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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wovor haben Sie Angst, Aurel Mertz? "Das war der größte Horror"
Aurel Mertz scheut sich nicht vor Hass im Netz, er kritisiert Polizeigewalt und Reitsport bei Olympia. Humor ist das Mittel, das er auf alles anwendet – auch gegen die eigenen Ängste.
Es herrscht Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, der Klimawandel sitzt uns im Nacken und im Internet lesen wir Nachrichten voller Hass, Häme und Diskriminierung. Das alles schürt Angst. Prominente Persönlichkeiten beantworten in der Serie "Wovor haben Sie Angst, …?" die Frage nach dem furchtbarsten aller Gefühle, suchen Ursachen und Wege, mit ihm umzugehen.
Eigentlich kennt man ihn als jemanden, der immer einen Witz in der Hinterhand hat, der vor Bundesinnenministern nicht zurückschreckt und sich nicht vor der Dressurreiten-Community scheut. Im Gegenteil: Auch bei Olympia 2024 kritisiert der Comedian den Reitsport für das Tierleid, dass dieser verursacht, in den Sozialen Medien. Wovor Aurel Mertz sich hingegen fürchtet und was er gegen die Angst tut, das verrät der Comedian im Gespräch mit t-online.
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Aurel Mertz, Komiker und Moderator
"Meine Eltern haben mir ein Talent geschenkt: Ich habe das Gefühl, dass ich alles meistern kann. Allerdings habe ich schreckliche Angst davor, dass meiner Familie etwas passiert. Die wenigen Verluste von Familienmitgliedern, die ich bisher erlebt habe, waren der größte Horror. Ich habe ein enges Verhältnis zu meiner Familie. Das war schon immer so. Vielleicht deshalb, weil wir als Künstlerfamilie in Stuttgart immer Außenseiter waren. Es macht mich wahnsinnig, dass ich nicht kontrollieren kann, dass ihnen nichts passiert. Das gilt auch für meine Katzen. Ich habe schon mehrere Katzen begraben müssen, das war schrecklich.
Zur Person
Aurel Mertz, geboren 1989, ist Comedian, Podcast-Host, Schauspieler und TV-Moderator. Im Internet teilt er Satire zu Themen wie Polizeigewalt und Tierquälerei im Pferdesport. Sein Kurzvideo-Format "Brezeltest" erreicht regelmäßig Tausende Menschen. Neben seiner Rolle als Co-Moderator von Aminata Belli in der NDR-Talkshow "deep und deutlich" startete er im April 2024 seine eigene Late Night bei ZDFneo: "Neo Tropic Tonight".
"Bei ihr fühlte ich mich sicher"
Früher als Kind hatte ich Angst vor Vampiren. Davon habe ich noch nie jemandem erzählt. Ich habe damals erst überlegt, ob ich Knoblauch mit ins Bett nehmen sollte, bin nachts aber dann stattdessen von meinem Hochbett runtergeklettert und ins Zimmer meiner Schwester geschlichen. Ich stand neben ihr am Bett, weil ich mich bei ihr sicher fühlte. Zum Glück ist sie nie aufgewacht.
Seit meinem letzten Urlaub habe ich eine neue Angst entwickelt. In Sri Lanka lief ich in der Dunkelheit eine Straße entlang. Ich musste aufpassen, nicht von einem Bus überfahren zu werden. Plötzlich fiel ich hin, aber verstand zuerst nicht, was genau passiert war. Ich war nicht betrunken. Ich klatschte auf dem Boden auf und musste mich übergeben, weil ich starke Schmerzen hatte. Dann merkte ich, dass ich in ein Loch gefallen war. Mit blutendem Knie schleppte ich mich nach Hause.
Erst als ich später noch mal an der Stelle vorbeikam, sah ich, dass der Gehweg abrupt in einem Betonloch endete, aus dem Drähte herauskamen und in dem Schlangen waren. Seitdem habe ich Angst vorm Stolpern. Den restlichen Urlaub über lag ich nur noch auf einer Wiese und habe Kühe gestreichelt. Aus diesem Sturz ins Loch habe ich einen Stand-up gemacht.
"Es sterben Menschen. Worüber soll man da lachen?"
Humor ist das Mittel, das ich für alles anwende, auch gegen Angst. Der Klimawandel ist tragisch und ich fürchte mich vor seiner Realität. Ich versuche trotzdem, sie humoristisch zu verarbeiten. Es gibt ein "Comedy-Relief" (zu Deutsch: Erleichterung durch Comedy): Humor kann die Probleme nicht lösen, aber mit anderen Leuten über ernste Themen zu lachen, hilft, dass die Angst weniger wird. Es funktioniert nicht bei allen Themen. Zum Krieg finde ich keine Pointe. Es sterben Menschen. Worüber soll man da lachen?
Ich merke auch, dass viele meiner männlichen Freunde heute mit Anfang 30 mehr mit Ängsten zu tun haben als früher. Zuerst haben sie nicht darüber gesprochen oder sich professionelle Hilfe geholt. Es ist ein Problem, dass Männer zu lange brauchen, um sich zu öffnen und von ihren Ängsten zu erzählen. Auch wenn Ängste auf den ersten Blick irrational wirken, sie belasten und es würde helfen, darüber zu sprechen.
Keiner hat mehr Bock auf sinnloses Machotum oder darauf, Gefühle nicht zulassen zu dürfen. Trotzdem fallen wir im Kontext der aktuellen Kriege wieder in klassische Rollenbilder zurück, in denen der Mann unsere Gesellschaft verteidigen soll. Das Bild des starken Mannes, der keine Angst hat, ist immer noch präsent. Wir sollten damit aufräumen und davon wegkommen, Ängste zu verstecken und geheim zu halten."
- Gespräch mit Aurel Mertz im Mai 2024
- x.com: Profil von Aurel Mertz