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Neue Kleinpartei Klimaliste will ins Berliner Abgeordnetenhaus


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Abgeordnetenhauswahl
Wie Klimaaktivisten den Grünen in Berlin Konkurrenz machen


23.09.2021Lesedauer: 5 Min.
Eine Gruppe von Klimaaktivisten steht hinter der Quadriga auf dem Brandenburger Tor (Symbolbild): Die Klimaliste Berlin versteht sich als politischer Arm der Bewegung und will deren Forderungen ins Berliner Abgeordnetenhaus bringen.Vergrößern des Bildes
Eine Gruppe von Klimaaktivisten steht hinter der Quadriga auf dem Brandenburger Tor (Symbolbild): Die Klimaliste Berlin versteht sich als politischer Arm der Bewegung und will deren Forderungen ins Berliner Abgeordnetenhaus bringen. (Quelle: imago-images-bilder)

Alle etablierten Parteien wollen im Wahlkampf mit Klimaversprechen punkten. Doch vielen reichen die Pläne nicht aus. Der Frust darüber könnte am Sonntag in Berlin eine neue Kleinpartei beflügeln.

Der Pizzageruch zieht zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt durch die Luft. Während es auf der Bühne um den Hungerstreik einiger Klimaaktivistinnen und -aktivisten geht, backen wenige Meter entfernt Funghi, Margherita und Napoli im Steinofen. In das Freilichttheater zwischen Pizzabar und Spree hat die Klimaliste Berlin eingeladen. Thema ist die anstehende "Klimawahl". Manchem Gast wäre es allerdings lieber, es gäbe diese neue Partei erst gar nicht.

"Ich kann nicht nachvollziehen, dass man so auf der eigenen Sache beharrt", sagt Laura Dornheim. Die Grünen-Politikerin aus Berlin-Lichtenberg ist der Einladung gefolgt, um kurz vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus noch etwas Schadensbegrenzung zu betreiben. Direkt betroffen ist sie als Kandidatin für den Bundestag in ihrem Wahlkreis nicht, ihre Partei in Berlin aber durchaus.

Sie findet es naiv, dass die Klimabewegungen von Fridays for Future und Extinction Rebellion eine eigene Partei gegründet haben, statt sich bei den Grünen für radikalere Forderungen stark zu machen. Und schlimmer: kontraproduktiv für den Klimaschutz.

Wahlteilnahme aus dem Stand

Auf dem T-Shirt eines Helfers steht "Ick will Future", selbst gemalte Plakate zeigen Slogans wie "Make love not CO2" – alles in türkis, der Parteifarbe der Klimaliste Berlin. Vor dem Theatereingang parkt ihr gleichfarbiges Wahlkampfmobil, ein Lastenrad. Drinnen ist die Publikumsdichte überschaubar.

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Dabei hat die Klimaliste Berlin inhaltlich einiges vorzuweisen. Rund ein Jahr nach der Parteigründung steht bereits ein 350-seitiger Klimaplan, die abgespeckte Version bildet das Wahlprogramm. Die Maßnahmen sollen die Hauptstadt bis 2030 zur "klimafreundlichen Nullemission-Stadt" machen. Und zwar sozial gerecht. Dafür tritt die Klimaliste am 26. September bei der Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses an.

Auch Dornheim ist Klimapolitik sehr wichtig. Sie ist mit ihrer Familie zur Veranstaltung gekommen – die Zukunft, um die es bei diesem Thema oft so abstrakt geht, schläft in Form ihres Babys im Kinderwagen. Doch Dornheim ist Realistin: "Was bringt es, die perfekten Inhalte zu haben, wenn es keine Chance gibt, sie durchzukriegen?"

Sie will den Unterstützerinnen und Unterstützern der Klimaliste an diesem Sonntag ins Gewissen reden: "Wenn ihr es ernst meint mit der besseren Klimapolitik, dann wählt die, die die beste Chance haben, das auch umzusetzen." Kurz: ihre eigene Partei, die Grünen.

Gefährliche Konkurrenz für die Berliner Grünen

Das gelte am 26. September allgemein, aber besonders in Berlin, so Dornheim. Denn dort könnte die Wahlteilnahme der Klimaliste die Hauptstadt-Grünen empfindlich treffen. Die türkisfarbene Konkurrenz beim Wahlkampf für das Landesparlament nennt sie "fatal".

"Wir schrammen hier mit Glück an einer schwarz-roten Regierung vorbei. Falls es schlecht läuft, fehlen den Grünen wegen der Klimaliste aber die entscheidenden zwei oder drei Prozent", fürchtet Dornheim.

Laut der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap muss es in Berlin für Rot-Rot-Grün mit 55 Prozent zwar gar nicht so knapp werden. Doch die Grünen haben sich in diesem Jahr schon einmal bei einer Landtagswahl an der Kleinkonkurrenz von der Klimaliste verbrannt.

Die "Klimalisten" in Deutschland: Unter dem Namen "Klimaliste" sind seit Anfang 2020 in mehreren Bundesländern Vereine und Parteien entstanden; seit Juni 2021 existiert auch eine Bundespartei. Ein großer Teil der Mitglieder und Unterstützer geht aus der Klimabewegung hervor. Die Klimalisten geben an, sich für eine sozialgerechte Klimapolitik einzusetzen, die sich konsequent an der Wissenschaft und den Zielen des Pariser Klimaabkommens orientiert. In Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg traten Klimalisten 2021 bereits zu Landtagswahlen an, kamen jedoch in keiner Wahl über ein Prozent der Stimmen hinaus. Am 26. September 2021 tritt die Klimaliste Berlin zur Wahl des Abgeordnetenhauses an. Gleichzeitig stellen sich Direktkandidatinnen und -kandidaten in einer Handvoll deutscher Wahlkreise auch für den Bundestag zur Wahl.

