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Anti-Aging-Cremes für Kinder: Gefährlicher Trend wird gefördert


Meinung
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Besorgniserregender Trend
Dieser Wahn muss ein Ende haben

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

Aktualisiert am 03.04.2024Lesedauer: 3 Min.
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Kundin bei Sephora: Die französische Kosmetikkette ist so erfolgreich, dass eine ganze Generation nach ihr benannt ist. (Quelle: IMAGO/Lorenzo Carnero)
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Immer mehr Kinder und Jugendliche benutzen Anti-Aging-Cremes, obwohl diese für junge Haut gefährlich sind. Befeuert wird der Trend von großen Kosmetikfirmen.

Ostersonntag. Meine Freundin Kathrin öffnet mir die Tür. Ich bin zum Osterbrunch geladen, genauso wie viele andere Freunde und deren Kinder. Kathrins großer Garten ist perfekt für dieses Wetter – und zum Verstecken der Osternester. Jedes Jahr treffen wir uns hier. Wir Erwachsenen sitzen dann entspannt herum und betrachten beglückt und entzückt unsere Kinder. Wie sie suchen, wie sie finden, wie sie sich freuen. Und verdrängen, was wir unter der Oberfläche auch sehen: nämlich, wie die Zeit fliegt. In dem einen Jahr diskutierten die Kinder noch miteinander, wie der Osterhase es geschafft habe, unbemerkt an ihnen vorbeizuhoppeln. Im Jahr danach geben sie sich schon möglichst abgeklärt, weil: Entschuldigung, wer glaubt denn bitte schön noch an den Osterhasen? "Die Kinder werden groß, wir werden alt", seufzen wir dann.

Nicole Diekmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf Twitter – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. In ihrem Podcast "Hopeful News" spricht Diekmann jede Woche mit einem Gast über die schönen, hoffnungsvollen – einfach GUTEN Nachrichten. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz".

Dieses Jahr aber seufzt Kathrin schon zur Begrüßung, optisch untermalt von Zornesfalten. Im Hintergrund höre ich wütendes Geschrei. Kathrins Tochter Marie, zehn Jahre alt, hat einen ihrer Wutanfälle. Wir kennen das schon. Die kleine Marie hat Temperament. Der aktuelle Anlass ist schnell erklärt – und ist verstörend. Marie hatte das Warten nicht mehr ausgehalten, auf eigene Faust gesucht, ihr Nestchen gefunden – und darin dann nicht das Gewünschte. Anti-Aging-Creme.

Nein, das ist kein verspäteter Aprilscherz, und diese Episode ist im Gegensatz zum Osterhasen auch nicht ausgedacht. Zwischen dem Zeitpunkt, an dem unsere Kinder nicht mehr an den Osterhasen, den Nikolaus und den Weihnachtsmann glauben, und dem, an dem sie sich ihre Kindheit abschminken, drohen nur noch wenige Jahre zu liegen.

Kosmetikindustrie umgarnt Kinder

Denn leider ist Marie zumindest in dieser Frage nichts Besonderes: Die Grundschülerin gehört zur "Generation Sephora". Eine Generation von Kindern – und nichts anderes ist eine Zehnjährige: ein Kind –, die von der Kosmetikindustrie ebenso skrupellos wie erfolgreich umworben wird. Mit dem Risiko, dass vor allem junge Mädchen ihre Haut schädigen.

Sephora ist der Name einer großen Kosmetikkette mit Sitz in Frankreich, vielen Läden in den USA und seit einigen Jahren auch immer mehr Shops bei uns in Deutschland. Eine Sephora-Mitarbeiterin berichtete vor wenigen Monaten auf TikTok, wie ein nicht mal zehnjähriges Mädchen mit Beauty-Produkten für 900 Dollar an ihrer Kasse stand. Der Clip wurde zig Millionen Mal angesehen.

Genauso wie andere Clips – und zwar solche, in denen Kinder und Jugendliche vor ihrem gleichaltrigen Millionenpublikum Produkte gegen Hautalterung anpreisen. Ja, gegen Hautalterung. Es klingt pervers, es klingt total albern, es klingt völlig absurd – aber: Das Klingeln der Kassen, zum Beispiel in Sephora-Filialen – das klingt auch. Und zwar in den Ohren der Industrie sehr laut und sehr süß. "Der Jahresumsatz mit Hautpflege für Babys und Kinder in den USA wird bis 2028 auf mehr als 570 Millionen Dollar steigen, schätzt die Datenplattform Statista, ein Plus von 26 Prozent gegenüber 2023", schreibt der "Spiegel".

Kapitalismus kontra Hautgesundheit

Entsprechend eifrig mischen die Kosmetikriesen auf den sozialen Plattformen mit. Kapitalismus und Verantwortungsbewusstsein – es ist und bleibt oft ein Widerspruch. Was kümmert es, wenn Hautärzte davor warnen, dass die Kinder sich die Hautbarriere zerstören? Es gibt ja die Eltern. Sollen die doch dafür sorgen, dass die aggressiv beworbenen und wirkenden Cremes und Seren nicht an das Kind kommen!

Ich glaube ja, es gibt kein Entweder-oder. Natürlich sind Eltern in der Pflicht. Kathrin hat natürlich einen Teufel getan, ihrer Zehnjährigen ihren Wunsch zu erfüllen. Nur: Marie hat eine 14-jährige Schwester, die sowohl über einen TikTok-Account verfügt als auch über Taschengeld. Da wird's dann schon schwieriger, sich schützend zwischen Industrie und Kind zu werfen. Was übrigens auch die Plattformen tun könnten und sollten. Aber auch die wirtschaften nach den Regeln des Marktes, nicht nach denen der Dermatologie.

Eltern, erkundet soziale Netzwerke!

Bleibt der Appell an Eltern: Beschäftigt Euch mit der Lebenswelt Eurer Kinder! Wie oft erlebe ich von Herzen liebende, engagierte Mütter und Väter, die sich stundenlang in die komplexe Welt der Pokémon-Karten einarbeiten. Die sich abhetzen, um den Nachwuchs rechtzeitig zum Hockeytraining zu bringen, und am Wochenende am Feldrand jubeln. Die den täglichen Kampf ums Instrumente-Üben auf sich nehmen – die aber abwinken, wenn es um die sozialen Netzwerke geht. Diese aber sind der Ort, an dem die Kinder erreichbar sind. Auch für Werbetreibende. Wir sitzen nicht mehr zusammen vor dem Fernseher und können absurde Werbespots fürs Medienkompetenz-Training nutzen.

Es ist ein Zweiklang: wissen, was die Kinder sehen. Und ihnen erklären, was hinter der schönen Fassade steckt. Damit kann man gar nicht früh genug anfangen. Leider.

Verwendete Quellen
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