schulfach diskutiert wird. Dass es kommen wird, glauben nicht mal die größten Optimisten – und zudem sind es ja oft auch (zumindest auf dem Papier) sehr erwachsene Menschen, die ihre Kinderstube vergessen, sobald sie Facebook, X oder andere soziale Plattformen betreten.

Was Österreich kann, können wir auch

"Lernen durch Schmerz" ist also die neue Devise, und in diesem Falle bin ich ausnahmsweise mal große Anhängerin schwarzer Pädagogik. Denn neben der Möglichkeit, noch mal genau zu schauen, ob eine solche Behauptung wirklich stimmt, gibt es ja noch eine andere: So etwas eben nicht zu verbreiten, wenn man nicht 100-prozentig sicher sein kann, ob da was dran ist oder nicht.

So. Und nun hoffe ich auf eine Signalwirkung nicht nur auf all die, die viel zu oft viel zu verharmlosend als Trolle bezeichnet werden. Sondern auch auf andere Länder. Deutschland zum Beispiel. Was Österreich kann, können wir auch. Und das gilt nicht nur für den Themenkomplex Fußball!

Verwendete Quellen
  • Eigene Meinung
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