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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Linda Zervakis "Bei mir war immer der Druck da, gut zu sein"
Linda Zervakis präsentiert seit über sieben Jahren die 20-Uhr-Nachrichten der "Tagesschau". Im Interview berichtet sie, wieso diese große Öffentlichkeit Fluch und Segen sein kann.
"Guten Abend, meine Damen und Herren. Ich begrüße Sie zur 'Tagesschau'." Linda Zervakis hat diesen Satz schon unzählige Male gesprochen. Seit mehr als sieben Jahren ist sie "Tagesschau"-Sprecherin der 20-Uhr-Nachrichten. In der aktuellen Corona-Krise schauen zu Spitzenzeiten mehr als 17 Millionen Menschen dabei zu, wie die 45-Jährige durch die Sendung führt – ein Privileg, aber auch eine große Bürde.
Doch egal, wie souverän, wie seriös und zuverlässig Zervakis ihre Aufgabe erfüllt: Für viele Menschen ist und bleibt sie "die erste 'Tagesschau'-Sprecherin mit Migrationshintergrund". Es ist der zweite Satz im Wikipedia-Artikel über sie, ein Stempel, der ihr mit Antritt ihres Jobs im Jahr 2013 versehen wurde. Und den sie seitdem nicht mehr loswird.
Für die in Hamburg geborene Moderatorin ist das mehr als "ärgerlich" und ein Grund, warum sie in einem neuen Podcast für Spotify mit dem Titel "Gute Deutsche" über Migrationserfahrungen in Deutschland spricht. Im Interview mit t-online.de berichtet Linda Zervakis, wie sie ihr Talent fürs Sprechen bereits in Schulzeiten entdeckte, warum ihr der Rechtsruck in Deutschland "Angst und Sorge" bereitet und welche Erfahrungen aus Griechenland sie nachhaltig geprägt haben.
t-online.de: Frau Zervakis, in einer globalisierten Welt fällt es immer schwerer, den Begriff "Heimat" zu definieren. Die Welt öffnet sich in alle Richtungen, Grenzen verschwimmen zunehmend. Warum wirkt der Begriff heutzutage so seltsam fehl am Platz?
Linda Zervakis: Auf jeden Fall prasseln täglich viel mehr Eindrücke auf uns ein, und die muss man irgendwie verarbeiten. In Deutschland, soweit ich das mitbekomme, funktioniert der Umgang mit dem Begriff "Heimat" an vielen Stellen schon sehr gut. Aber Menschen neigen vielleicht aus Überforderung dazu, Dinge zu sortieren und in gewisse Schubladen zu stecken. Der Mensch sehnt sich nach Ordnung – auch im Kopf. Das kann mit Blick auf "Heimat" problematisch sein.
Wie meinen Sie das? Weil Menschen dazu neigen, "Heimat" immer innerhalb von Ländergrenzen zu definieren?
Sehen Sie, ich habe da ein einfaches Beispiel. Als ich damals zur "Tagesschau" gewechselt bin, lauteten die Schlagzeilen nicht "Linda Zervakis wird 'Tagesschau'-Sprecherin", sondern "Das ist die erste 'Tagesschau'-Sprecherin mit Migrationshintergrund". Da habe ich mich im ersten Moment gefragt: Wer wird das wohl sein? Aber ja, klar. Ich habe einen Migrationshintergrund. Nur: Für mich spielte der nie eine Rolle. Meine griechische Identität war kein Thema. Die Medien fanden es hingegen wichtig und verpassten mir diesen Stempel. Das war der Moment, wo mein Migrationshintergrund – ein Wort, das ich furchtbar finde – plötzlich eine Bedeutung bekam. Die Bedeutung, dass ich nun für bestimmte Menschen in einer Schublade verordnet werden konnte.
Sie treten tagtäglich als seriöse Nachrichtensprecherin auf. Für einen Großteil der Bevölkerung verkörpern Sie, wie Journalismus in Deutschland funktioniert. Und trotzdem ist es bei Ihrem Wikipedia-Artikel immer noch so, dass der Satz "Sie ist die erste 'Tagesschau'-Sprecherin mit Migrationshintergrund" an vorderster Stelle rangiert. Sind Sie die Etikette eigentlich bis heute losgeworden oder haftet die Ihnen nun bis in alle Ewigkeit an?
