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Deutschlands Rolle im Jesiden-Genozid: "Immer noch neue Massengräber"


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Jesiden-Genozid
"Immer noch findet man neue Massengräber"

  • Matti Hartmann
InterviewVon Matti Hartmann

Aktualisiert am 06.09.2021Lesedauer: 3 Min.
Ein bei Shingal entdecktes Massengrab: UNITAD, das Team der Vereinten Nationen, das IS-Verbrechen untersucht, spricht von klaren und überzeugenden Beweisen für einen Völkermord.Vergrößern des Bildes
Ein bei Shingal entdecktes Massengrab: UNITAD, das Team der Vereinten Nationen, das IS-Verbrechen untersucht, spricht von klaren und überzeugenden Beweisen für einen Völkermord. (Quelle: UNITAD Iraq)

Islamisten töteten und verschleppten Tausende Jesiden. Bisher hat Deutschland die Gräueltaten nicht als Genozid anerkannt. Jetzt soll Bewegung in die Sache kommen – und die Verfolgung erleichtert werden.

Gohdar Alkaidy steht sich gerade in Berlin die Beine in den Bauch und redet sich den Mund fusselig. Er hat sich Urlaub von seiner Arbeit genommen und sammelt Unterschriften auf der Straße.

t-online: Herr Alkaidy, warum verbringen Sie Ihren Urlaub mit dem Sammeln von Unterschriften?

Gohdar Alkaidy: Ich bin ehrenamtlich Co-Vorsitzender der Stelle für Jesidische Angelegenheiten in Berlin. Wir haben eine Bundestagspetition gestartet, damit der Völkermord an den Jesiden endlich auch von Deutschland als solcher anerkannt wird. Und jetzt bleiben uns nur noch knapp mehr als zwei Wochen Zeit, um 50.000 Unterschriften zusammenzubekommen.

Worum geht es genau?

2014 hat der IS im Irak das hauptsächlich von Jesiden bewohnte Gebiet um Shingal überfallen. Mehr als 5.000 Menschen wurden ermordet, 7.000 Frauen und Kinder verschleppt. Immer noch findet man neue Massengräber.

Die ganze Welt war damals Zeuge dieser Gräueltaten ...

Viele Länder und Institutionen – etwa Belgien, die Niederlande, das EU-Parlament, die Vereinten Nationen oder auch das Außenministerium der USA – haben den Völkermord auch längst als solchen deklariert. Aber Deutschland noch nicht.

Warum nicht?

Die Jesiden werden in Deutschland kaum von der Politik gehört. Und das, obwohl es hier seit Jahrzehnten die größte jesidische Diaspora-Gemeinde der Welt gibt. Die ersten Jesiden nutzten in den 60er- und 70er-Jahren die Möglichkeit, als Gastarbeiter herzukommen, um vor politischer Verfolgung in der Türkei zu fliehen. Später folgten auch politisch Verfolgte aus dem Irak und Syrien. Aktuell leben 250.000 Jesidinnen und Jesiden in Deutschland.

Was hätten diese Menschen denn von einer offiziellen Anerkennung?

Die gesamte Gemeinschaft der Jesiden ist traumatisiert worden und sehnt sich nach Anerkennung. Es geht um die Beachtung des Leids, das die Menschen erfahren haben. Aber auch für die deutsche Gesellschaft wäre es wichtig: Alle die, die sich der Terrororganisation IS angeschlossen hatten, müssten sich dann vor Gericht für ihre Beteiligung an dem Völkermord verantworten.

Das müssen sie nicht sowieso?

Nein. Der deutsche Staat weiß von vielen, die zwischen 2012 und 2019 in Syrien und dem Irak waren. Mehr als 1.000 Personen sind in dieser Zeit dorthin ausgereist. Das sind allesamt hochgefährliche Leute. Aber nur wenige von ihnen werden strafrechtlich verfolgt. Viele Männer behaupten jetzt, sie seien bloß als Koch, Fahrer oder Sanitäter tätig gewesen. Die Frauen sagen, sie seien nur als Ehefrau mit ihren Männern mitgekommen und hätten Kinder gehütet. Jedes Mitglied des IS trägt aber unserer Überzeugung nach persönliche Verantwortung für den Völkermord, den der IS nur durch die Unterstützung der vielen Helfer verüben konnte.

Und dafür finden Sie keine Unterstützung in der deutschen Politik?

Bis jetzt noch zu wenig. An unserer Seite stehen einige, wie zum Beispiel Cem Özdemir von den Grünen, Tobias Huch von der FDP oder Michael Blume, der Antisemitismusbeauftragte der Landes Baden-Württemberg. Aber um unsere Petition jetzt in den Petitionsausschuss des Bundestages zu bekommen, brauchen wir die Unterschriften der Bürgerinnen und Bürgern. Jede einzelne Unterschrift zählt. Beteiligen kann man sich auf den Seiten des Deutschen Bundestags auch online.

Verwendete Quellen
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