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Praktikum bei einem Bestatter


Die letzte Reise
Praktikum bei einem Bestatter

Der Tod ist für viele Menschen ein Tabuthema. Doch wenn nichts sicher ist im Leben, eines ist sicher: Sterben müssen wir alle irgendwann. Die Bestatter Gregor Kuhnle und Frank Schmitt vom 1. Weinheimer Bestattungsunternehmen haben tagtäglich mit dem Tod zu tun. Sie begegnen ihm mit dem nötigen Respekt, aber auch mit einer gewissen Distanz. Für sie ist der Beruf des Bestatters eine Berufung. Eine Reportage von Michael Callies.

Aktualisiert am 28.11.2014|Lesedauer: 4 Min.
Michael Callies
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Modell Nummer 16, Eiche Furnier liegt im Trend. Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt einfach. Jede Woche holt Gregor Kuhnle gleich mehrere dieser schweren Särge aus dem Lager ab und wuchtet sie in den schwarzen Kastenwagen. Bald schon ist die Holzkiste nicht mehr leer. Das Leergewicht überrascht – ein echter Knochenjob. Es folgt ein Tag, der in vieler Hinsicht Kraft kostet. Mein Begleiter ist einige Monate jünger als ich und arbeitet seit drei Jahren als Bestatter. Erst war er Altenpfleger, jetzt begleitet er die Menschen auf ihrer letzten Reise. Irgendwie konsequent. Einen würdevollen Abschied bereiten – das ist seine Erfüllung, seine Berufung – jeden Tag aufs Neue. Doch viele Freunde umarmen ihn nicht mehr, Menschen schauen verschämt weg, halten Abstand. Wie schafft er das täglich? "Besonnene Gespräche mit Kollegen und meiner Frau geben mir Kraft", sagt er. Auch unserem Fahrzeug kommt niemand zu nahe.

Der Tod ist an einen Spezialisten outgesourct – und das ist auch gut so.Vergrößern des Bildes
Der Tod ist an einen Spezialisten outgesourct – und das ist auch gut so. (Quelle: Simon Hofmann)

Der Tod ist tabu

Den Wunsch, abends, alt, gesund ins Bett zu gehen und morgens nicht mehr aufzuwachen, haben viele – doch meistens kommt es anders. Im Standesamt warten Formulare auf uns. Der bürokratische Kreislauf des Lebens, er schließt sich, hier. Am Kellergeschoss-Hintereingang des Krankenhauses erkämpfen wir uns eine Parklücke. Wir sind nicht die einzigen Bestatter, die unterwegs sind. Über 150 000 Menschen sterben täglich auf der ganzen Welt, mehr als doppelt so viele werden geboren. Wer im Krankenhaus stirbt, dessen sterbliche Überreste landen unweigerlich hier – nahe der Restmülltonnen und Pappkartonagen. Entsorgung ganz unten. Weiter geht es in die Prosektur. So heißt der Raum, den wir sonst nur aus Fernsehkrimis kennen. Verstorbene lagern hier in Kühlzellen. Der Weg dorthin dauert eine gefühlte Ewigkeit. Doch was sind diese kurzen Momente im Vergleich zu einem erfüllten Leben, das mehr als 2,8 Milliarden Sekunden gedauert hat? "Kurze Wegeführung für den Abtransport der Leichen durch Bestattungsunternehmen", heißt die Vorschrift in der Landeshygieneverordnung für Krankenhäuser. 78 Stunden kann der Verstorbene hier gelagert werden, danach muss eine Überführung stattfinden oder jeder weitere Tag kostet extra. Alles gesetzlich geregelt. Ganz wichtig ist die "Diskrete Wegeführung für den Leichentransport von den klinischen Einheiten zur Leichenaufbewahrung".