Wenige Prozentpunkte können viel verändern

Das hallt nach, erklärt Wahlforscher Marc Debus von der Universität Mannheim. "Hätten die Grünen in Baden-Württemberg ein paar Stimmen mehr bekommen, hätte es für eine grün-rote Koalition gereicht. Jetzt ist sie wieder grün-schwarz." Die 0,9 Prozent der Stimmen, die die Klimaliste dort geholt hat, haben womöglich den Unterschied gemacht, so Debus.

Geht es nach der Spitzenkandidatin der Klimaliste Berlin, wird die junge Partei aber nicht nur Stimmen bei den Grünen abziehen. "Niemand hat das Recht, einfach Stimmen für sich zu pachten", sagt Alicia Hinon, "wir ziehen die Leute von überall her, aus allen Strömungen." Besonders hat sie es auf SPD-Sympathisanten abgesehen, denen die Berliner SPD-Spitze mit Franziska Giffey zu konservativ ist. Und auf die Wählerinnen und Wähler, die sich bisher bei keiner Partei so richtig zu Hause fühlen.

Laut aktueller Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen liegen die "sonstigen" Kleinparteien in Berlin, zu denen auch die Klimaliste zählt, bei 13 Prozent. Keine andere repräsentative Befragung hat in den vergangenen vier Jahren eine so hohe Zustimmung für diese Parteiengruppe ergeben.

Eine Tatsache, die Hinon ihrer Neugründung zuschreibt. "Es gibt hier schon so lange eine rot-rot-grüne Regierung, da kann man schon fragen, warum trotzdem nichts beim Klimaschutz passiert ist", sagt sie und fügt hinzu, "wir stehen wirklich für den Wandel."

Kleinpartei mit Potenzial

Um das eigene Wählerpotenzial genauer einschätzen zu können, hat die Berliner Klimaliste kürzlich eigens ein Umfrageinstitut beauftragt. Demnach können sich 11 Prozent der Wählerinnen und Wähler "auf jeden Fall vorstellen", ihre Stimme der neuen Partei zu geben.

Auch wenn Hinon ein zweistelliges Ergebnis für "utopisch" hält, fände sie es nicht unrealistisch, am Ende insgesamt auf bis zu acht Prozent zu kommen. Selbst das wäre mehr, als die FDP bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 holen konnte.

Experten dämpfen jedoch die Träume der Klima-Politikerin schnell. "Nur ein kleiner Teil der befragten Wahlberechtigten wird das Kreuz tatsächlich bei der Klimaliste machen", schätzt Marc Debus. Der Wahlforscher weist darauf hin, dass sich das theoretische Wählerpotenzial oft merklich von der tatsächlichen Wahlabsicht der Menschen unterscheide. Dennoch zeigten auch solche Umfragen: "Es existiert ein Potenzial."

Dass die Partei aus einer gewissen Frustration über grüne Kompromisse in Regierungsbeteiligungen entstanden sei, könne sich auch in der Wählerschaft widerspiegeln. Außerdem nutzten die Leute Landtagswahlen auch gerne dazu, den etablierten Parteien eins auszuwischen.

Wiederwahl ist nicht das oberste Ziel

So wichtig es Hinon und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern ist, dieses Jahr ins Berliner Abgeordnetenhaus einzuziehen, so sehr hoffen sie auch, dort nicht allzu lange bleiben zu müssen. Nachdem Fridays for Future und Extinction Rebellion den Druck für eine ambitionierte Klimapolitik auf der Straße immer weiter erhöht haben, will die Klimaliste Berlin ihn zwar ins Parlament tragen.

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"Sobald die Forderungen erreicht sind, haben wir aber keine Relevanz mehr", sagt Hinon. "Dann können wir uns selbst abschaffen." Bevor klar ist, wie gut sie damit letztlich bei den Berlinern ankommt, hat die Partei vor der Wahl noch einmal die Chance, dort laut zu sein, wo sie ihre Anfänge genommen hat. Am Freitag findet der siebte globale Klimastreik von Fridays for Future statt. Auch und vor allem in Berlin. Selbst Greta Thunberg will vorbeischauen.

Ob zu diesem Anlass wieder mehr als eine Million Menschen zusammenkommen, wie noch vor der Pandemie, ist offen. Darauf, dass sie sich noch ein paar Stimmen sichern können, darf die Klimaliste Berlin aber wohl zählen – von woher auch immer.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Besuch der Veranstaltung "Klimawahl" der Klimaliste Berlin am 12. September 2021 im Monbijoutheater in Berlin
  • Gespräch mit Laura Sophie Dornheim, Bundestagskandidatin für die Grünen im Wahlkreis Berlin-Lichtenberg
  • Gespräch mit Alicia Sophia Hinon, Spitzenkandidatin für die Klimaliste Berlin bei der Abgeordnetenhauswahl im Wahlbezirk Berlin-Pankow
  • Interview mit Prof. Dr. Marc Debus, Politikwissenschaftler an der Universität Mannheim
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