Münster-"Tatort: Erkläre Chimäre" Ein liebevoll gemachter Krimi - leider mit liebloser Auflösung
Liebe lag in der Luft - jedenfalls gab sich Professor Boerne (Jan Josef Liefers) reichlich Mühe, es so aussehen zu lassen: Er versuchte im neuen Münsteraner "Tatort", seinem schwulen Erbonkel aus Florida weiszumachen, dass er und Thiel (Axel Prahl) ein Paar seien, um dessen Villa zu erben. Zwischen dieser herrlich skurrilen privaten Verstrickung und dem Rätsel um den Mord an einem jungen Brasilianer schwankte die Handlung von "Erkläre Chimäre" - und fand dabei das richtige Maß zwischen Krimi und Comedy. Einziges Manko: Die Auflösung des Falls geriet am Ende zur lieblos hingeklatschten Nebensache.
Die "Tatorte" aus Münster polarisieren: So manches Mal diente der Mordfall nur dazu, dem Geplänkel und den Streitereien des Kommissars und des Gerichtsmediziners einen Rahmen zu liefern. Doch diesmal stimmte die Balance. Die Drehbuchautoren Stefan Cantz und Jan Hinter haben sich einen komplexen und im Grunde waghalsigen Mordfall ausgedacht. Dieser ließ sich mit dem Handlungsstrang um Boernes und Thiels vorgetäuschte Beziehung wunderbar verbinden und gab dabei auch den Nebenfiguren jede Menge Raum zum Glänzen.
Thiel und Boerne als Paar - grandios
Boerne und Thiel als vorgetäuschtes Liebespaar: Die Idee war definitiv nicht die originellste aller Zeiten, doch die Umsetzung mitsamt der geschliffenen Dialoge war amüsant mitzuerleben und driftete erfreulicherweise auch nicht ins Peinliche ab. Die beiden verhielten sich in ihrer Hassliebe sowieso schon immer wie ein altes, schrulliges Ehepaar, nun durften sie auch mal eines spielen. Und das gelang grandios und unverkrampft. Schon alleine ihre Probleme, sich plötzlich duzen und Kosenamen erfinden zu müssen, wenn Erbonkel Gustav (ruhig und gelassen: Christian Kohlund) auftauchte, oder Thiels ständige, vergebliche Versuche, den viel zu engen Ehering (natürlich ein Erbstück aus Boernes Familie) wieder von seinem wurstigen Finger zu bekommen, bevor jemand neugierige Fragen stellen konnte. Herrlich.
Viel Raum für die Nebenfiguren
Liebevoll herausgearbeitet waren auch die Nebenfiguren: Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) wurde endlich zur Kommissarin befördert und ließ den abgelenkten Thiel mit ihrer souveränen Ermittlungsarbeit ein ums andere Mal alt aussehen. Boernes Assistentin Silke "Alberich" Haller (ChrisTine Urspruch) ergriff so oft das Wort und vermasselte ihrem versnobten Chef damit die Pointen, dass dem fast die Hutschnur platzte. Ganz zu schweigen von Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann), deren Krankenhausaufenthalt wegen einer ominösen "Frauensache" sich schließlich als Bauch- und Po-Straffung herausstellte.
Lügen, Täuschungen, Intrigen
Ein Mordfall, der da mithalten wollte, musste schon etwas bieten - und das tat er auch, wie aus Münster gewohnt auf sehr kreative, teils skurrile, diesmal aber gar nicht so überdrehte Art. Täuschungen und Wendungen waren an der Tagesordnung und stellten nicht nur die Ermittler, sondern auch die Zuschauer vor Rätsel. Wer die Verbindungen zwischen dem überfahrenen Penner, dem toten Brasilianer Luiz Bensao, der von der Brücke gestoßenen Taxifahrerin Haemmer (Angelika Bartsch) sowie dem Weinhändler-Ehepaar Schosser (Sunnyi Melles und Uwe Preuss) und dessen Problem-Sohn Tom (François Goeske) durchschauen wollte, durfte zwischendurch nicht den Faden verlieren.
Mörder aus dem Hut gezaubert
Umso unschöner, dass der Mörder in diesem verschachtelten Fall schließlich wie aus dem Hut gezaubert wirkte, weil er bis kurz vor Schluss eigentlich überhaupt nichts mit den Ermittlungen zu tun hatte. Dass die Lösung im Chimärismus - in der Medizin werden Menschen als Chimären bezeichnet, die aus den Zellen zweier genetisch verschiedener Wesen bestehen - zu suchen war, offenbarte sich auch erst aufgrund eines Geistesblitzes von Boerne. Der Gerichtsmediziner musste aber zunächst einen medizinischen Exkurs abhalten, um Thiel und den Zuschauern verständlich zu machen, worum es überhaupt ging.
Die endgültige Klärung aller Zusammenhänge und Tatabläufe, auch aus welchem Motiv der Mörder überhaupt gehandelt hatte, wurde dann noch im Schnelldurchgang mit ein paar Sätzen kurz vor dem Abspann abgehandelt. Das alles wirkte nicht mehr besonders spannend oder inspiriert, sondern vielmehr lieblos hingeklatscht. Ein etwas verkorkstes Ende für einen ansonsten sehr amüsanten und kurzweiligen Krimi in bester Münster-"Tatort"-Tradition.