Nur Wenige sterben zuhause

Über zwei Drittel der Deutschen sterben mittlerweile in Krankenhäusern und Altenheimen. Wir entfernen den Tod aus unserem Alltag. Niemand will einen Bestatter in den Krankenhausgängen sehen. Leichengift gibt es nicht. Wohl aber, kann man sich an einer Leiche infizieren, so wie man sich an jedem lebenden Menschen infizieren kann. Gefährdende Mikroorganismen können auf oder in einem Verstorbenen vorkommen, in den Körperöffnungen und auf allem, was die Körperflüssigkeiten des Toten berührt. Beim Umlagern von Verstorbenen treten bisweilen Aerohen sole aus der Lunge des Toten aus, die Fäulnisbakterien enthalten. Oft geraten durch Schnittverletzungen oder über Parasiten Krankheitserreger vom Toten in das Blut von Lebenden. Manche Mikroorganismen wie der HI-Virus (AIDS) überleben den Tod ihres "Wirts" nur wenige Stunden. Der Milzbranderreger dagegen bleibt über Jahrzehnte gefährlich. Ich bin daher froh, dass wir die Einmal-Handschuhe gleich doppelt überziehen müssen. Hygienevorschriften und der gesunde Menschenverstand erlauben gar kein anderes Vorgehen.

Umbetten in die letzte Ruhestätte

Die alte Dame ist in ein weißes Laken eingewickelt, ihr Name steht auf Zetteln – an je einem Hand- und Fußgelenk. Vorsichtig, aber bestimmt ziehen wir sie mit einem Ruck von der eiskalten Trage in unseren Sarg. Ich packe mit an und umgreife die Beine. Sie hat eine fast schmächtige Figur. Und doch trägt sie sich wie eine Tonne Blei. Mein Puls rast, ich zittere. Geschafft! Ich blicke in sein Gesicht. Die alte Dame sieht friedlich aus. Wie er hierhergekommen ist? Ich werde es nie erfahren. "Gut gemacht", nickt mir Gregor Kuhnle zu. Den Sarg verschließen wir mit sechs Nägeln – eigentlich sind es Schrauben. Ich drehe sie bis zum Anschlag. "Das Einkleiden erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt – in Ruhe auf dem Friedhof. Oft werden uns noch ganz persönliche Dinge des Verstorbenen vorbeigebracht", sagt Gregor Kuhnle. Wir desinfizieren unsere Hände und machen uns auf den Rückweg. Regelmäßig mit dem Tod konfrontiert sein – das belastet, ganz besonders, wenn es sich um Unfall- oder Gewaltopfer handelt. Oft genug sind die Bestatter vor Ort allein gelassen. Wer hilft, akute Belastungssituationen und traumatische Ereignisse zu verarbeiten? Viele Bestatter kommen körperlich und seelisch schnell an ihre Grenzen. In der Ausbildung oder auf Seminaren steht das Fach "Maßnahmen zur psychologischen Verarbeitung beruflicher Eindrücke und Erlebnisse" ganz oben auf dem Stundenplan.

Waschen, einkleiden, schminken

"Theorie ist keine Praxis", weiß Kuhnle. In der Tat: Man muss aus einem besonderen Holz geschnitzt sein, um diesen Beruf auszuüben. Jeder Verstorbene hat ein Recht schön auszusehen. Hinterbliebene sollen sich ohne Schock beim Anblick des Verstorbenen verabschieden können. Dazu gehört weit mehr als nur ein wenig Leichenschminke und ein bisschen Kosmetik. Ansehnlich soll er sein. Das gehört zur Trauerbewältigung und zu unserem Kulturkreis dazu. Gregor Kuhnle richtet seine Kunden so authentisch wie möglich her, indem er mit desinfizierender Flüssigkeit arbeitet, Totenflecken überschminkt, Wunden versorgt, den Bart rasiert, Nägel schneidet und Verletzungen kaschiert sowie anschließend den Körper mit einer feuchtigkeitsregulierenden Creme einreibt. Es gibt schließlich nur diesen Abschied – diesen einen. Wir tragen die Frau in den kalten Raum in unmittelbarer Nähe der Aussegnungshalle. Dort können die Hinterbliebenen dann Abschied nehmen. Gregor Kuhnle und ich haben es bereits getan und die alte Dame auf ihrer letzten Reise begleitet. Der Tod ist an einen Spezialisten outgesourct – und das ist auch gut so.

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