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"Letzte Generation"-Aktivisten – "Taliban"? Kritiker verlieren jedes Maß


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Streit um Klimaschützer
Jedes Maß verloren

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

Aktualisiert am 08.03.2023Lesedauer: 4 Min.
Klimaaktivistin klebt sich am Zebrastreifen fest (Archivfoto): Die Gruppe wird von einigen Politikern angefeindet.Vergrößern des Bildes
Klimaaktivistin klebt sich am Zebrastreifen fest (Archivfoto): Die Gruppe wird von einigen Politikern angefeindet. (Quelle: Slovencik/imago-images-bilder)

Die "Letzte Generation" ist bekannt für drastische Aktionen. Interessanterweise gerieren sich jedoch einige ihrer Kritiker weitaus radikaler – und verlieren jedes Maß.

Seit Monaten halten die sogenannten Klima-Kleber die Republik in Atem: Mitglieder der "Letzten Generation", die sich auf Straßen festkleben und so den Verkehr aufhalten. Damit wollen sie hinweisen auf die allerhöchste Eisenbahn: Es müsse endlich und sehr schnell und sehr maßgeblich etwas passieren, damit der galoppierende Klimawandel noch einigermaßen eingehegt werden kann, das ist ihre Botschaft.

Ansonsten seien sie die letzte Generation vor den sogenannten Kipppunkten, so begründen sie ihre Aktionen und ihren Namen: Ihre Nachfahren würden dann eine Welt bevölkern und erleben, die völlig aus den Fugen geraten sei. Und das nicht nur mit Blick aufs Klima.

Der Klimawandel ist real, er ist eine Bedrohung. Wir Menschen können ihn zwar nicht mehr stoppen, aber doch wenigstens verlangsamen und begrenzen. Darin kann eigentlich nur Einigkeit bestehen. Natürlich gibt es immer auch in dieser Frage die Verstrahlten, die bizarre Kreativität an den Tag legen, um den Gegenbeweis zu erbringen.

Im Zweifel nur, um weiterhin im Billigflieger nach Malle zu jetten und das Altpapier guten Gewissens im SUV zum Container an der Ecke zu kutschieren. Hand aufs Herz: Wer ist nicht bequem und macht gern günstig Urlaub?

Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf Twitter – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich, ihr Blog findet man hier.

Das ist aber gar nicht die Frage. Sondern die Frage ist: Wie weit will man gehen, um die "Letzte Generation" und ihre Aktionen, und damit unterm Strich auch ihr hyperwichtiges Anliegen, zu delegitimieren?

In diesem Bemühen lässt sich in der Spitzenpolitik seit einigen Monaten ein bestürzender Überbietungswettbewerb beobachten. So werden die Aktivisten gerne mal mit den Terroristen der Roten Armee Fraktion verglichen. Alexander Dobrindt etwa, Landesgruppenchef der CSU im Bundestag und ehemaliger Bundesverkehrsminister mit wenig erkennbarer Sympathie für den öffentlichen Personenverkehr, warnte bereits öfter vor der Entstehung einer "Klima-RAF".

Er hätte einen maßgeblichen Teil dazu beitragen können, den Klimaschutz ernster zu nehmen und könnte es noch heute. Stattdessen verteufelt er zugegebenermaßen zum Teil schwierige Aktionen der Aktivisten lieber direkt als potenziellen Terror. Zur Erinnerung: Auf das Konto der RAF gehen 35 Menschenleben.

Julia Klöckner findet Nazi-Vergleich angemessen – Wahnsinn

Dieser Vergleich aber wirkt fast schon freundlich in Anbetracht dessen, zu was sich andere politisch Verantwortliche versteigen. Ein Tweet eines Publizisten mit dem Text: "Die Methoden von AufstandLastGen erinnern auch an die Nazis während der Weimarer Republik. Hass, Hass, Hass. Plus Verachtung des Rechtsstaates und der parlamentarischen Demokratie" wurde von Julia Klöckner mit einem zustimmenden Herzchen versehen.

Um es noch mal deutlich zu machen: Die Schatzmeisterin der CDU und ehemalige Bundesverbraucherschutzministerin hält es für richtig und angemessen, die Klimaaktivisten mit den Nationalsozialisten zu vergleichen. Holocaust / Straßenblockaden – der Unterschied scheint für manche kein allzu großer zu sein. Wahnsinn.