Dieses Phänomen ist ärgerlich und es kommt nur langsam ein Umdenken in Gang. Am Ende muss ich meinen Job machen, am besten so gut wie möglich. Egal, ob ich einen Migrationshintergrund habe oder nicht. Meine Leistung sollte im Vordergrund stehen. Wenn ich mit Journalisten spreche und erzähle, dass mir dieses Etikett nicht gefällt, merken sie oft selber, wie doof das ist. Denn im Umkehrschluss könnte ich mich ja fragen: Bin ich eigentlich nur "Tagesschau"-Sprecherin geworden, weil ich einen Migrationshintergrund habe? Ist das der Grund? Das wäre ja tragisch.
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Die Leistung sollte im Vordergrund stehen. Gibt es denn Dinge, die Sie besonders gut machen in Ihrer Rolle als Nachrichtensprecherin?
Es wird immer sehr lustig, wenn mich ältere Menschen auf der Straße ansprechen. Die sagen dann so Dinge wie: "Sie kenne ich doch aus der 'Tagesschau'." Oder: "Wenn Sie Nachrichten sprechen, verstehe ich jedes einzelne Wort. Sie sprechen so schön deutlich!" (lacht)
Ein ausgesprochen freundliches Lob für Ihre Leistung.
Ja, klar. Aber es ist doch absurd, dass zugleich immer wieder mein Migrationshintergrund eine Rolle spielt. Wobei die Berichterstattung sich auch dahingehend gewandelt hat in den letzten Jahren. Als Susanne Daubner in den Neunzigern zur "Tagesschau" kam, hieß es noch: "die erste brünette Sprecherin". Vielleicht habe ich sogar Glück gehabt! (lacht)
Zurück zu Ihrer Leistung: Haben Sie manchmal das Gefühl, noch mehr ackern zu müssen als Ihre Kolleginnen und Kollegen?
Nein, eigentlich nicht. Dieses ganze Thema wurde von außen an mich herangetragen. Mein Chefredakteur hat immer seine Hand für mich ins Feuer gelegt. Der wusste, was er tut. Der hat mich nicht aufgrund meines Migrationshintergrunds ausgewählt, sondern aufgrund meiner Arbeit. Aufgrund der Art, wie ich Nachrichten präsentiere.
Sind Sie in der Schule auch schon dadurch aufgefallen, dass Sie besonders gut vorlesen können?
Lustigerweise ja. In der Schule musste man ja oft vorlesen und wurde dafür benotet, wie gut man gelesen hat. Damit hatte ich nie Probleme. Ich habe mich innerlich immer geärgert, wenn andere vorgelesen haben, aber kein Gefühl dafür hatten, wann eine Pause gesetzt werden muss oder welche Stellen besonders betont werden sollten. Das hat mich in Rage versetzt! Emotionsloses Vorlesen, das war mir tatsächlich schon immer ein Graus. Offensichtlich hatte ich schon immer ein Gespür dafür und andere eben nicht so.
Also war das der erste Fingerzeig für Ihre Karriere?
Das kann sein. Ich hatte ein gutes Gefühl dafür, wie man Texte ansprechend präsentieren muss. Ohne zu wissen, dass der Job einer Nachrichtensprecherin für mich irgendwann mal tatsächlich infrage kommen würde. Das war nie mein Ziel, in der dritten oder vierten Klasse jedenfalls nicht. Das ist erst viel später gekommen.
Und Ihre Herkunft, Ihre griechischen Eltern spielten in der Schule nie eine Rolle?
Nein, überhaupt nicht. Deswegen war ich 2013 so überrascht, als dieses Thema eine so große Rolle spielte. Dieser Stempel haftet mir erst an, seitdem ich um 20 Uhr im Ersten Nachrichten präsentiere. In der Schule hatte ich ganz andere Probleme. Ich war ein Arbeiterkind und meine Eltern konnten sich gewisse Dinge nicht leisten – das war quasi eher meine Ausgrenzung.
Sie wurden wegen der fehlenden finanziellen Mittel ausgegrenzt?
