"NSU 2.0"-Prozess wohl ab Frühjahr Liebe zum Schach überführte Verdächtigen
Voraussichtlich im Frühjahr startet der Prozess gegen den mutmaßlichen Autoren der "NSU 2.0"-Drohbriefe. Die Liebe zum Schach und eine ausführliche Sprachanalyse führten die Ermittler auf die Spur des Verdächtigen.
Der Prozess gegen den mutmaßlichen Absender der "NSU 2.0"-Drohschreiben beginnt voraussichtlich in diesem Frühjahr am Landgericht Frankfurt. Ein genaues Datum stehe aber noch nicht fest, sagte eine Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft.
Angeklagt ist ein mehrfach vorbestrafter, arbeitsloser IT-Techniker. Ihm wird unter anderem Beleidigung, Bedrohung und Volksverhetzung zur Last gelegt. Aber auch Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, Störung des öffentlichen Friedens, Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Besitz kinder- und jugendpornografischer Schriften, Verstoß gegen das Waffengesetz und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte.
Erstes Drohschreiben nach Abfrage an einem Frankfurter Polizeicomputer
Der Mann soll eine Serie von Drohbriefen verschickt haben, die mit "NSU 2.0" unterzeichnet waren – in Anspielung auf die rechtsextreme Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Insgesamt geht es um 116 per E-Mail, Fax oder SMS gesendete Schreiben, die zwischen August 2018 und März 2021 verschickt wurden.
Das erste ging an die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız, die als "miese Türkensau" beschimpft wurde. Sie solle sich "verpissen" hieß es im Schreiben, "solange du hier noch lebend rauskommst".
Brisant: Kurz zuvor waren von einem Computer im 1. Frankfurter Polizeirevier persönliche Daten der Rechtsanwältin abgerufen worden, die in Meldeämtern gesperrt und nicht öffentlich zugänglich sind. Dieser Umstand brachte die Beamten in Bedrängnis – zumal es in der Folge auch vor weiteren Drohschreiben Polizeiabfragen in Datenbanken gab.
Festnahme im Mai 2020 – weil der Verdächtige beim Schach unvorsichtig war
Weitere "NSU 2.0"-Briefe erhielten Privatpersonen, Personen des öffentlichen Lebens sowie Behörden und Institutionen. Sie enthielten massive Beleidigungen wie "hirntoter Scheißdöner", "Abfallprodukte" oder "Volksschädling" und oft den Nazigruß "Heil Hitler". Familienangehörige sollten unter anderem "mit barbarischer sadistischer Härte abgeschlachtet" werden.
Im Mai 2020 wurde der damals 53 Jahre alte Mann in seiner Berliner Wohnung festgenommen. Ermittler waren in rechten Blogs und Foren auf einen User gestoßen, "dessen Beiträge in Form und Duktus der Äußerungen Ähnlichkeiten mit den Drohschreiben des sogenannten "NSU 2.0" aufwiesen", wie das Landeskriminalamt Hessen (LKA) nach der Festnahme berichtete.
Letztlich zum Verhängnis wurde dem Verdächtigen laut "Spiegel" jedoch seine Liebe zum Schach. Um beim Blitzschach nicht im Nachteil zu sein, ging er auf Schachplattformen nämlich ohne den Schutz eines langsamen Tor-Browser online, der die IP-Adresse verschleiert. Dabei benutzte er Profilnamen und -bilder, die er auch in rechten Blogs verwendete – sowie "wortgleiche Beleidigungen in der Chatfunktion".
Linguistische Begutachtungen erhärteten den Verdacht, dass es sich um die gleiche Person handelte. Über den Betreiber der Schach-Plattform kamen die Ermittler schließlich an seinen Namen und seine Adresse.
Staatsanwaltschaft: Verdächtiger erschlich sich Daten bei der Polizei
Die Staatsanwaltschaft nimmt an, dass der Mann Einzeltäter ist: Der Verdacht, Polizeibeamte könnten den "NSU 2.0"-Schreiber bei Datenabfragen wissentlich unterstützt haben, habe sich nicht bestätigt, hieß es bei Anklageerhebung im vergangenen Oktober.
Die Ermittler gehen davon aus, dass der Verfasser die Infos "unter Einsatz einer Legende erlangt hat, indem er vorgab, Bediensteter einer Behörde zu sein".
- Verschiedene Meldungen der Nachrichtenagentur dpa
- "Spiegel": "Wie die Polizei dem Drohbriefschreiber auf die Schliche kam"