Künstlerin Königin der Performance - Marina Abramovic wird 75
New York (dpa) - Sie saß mehr als 700 Stunden lang schweigend auf einem Stuhl, sie schmiss sich gegen Wände und schnitt sich mit Rasierklingen blutig.
In ihrer jahrzehntelangen Karriere hat sich Marina Abramovic, die am Dienstag (30.11.) 75 Jahre alt wird, zur umstrittenen, aber auch hochgeachteten Königin der Performance-Kunst hochgearbeitet - und das Genre überhaupt erst so richtig bekannt gemacht.
Ihre Kunst trifft mitten ins Herz
"Ich bin verantwortlich dafür, dass Performance-Kunst zum Mainstream geworden ist, denn vorher gab es auf diesem Gebiet niemanden", sagte die im serbischen Belgrad geboren Künstlerin vor kurzem dem "Guardian". "Über Performance-Kunst wurde sich lustig gemacht, das wurde nicht als Kunst angesehen. Mein ganzes Leben lang, 50 Jahre meiner Karriere hat es gedauert - aber jetzt ist Performance-Kunst Teil von Museen, Kultur und Sammlungen." Für ihre Kunst müsse man sich kein komplexes Vorab-Wissen aneignen. "Sie ist komplett emotional, trifft einen mitten ins Herz."
Eines ihrer jüngsten Projekte, "7 Deaths of Maria Callas", wurde gerade in München und Paris gefeiert. In dem Werk aus Musik, Gesang und Film inszeniert die Künstlerin an der Seite des US-Schauspielers Willem Dafoe ihren Tod.
"Ich denke jeden Tag ans Sterben", sagte sie dazu in einem Interview. "Nur wenn man ans Sterben denkt, kann man das Leben voll genießen. Alles, was nicht wichtig ist, fällt weg, und man weiß, dass der Tod jede Minute kommen kann - man ist im letzten Akt." Diesen letzten Akt genieße sie aber sehr. "Meine Großmutter, die 103 geworden ist, hat mir gesagt, dass das Leben ab 70 wirklich interessant wird. Du bist frei zu tun, was immer du willst, und du hast alle Weisheit dafür. Wenn man krank ist, ist das natürlich blöd, aber wenn man gesund ist, ist diese Phase des Lebens unglaublich angenehm."
Geboren wurde Abramovic 1946 in Belgrad als Tochter zweier überzeugter Kommunisten. Sie wuchs zunächst bei ihrer Großmutter auf. Von 1965 bis 1970 studierte sie Malerei an der Akademie der Künste in Belgrad. 1976 verließ sie die Hauptstadt des damaligen Jugoslawien, weil sie unter der kommunistischen Herrschaft keine Perspektiven für ihre Kunst sah. Im Westen - unter anderem in Frankreich, Deutschland und den USA - entwickelte sie später radikale Performances, in denen sie oft bis an die Grenzen der Belastbarkeit ihres Körpers - und darüber hinaus - ging.
Rund ein halbes Jahrhundert, nachdem sie ihre Heimat verlassen hatte, kehrte sie 2019 mit der Retrospektive "The Cleaner" zurück nach Belgrad. "Meine professionelle Rückkehr nach Belgrad ist eine große Sache für mich", schrieb die Künstlerin damals. Sie wolle vor allem jüngeren Menschen zeigen, was sie all die Jahre im Ausland gemacht habe. "Ich möchte, dass sie meine Arbeit spüren lässt, wie wichtig es ist, Risiken einzugehen und (...) große Träume zu haben, egal was passiert."
700 Stunden schweigend auf dem Stuhl sitzen
Weltbekannt wurde die Künstlerin, die lange mit dem in Solingen geborenen und im vergangenen Jahr gestorbenen Performancekünstler Ulay zusammen war, mit ihrer Performance "The Artist is Present" 2010 im Museum of Modern Art New York (MoMA). Damals saß sie mehr als 700 Stunden schweigend auf einem Stuhl und lud die Besucher ein, ihr gegenüber Platz zu nehmen.
Die Zeit der Pandemie verbrachte Abramovic vor allem auf dem Land nahe New York - mit Gärtnern, Schwimmen, Tiere beobachten und Yoga. "Ich habe das Gefühl, dass ich in der besten Phase meines Lebens angekommen bin. Ich trinke nicht, rauche nicht, nehme keine Drogen und mache jeden Morgen fünfzig Minuten Yoga", sagte die vielfach ausgezeichnete Künstlerin, die unter anderem dieses Jahr mit dem spanischen Prinzessin-von-Asturien-Preis geehrt wurde.
Als Performance-Künstlerin habe sie aber selbstverständlich auch ihre eigene Beerdigung schon geplant. "Ich wünsche mir ein fröhliches Fest, eigentlich drei, die gleichzeitig an verschiedenen Orten stattfinden sollen. Alle, die eingeladen sind, sollen sich gegenseitig meine schlimmsten Witze erzählen. Und bloß keine schwarzen Kleider!"