Manchmal auch ganz unbewusst. Wenn meine Freunde in den Herbstferien in den Urlaub auf die Kanaren geflogen sind, konnte ich nicht mitkommen, weil ich es mir nicht leisten konnte. Das war die Ausgrenzung, die ich als Kind erlebt habe – mit meiner Herkunft hatte das nicht das Geringste zu tun. Aufgrund der griechischen Herkunft meiner Eltern habe ich persönlich nie Probleme gehabt.
Spielte das mal später im Zuge der Diskussion über die griechische Schuldenkrise im Jahr 2010 und darüber hinaus eine Rolle für Sie? Wie nimmt man gängige Betrachtungsweisen aus Deutschland auf das Land seiner Eltern wahr?
Diese ganze Berichterstattung hat mich traurig gemacht. Als ich das alles gelesen habe, dachte ich, wir fallen zurück ins Mittelalter. Da wurde sehr viel auf plumpe Art und Weise stigmatisiert. Stichwort: der faule Grieche. Das war einfach nur maximal unangenehm.
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Nun starten Sie einen neuen Podcast mit dem Titel "Gute Deutsche". Gibt es denn gute und dann eben auch schlechte Deutsche?
Gute Frage (lacht). In erster Linie will ich mit diesem Podcast gerne zeigen, dass Menschen mit Migrationshintergrund auch gute Deutsche sein können.
Aber was ist denn ein guter Deutscher?
Für mich persönlich ist jemand ein guter Deutscher, mit dem ich gerne Zeit verbringen möchte und der die Ansichten, mit denen ich groß geworden bin, teilt. Für mich heißt das: sich engagieren und gegen menschenverachtende Ansichten wehren.
Wie sind Sie denn groß geworden? Was hat Ihr Elternhaus Ihnen eingeprägt?
Dass man Menschen nicht wegen ihres Äußeren unterscheidet. Dass man nicht mit dem Finger auf jemanden zeigt, nur weil er anders aussieht. Dass es nicht darauf ankommt, ob jemand Türke, Italiener, Syrer ist. Dass es keine Rolle spielt, woher jemand kommt, sondern darauf, was für ein Mensch er ist. So bin ich groß geworden. Das erwarte ich eigentlich auch von meinem Gegenüber. Ich werde Menschen immer nur danach beurteilen, wie sie sich verhalten und was sie leisten. Wenn andere das auch so handhaben, sind sie mir sympathisch. Und wenn ich die um mich herum habe, fühle ich mich wohl. Und natürlich kann man auch streiten und in der Sache unterschiedlicher Meinung sein, aber es muss sachlich und konstruktiv sein. Das ist mir wichtig.
Kulturell geprägte Umgangsformen und Werte sind nicht ungewöhnlich. Welche Werte haben Sie Ihren griechischen Wurzeln zu verdanken, die Sie vielleicht in Deutschland so nicht mitbekommen hätten?
Geprägt wurde ich auf jeden Fall dadurch, dass man wenig Alkohol zu Hause trinkt. Das ist wirklich wahr. Mir ist das neulich im Urlaub wieder aufgefallen, wie wenig Alkohol die Griechen trinken. Ich war zum Beispiel auf einer griechischen Hochzeit, da stand eine Flasche Wein auf dem Tisch, und die haben sich sechs Menschen geteilt. Und am Ende des Abends war da immer noch ein Viertel drin. Außerdem ist da ein gewisser Fleiß. Meine Eltern sind wahnsinnig fleißig und sehr ordentliche Menschen. Sie haben immer sehr großen Wert auf Sauberkeit gelegt und damit bin ich groß geworden.
Das sind jetzt grundsätzlich auch Dinge, mit denen Deutsche gerne in Verbindung gebracht werden, zumindest was Ordnung und Sauberkeit anbelangt.
Das stimmt, nur sind Griechen wahrscheinlich deutlich entspannter dabei als Deutsche (lacht). Eine gewisse Entspanntheit liegt den Griechen im Blut. Wenn ich länger in Griechenland war, dann merke ich einfach, dass die Menschen dort durch ihre Gastfreundschaft und Herzlichkeit irgendwie entspannter sind. Während der Schuldenkrise Griechenlands war ich zum Beispiel mit meiner Familie auf Kreta. Zum Abschied hat mir unsere Gastgeberin noch einen Korb mit einer Flasche Wein geschenkt und ich wollte das erst nicht annehmen, aber das war natürlich eine Beleidigung. Diese Entspanntheit ist das, was ich hier öfter gebrauchen könnte.
