Otto Group Vom Katalogversand zum deutschen Online-Riesen
Zu Beginn des kommerziellen Internets wagte der Versandhändler Otto den Sprung ins digitale Geschäft. Heute ist der Ex-Katalogriese ein Player mit vielen Standbeinen. Der Katalog wird dieses Jahr eingestellt, der Internethandel boomt.
Für Millionen Deutsche brachte der Otto-Versand aus Hamburg die Früchte des Wohlstands in die Wohnung: Fernseher, Waschmaschine, Computer und modische Kleidung, die zu Hause anprobiert und ohne Probleme wieder zurückgeschickt werden konnte. Der Otto-Katalog war die knallbunte Wunsch-Bibel der sechziger und siebziger Jahre. Werbesprüche wie “Otto-Versand Hamburg”, “Gefunden auf Otto.de” und “Otto, find ich gut” kennt fast jeder.
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Doch die Zeiten, in denen der ziegelstein-schwere Katalog in mehr als zehn Millionen deutscher Briefkästen landete, sind vorbei. Er wird 2018 zum letzten Mal erscheinen. Der Versandhändler Otto hat sich weitgehend unbemerkt zu einem der größten Player in Deutschland entwickelt, die Otto Group ist längst zu einem Großkonzern angewachsen, mit 123 Tochterunternehmen in 30 Ländern und mehr als 50.000 Mitarbeitern. Etwa die Hälfte von ihnen sitzt in Deutschland, ein Großteil davon in Hamburg-Wandsbek.
Zur Otto Group zählen heute auch das größte deutsche Inkasso-Unternehmen Eos, der Paketdienst Hermes sowie der Nobel-Nostalgie-Händler Manufactum. Auch der Bezahldienst RatePay gehört zur Otto Gruppe, ebenso die Hanseatic Bank. Doch Einzelhandel bleibt das Kerngeschäft: In den rund 100 Online-Shops erzielt Otto mehr als 65 Prozent aller Erlöse, unter so bekannten Markennamen wie MyToys und Baur, Bonprix, Heine und Lascana.
Bis 2022 Umsatz auf 17 Milliarden erhöhen
Damit ist das Hamburger Unternehmen weltweit einer der größten Onlinehändler im Konsumentengeschäft und in Deutschland auf Platz zwei - gleich hinter Amazon. Ein Kraftakt für den Handelsriesen, der im Geschäftsjahr 2014/15 zum ersten Mal in seiner Geschichte ein Minus von fast 200 Millionen Euro ausweisen musste. Doch seitdem sprudelt der Gewinn: 2017/18 war er mit 405 Millionen Euro Betriebsgewinn (Ebit) fast doppelt so hoch.
“Wenn man sich anschaut, womit sich Otto heute beschäftigt und was uns als Unternehmen antreibt, zum Beispiel künstliche Intelligenz, der Bau von smarten Algorithmen, Over-Voice-Commerce oder Augmented Reality, dann sieht man, dass es eine ganze Vielzahl unterschiedlichster Themen sind” sagt Otto-Sprecher Frank Surholt. “Wir beschäftigen uns immer mit den neuesten Innovationen und Trends.” Diese Haltung ist auch mehr als notwendig: Konzerne müssen heute schnell und wandlungsfähig sein, denn die Konkurrenz lauert überall. Vor allem im Internet.
Neckermann und Quelle - am Internethandel gescheitert
“Einer unserer Vorteile war, dass wir den Online-Trend deutlich eher erkannt haben als viele unserer deutschen Wettbewerber”, sagt Surholt, “Quelle und Neckermann waren beide sehr große Unternehmen des klassischen Versandhandels im Kataloggeschäft, mit denen Otto jahrzehntelang konkurrierte. Beide sind Unternehmen, die es heute so nicht mehr gibt und die heute zu Otto gehören."
Blickt man in die Vergangenheit, so waren es gerade Innovationen wie der Kauf auf Rechnung, die telefonische Bestellung und Beratung und der erste Onlineshop, die Otto zu den Pionieren des Online-Handels machten. Dem Konzern gelang vor 2000 der erste Schritt in die digitale Welt. Und hält heute noch Schritt mit internationalen Playern wie Amazon oder dem deutschen Modehändler Zalando.