Auch in der FDP machen einige keine Gefangenen. Am vergangenen Wochenende übergossen Mitglieder der "Letzten Generation" das Denkmal "Grundgesetz 49" am Reichstag in Berlin mit etwas, das sie zunächst als Erdöl bezeichneten. Inzwischen weiß man, es handelte sich um ein Gemisch aus Leim und Farbe. Sicher – eine Aktion, über die man streiten kann. Selbst der WWF äußert sich heute sehr kritisch mit der Befürchtung, diese überzogenen Aktionen – wie auch kürzlich das Fällen von Bäumen – könnte der ganzen Sache sehr schaden und die Gräben innerhalb der Gesellschaft noch vertiefen.

FDP-Politiker spricht von "Abschaum", SPD-Mann von "Taliban"

Man kann das also daneben finden. Was man aber nicht kann – oder präziser – was man nie tun sollte: Menschen als Abschaum bezeichnen. Dazu aber ließ sich am Wochenende ein FDP-Politiker hinreißen: "Mit der öffentlichen Zerstörung des Grundgesetzes hat die 'Letzte Generation' ihre hässliche Fratze endgültig fallen lassen und gezeigt, wo sie steht: gegen den Staat und gegen die freiheitlich, demokratische Grundordnung. Diese Hasser der Freiheit sind der letzte Abschaum", schrieb der Chemnitzer Bundestagsabgeordnete Frank Müller-Rosentritt auf Twitter.

Wo auch ein SPD-ler die Sache weiter eskalieren ließ. Michael Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, fand noch mal einen neuen Kniff, eine neue, völlig überzogene Vergleichgröße: "Ihr scheißt auf die Grundrechte, zerstört Kunst ähnlich wie die Taliban und fühlt Euch noch als Heldinnen und Helden!", schrieb er fäkalsprachlich garniert in Richtung der Aktivisten.

Das Bundesverfassungsgericht hat der Politik vergangenes Jahr ein Armutszeugnis ausgestellt und das Klimagesetz der Großen Koalition in Teilen als verfassungswidrig erklärt. Der Großen Koalition, der auch Roth bereits angehörte. Er sitzt "seit 1998 direkt gewählt im Bundestag", wie er auf Twitter stolz informiert.

Das Urteil war eine Klatsche für diejenigen, die uns, unsere Kinder und Enkel schützen sollen vor den Folgen des Klimawandels. Vor den Folgen, man muss es so drastisch formulieren, einer seit Jahrzehnten ignoranten, verfehlten – ja: schlechten Klimapolitik. Das ist beschämend genug und hätte eigentlich zu mehr Demut führen sollen. Denn es ist nicht nur eine Klatsche, sondern gleichzeitig ein klarer Auftrag. Es besser zu machen.

Wer zum Teufel vertritt uns eigentlich im Bundestag?

Nun aber steht nicht nur die Frage im Raum, warum nicht langsam mal Zug in die Sache kommt. Sondern auch die, wer zum Teufel uns eigentlich zum Teil im Bundestag vertritt? Denn ganz offensichtlich sitzen ja im Hohen Haus auch Leute, deren Gier nach Aufmerksamkeit und Klicks die Grundsätze des Anstands und der Mäßigung komplett überlagert. Was übrigens noch eine schmeichelhafte Analyse ist.

Eine andere, die sich aufdrängt, muss nämlich lauten, dass selbst in der Spitzenpolitik noch Ahnungslosigkeit darüber herrscht, welche Gräueltaten auf das Konto der Nazis, der Taliban und der RAF gehen. Oder aber, um im Duktus einiger hier zitierter Politiker zu bleiben: denen vieles scheißegal ist. Das Klima zum Beispiel. Auch das gesellschaftliche.

"Wer schreibt, bleibt", bedeutete lange: Wer sich verewigen will, wer etwas Bedeutendes hinterlassen will für die Nachwelt, sollte sich schriftlich verewigen. Heute aber heißt das auch: Das Internet vergisst nichts. Selbst gelöschte Tweets sind weiterhin da. Wer sich also im Ton vergreift, kann das nicht mehr rückgängig machen. Und das ist das Gute: dass man dank Social Media weiß, wes Geistes Kind manche Leute sind.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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