Verbinden Sie mit dieser Entspanntheit auch eine bestimmte Phase in Ihrem Lebenslauf oder eine Kindheitserinnerung, die für Sie rückblickend total prägend war?
Obwohl ich auch schon Existenzangst hatte, war ich mit Umbrüchen immer relativ entspannt. Aber mein Umfeld überhaupt nicht. Ich wusste zum Beispiel, dass ich nicht mehr als Werbetexterin arbeiten wollte, aber wie es danach weitergeht, wusste ich nicht. Es hat meine Freunde und meine Bekannten schier verrückt gemacht, dass ich einfach ein unbezahltes Praktikum angetreten habe, obwohl ich vorher in der Werbung als damals 19-Jährige mit 2.500 Mark sehr gut verdient habe. Aber ich wollte mich weiterentwickeln und eher die journalistische Arbeit in den Blick nehmen. Also habe ich mich beworben und das Praktikum bekommen. Ich wusste auch nicht, wie es nach diesen drei Monaten weitergeht, aber ich war entspannt. Dann kam das Angebot für ein Volontariat und, und, und. Es war mein Weg zum Erfolg. Da merkte ich, dass mein Umfeld vollkommen unnötig unruhig wurde und diese Negativspirale prophezeit hatte.
Das ist vermutlich wirklich etwas sehr Prägendes, vor allen Dingen, wenn man das mit so einem positiven Befund verbindet wie Sie.
Ja, irgendwie hat mir die Entspanntheit total weitergeholfen, weil ich jetzt da bin, wo ich hinwollte.
Ist das insofern auch etwas, was Sie Ihren Kindern mitgeben, wenn die in der Schule mal nicht weiterkommen? Nach dem Motto "Setzt euch nicht zu sehr unter Stress"?
Absolut. Bei mir war immer der Druck da, gut zu sein. Dieser Druck ging von meinem Elternhaus aus. Mein Vater und meine Mutter haben immer betont, dass ich mich besonders anstrengen müsse, und das habe ich auch. Aber es hat mich wahnsinnig gestresst. Ich war immer angespannt. Das möchte ich meinen Kindern nicht antun.
Andererseits hat der Druck dafür gesorgt, dass Sie so erfolgreich wurden. Wurden Sie denn dadurch weniger glücklich, weil es Sie zu sehr unter Stress gesetzt hat? Oder würden Sie sagen, es hat schon sehr geholfen?
Im Nachhinein hat das sehr geholfen. Aber in der Schulzeit hat es einfach nur genervt. Und es hat auch nicht immer dazu geführt, dass ich wirklich gute Noten geschrieben habe. Im Gegenteil: Der Druck kann auch erfolgshemmend sein. Ich bin jemand, der auf sein Bauchgefühl hört. Und wenn mein Bauch nicht richtig mitmacht, dann lasse ich die Finger davon. Wenn ich also das Gefühl hatte, ich muss mich besonders anstrengen, dann machte ich das von allein. Dafür brauchte ich keinen Druck von außen. Diesen Weg versuche ich auch meinen Kindern aufzuzeigen.
In der Corona-Zeit hatten Sie dafür jede Menge Gelegenheiten. Durch das Homeschooling konnten Sie stark auf Ihre Kinder einwirken.
Oh ja, eine herausfordernde Zeit. Aber auch das haben wir irgendwie entspannt gehandhabt. Wenn es zwischendurch sonniges Wetter gab, dann habe ich die Aufgaben auf den nächsten Tag verschoben.
Aber nicht alles war entspannt. Sie haben Ihre Follower auf Instagram mit Einblicken in den Corona-Alltag erfreut, der auch mal sehr anstrengend war. Da schrieben Sie zum Beispiel: "Ich will ehrlich zu euch sein. Ich habe euch etwas vorgemacht. Die Wahrheit der Quarantäne sieht so aus. Der Tag beginnt um 6.30 Uhr, weil die Kids wach sind."
