Gewerkschaft warnt Amazon lässt Privatleute Pakete ausliefern
Amazon will das Weihnachtsgeschäft mit Hilfe von selbständigen Paketboten bewältigen. Die Gewerkschaft Verdi spricht von "prekären Jobverhältnissen".
Für deutschen Paketzusteller herrscht in den Wochen vor Weihnachten der Ausnahmezustand: Lieferdienste müssen alle Kräfte mobilisieren, um die zu erwartende Paketflut zu bewältigen. Der Online-Händler Amazon setzt dabei zusätzlich auf freie Mitarbeiter: Seit letzter Woche wirbt der Konzern mit "Amazon Flex" um private Fahrer. Diese sollen mit Hilfe einer App im Auftrag von Amazon Pakete mit ihrem eigenen Auto ausliefern. In Deutschland soll "Amazon Flex" zunächst nur in Berlin starten. Interessenten in anderen Regionen kommen auf eine Warteliste.
In den USA, England und Singapur funktioniere die Zusammenarbeit mit privaten Paketboten bereits gut, erklärt Amazon. "Tausende Partner" würden ihr Einkommen durch gelegentliche Lieferfahrten in der Freizeit aufbessern. Auf der Webseite wirbt das Unternehmen mit "bis zu 64 Euro Verdienst" für eine vier Stunden-Schicht. Amazon spricht dabei von "Zustellblöcken". Diese könnten sich die Fahrer je nach Verfügbarkeit frei einteilen.
Auf den ersten Blick sieht es verlockend aus
"Seien Sie Ihr eigener Chef und arbeiten Sie nach Ihrem Zeitplan", heißt es auf der Webseite. Das klingt erstmal gut. Doch hinter diesem Freiheits-Versprechen verberge sich ein prekäres Beschäftigungsverhältnis, warnt Verdi-Sprecher Andreas Splanemann. Denn in der Praxis bedeutet das Arbeitsmodell, dass die Mitarbeiter auf Abruf bereit stehen. Während festangestellte Mitarbeiter unabhängig von der Auftragslage bezahlt werden, verdienen Flex-Fahrer nur, wenn es viel zu tun gibt und zusätzliche Arbeit für sie abfällt.
Flex-Fahrer müssen sich auf diese kurzfristig von Amazon ausgerufenen Zustellblöcke bewerben, die mit 16 Euro pro Stunde entlohnt werden. Dabei steht jeder Flex-Fahrer in direkter Konkurrenz zu anderen privaten Paketboten. Die begehrten Schichten, etwa in den Abendstunden oder am Wochenende, wenn sich viele Gelegenheits-Jobber noch etwas dazu verdienen wollen, könnten dabei schnell knapp werden. Ein halbwegs gesichertes Auskommen kann der Flex-Fahrer also keinesfalls erwarten.
Amazon versuche mit dem "Partnerschaftsprogramm", das unternehmerische Risiko auf externe Mitarbeiter abzuwälzen, meint der Gewerkschaftsvertreter Splanemann.
"Wir stellen fest, dass solche Jobangebote im prekären Bereich zunehmen", sagt Splanemann. Einer der Gründe: Immer mehr Menschen verdienen in ihren Jobs nicht genug, um sich über Wasser zu halten. Unter solchen Umständen fielen solche Angebote wie von Amazon in Deutschland natürlich "auf fruchtbaren Boden", sagt der Verdi-Sprecher.
Nach Feierabend noch Pakete austragen?
Amazon macht seinen zukünftigen freien Mitarbeitern den Jobeinstieg bewusst einfach. Besondere Voraussetzungen scheint es für die Flex-Fahrer nicht zu geben: Die selbständigen Paketboten müssen mindestens 18 Jahre alt sein und einen Führerschein haben. Außerdem brauchen sie ein Auto und ein Smartphone. Rechtlich gesehen gelten sie als Selbständige und brauchen daher einen Gewerbeschein.
Gleichzeitig scheint Amazon keinerlei Anstalten zu machen, für die Ausgaben der Fahrer aufzukommen, etwa für Benzin oder Versicherung. Auch über andere Details der Vereinbarung schweigt sich die Webseite von Amazon Flex aus. "Ich kann jedem nur empfehlen, da vorsichtig zu sein", sagt Splanemann. Es sei nicht klar, zu welchen Bedingungen man hier arbeite.
Amazon Flex ist kein Einzelfall. Auch Lieferdienste wie "Deliveroo" und "Foodora" beschäftigen ein Heer von freien Mitarbeitern, um die Kosten für ihren Dienst niedrig zu halten. Vor allem junge Menschen ließen sich von dem Versprechen flexibler Arbeitszeiten und einem einfachen Jobeinstieg in solche prekären Arbeitsverhältnisse locken, so Splanemann. "Die sehen das als eine sportliche Herausforderung", vermutet er.
Die Fahrradkuriere seien dazu gezwungen, beliebte "Hotspots" in einer Art Warteschleife zu umkreisen, immer in der Hoffnung, einen Auftrag zu ergattern. Auf den Kosten für Handy, Datenverbindung und Fahrradreparaturen bleiben sie sitzen.
Ähnlich dürfte es auch bei Amazon Flex laufen: Die Lieferungen müssen von Amazon-Versandzentren oder direkt vom Händler abgeholt und innerhalb einer gewissen Zeit zur Kundenadresse gebracht werden. Amazon selbst feiert das Konzept in einem Statement als "Innovation", die eine "noch schnellere Lieferung ermöglichen" soll.
Alle Lieferdienste sparen bei den Personalkosten
Amazon wehrt sich gegen die Verdi-Vorwürfe, prekäre Jobverhältnisse zu schaffen, mit Verweis auf die eigenen Stellenangebote. Wer an einer Festanstellung bei Amazon interessiert sei, könne sich zum Beispiel in den Logistikzentren oder im Kundenservice bewerben. Allein in diesem Jahr habe Amazon rund 2.000 Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen.
Vor allem zur Weihnachtszeit sucht der Online-Versandhändler nach Verstärkung. Etwa 13.000 Saisonkräfte sollen in diesem Jahr im Weihnachtsgeschäft aushelfen. Praktisch bedeutet das eine vorübergehende Verdoppelung der Amazon-Belegschaft in Deutschland. Das ist nicht ungewöhnlich: Auch in den Vorjahren hatte der Konzern mehr als zehntausend Mitarbeiter für das Weihnachtsgeschäft eingestellt. Nach eigenen Angaben liege der Stundenlohn in den Logistikzentren bei mindestens 10,52 Euro.
Auch andere Lieferdienste kämpfen in diesen Monaten mit Personalmangel. Fast alle greifen vorübergehend auf externe Dienstleister zurück oder heuern Freelancer an. Sobald das Weihnachtsgeschäft vorüber ist, würden diese Mitarbeiter wieder fallen gelassen, kritisiert Verdi.