Bewährungsprobe für den Enkel des Gründers
Erfolgversprechend scheint der Webshop About You, der unter der Leitung von Benjamin Otto 2013 im Rahmen des eCommerce-Projekts Collins entstand. Der 43-jährige Sohn von Aufsichtsratschef Michael Otto, der 78,5 Prozent der Aktien der Otto Group hält, war bislang in geschäftlichen Belangen eher zurückhaltend: Den Posten des Vorstandvorsitzenden, den zum 1. Januar 2018 Alexander Birken als Nachfolger von Hans-Otto Schrader übernahm, lehnte Benjamin Otto ab. Stattdessen wolle er sich um die strategische Ausrichtung des Konzerns und um den Aufbau von Collins kümmern, hieß es.
About You (Slogan: “Jedes Teil Dein Style”) ist durchaus ambitioniert gestartet: Er soll junge "digital natives" an sich binden, die mit etablierten Webseiten wie Heine oder Bonprix nichts anfangen können, und damit das Kerngeschäft des Versandhändlers zukunftssicher machen. About You baut dazu auf ein vielschichtiges, auf jeden Kunden zugeschnittenes Angebot. “Die wesentlichste Entwicklung im Online-Handel ist die Marktmacht des Kunden”, erklärte Benjamin Otto in einem Interview mit der “Welt”: “Marken von Collins wie About You funktionieren wie Facebook, Pinterest oder Instagram.” Algorithmen messen und bewerten dabei das Verhalten der Kunden. Dazu bietet die Webseite technische Spielereien wie Empfehlungs- oder Styling-Apps. Das Konzept scheint aufzugehen: Im Januar gab die Otto Group bekannt, dass About You im Geschäftsjahr 2016/17 den Umsatz mit 135 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt habe.
Neue Kunden gewinnen, Bestandskunden halten
Die Webseite war von Anfang an so konzipiert, dass es möglich war, Profildaten anzulegen. Innerhalb der Gruppe sei das reine Online-Projekt eine spannende Befruchtung, wo viel schneller Innovationen ausprobieren bei einer deutlich jüngeren Zielgruppe ausprobiert werden könnten. Einerseits will Otto verstärkt auch junge Kunden an sich binden, auf der anderen Seite gibt es sehr viele Bestandskunden, die es zu halten gilt. Eine stark differenzierte Mehr-Marken-Strategie scheint hier der richtige Weg zu sein.
Den Online-Shops gehört die Zukunft, der bunte Katalog mit teils bis zu 1000 Seiten und ist bald Geschichte: Nach den aktuellen Erhebungen kaufen 72 Prozent aller Deutschen Produkte und Dienstleistungen im Internet. Männer sind hier etwas aktiver als Frauen. Für jüngere Familien ist es vollkommen üblich, dass sie Lebensmittel oder Artikel des täglichen Bedarfs, wie Kosmetik oder Kleidung, online kaufen. Selbst Möbel werden heute im Internet bestellt.
Kritik zum Start von “Otto Up”
Um diese Kunden zu gewinnen und zu halten, startete der Konzern mit Otto Up im Juni eine Liefer-Flatrate für Vielbesteller. In erster Linie ein Kundenbindungs-Instrument, das mehrere Angebote kombiniert. Doch die Resonanz ist bisher eher verhalten: Im Vergleich zu Amazon Prime und dem Plus-Abo von eBay sei Ottos Up chancenlos, urteilte das IT-Nachrichtenportal “Golem.de”. Es enttäusche mit zu vielen Einschränkungen, sei verwirrend und biete im Vergleich deutlich weniger. Versandkosten würden zwar günstiger, doch die Bestellungen würden, anders als bei Amazon, nicht schneller geliefert, so die Kritik.
Der Hamburger Konzern will Otto Up dennoch Schritt für Schritt weiter ausbauen. Auch der Premium-Service bei Amazon sei nicht von heute auf morgen entstanden, sondern habe immer weitere neue Dienste integriert. “Wir möchten unseren Kunden Produkte schnell, unkompliziert und zeitnah anbieten, gemeinsam mit ihnen testen, und sie auf dieser Basis weiterentwickeln“, heißt es bei Otto. Das könnte fast ein Leitspruch für den Konzerns sein.
- Eigene Recherche
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