Klar, das nimmt mich auf jeden Fall mit. Jeder, der Kinder hat, weiß ganz genau, wie sich das anfühlt, wie anstrengend das alles ist.
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Warum haben Sie das Quarantäne-Tagebuch nicht weitergeführt?
"'Tagesschau'-Sprecherin mit Quarantäne-Burnout" – als ich das über mich in Zeitungen gelesen habe, dachte ich: "Nee, jetzt reicht es." Das hat mich dann einfach genervt. Da wurde die Situation überdramatisiert und falsch dargestellt, vor allem durch die Überschrift. Im Text wurde es richtig dargestellt. Aber diese Überschrift hat mir gezeigt, dass mit den Einblicken jetzt Schluss ist.
Also geht es Ihnen gut in der Corona-Krise?
Wir haben uns mittlerweile eingespielt, und natürlich würde ich gerne mehr Freunde sehen und auch mal wieder Feste feiern. Aber ganz ehrlich: Ich kann darauf gut verzichten. Es ist für mich eher eine positive Zeit, weil ich es genieße, keine Veranstaltungen besuchen zu müssen, keine Verabredungen zu treffen und keine Termine zu haben. Ich bin zur Ruhe gekommen und der Familie tut das auch gut. Das ist eigentlich eine sehr schöne Zeit, aber das liegt natürlich auch daran, dass ich weiterhin zur Arbeit gehen konnte.
Ihr Mann arbeitet auch beim NDR, vermutlich werden Sie sich sehr gleichberechtigt die Zeit zu Hause eingeteilt haben. Kennen Sie das so auch aus Ihrer Kindheit?
Ich bin total modern erzogen worden, weil meine Eltern beide arbeiten mussten. Also hat auch jeder den Haushalt geschmissen, sich um die Kinder gekümmert, wenn der andere arbeiten musste. Zu Hause ist es immer sehr fortschrittlich gewesen. So ist es bei uns heute auch, mal springt mein Mann ein, mal ich – da gibt es keine klassischen Rollenmuster.
Sie haben für Ihren neuen Podcast mit Persönlichkeiten wie "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo gesprochen. Welche Erkenntnisse konnten Sie aus Ihren Gesprächen gewinnen?
Dass der Begriff "Heimat" kein Ort sein muss. Ich wurde jahrelang gefragt, was Heimat ist. Dann habe ich meistens Hamburg gesagt. Mir wurde der Blick geöffnet, dass das kein Ort sein muss, sondern eher ein Gefühl. Das kann ausgelöst werden durch alles Mögliche, durch Freunde, Verwandte oder Familie.
Sie sprechen im Podcast auch über rassistische Vorfälle in der Vergangenheit Ihrer Gesprächspartner. Dabei geht es unter anderem um Alltagsrassismus, der nun wieder vermehrt auftritt in Deutschland. Wie nehmen Sie diesen Rechtsruck in Teilen der Gesellschaft wahr?
Mir bereitet das Angst und Sorge. Es fühlt sich nicht gut an. Ich bin selbst mal in den Neunzigern in eine rechte Demo geraten und wenn die ihre Parolen grölen, dann kann ich es einfach nicht glauben. Man hat dann sofort Bilder aus einer anderen Zeit vor Augen, die man nie wieder sehen will. Und ich finde es erschreckend. Man denkt immer: Warum seid ihr so? Aus Langeweile? Denkt ihr euch: "Jetzt wäre es wieder an der Zeit, gegen Ausländer zu sein"? Offensichtlich muss man darüber noch mehr sprechen und vielleicht auch mit diesen Menschen. Man muss ergründen, warum sie ihren Hass in sich tragen. Und vielleicht schafft der Podcast das, weil ich nicht mit der großen Keule daherkomme.
Also werden Sie auch mit Nazis sprechen?
Das ist im Moment nicht geplant, ich finde nicht, dass Nazis gute Deutsche sind.
Hier geht es zu Linda Zervakis' neuem Podcast "Gute Deutsche": In der ersten Folge spricht Giovanni di Lorenzo über den "Lehrer, der ihn hasste".
- Telefoninterview mit Linda Zervakis
- Spotify: "Gute Deutsche"
- Wikipedia: Profil von Linda Zervakis