Großprojekt mitten in der Stadt Berlin soll wieder eine Mauer bekommen
Im Zentrum der Hauptstadt wird im Herbst wieder eine Mauer gebaut. Wer in die neue Enklave will, braucht ein Visum. Was steckt dahinter?
Der Plan für das Projekt steht zwar schon, von den Behörden sei es aber noch nicht genehmigt. "Wir sind da mittendrin", sagt der Veranstalter Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, im Rahmen einer Pressekonferenz. Trotz der Mauer soll es laut Oberender keine "Disney-DDR" werden.
"Vielleicht wird es gar nicht so aufregend"
Kostümierte Darsteller wie am ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie wird der Besucher also nicht treffen. Es geht den Machern um eine Reise in ein fremdes Land und das Gefühl des Freiheitsverlusts – nicht konkret um die DDR oder die Sowjetunion. Oberender sagte: "Vielleicht wird es gar nicht so aufregend. Ich glaube schon." Immerhin soll ein ganzes Straßenviertel abgesperrt werden.
Ilya Khrzhanovskys Filmprojekt steht im Mittelpunkt
Zentrum ist ein Filmprojekt des russischen Filmemachers Ilya Khrzhanovsky, der wie erwartet nicht zur Pressekonferenz kam. Der 43-Jährige ging von 2009 bis 2011 in einer eigens nachgebauten Stadt in der Ukraine auf Zeitreise in die Sowjetunion der Jahre 1938 bis 1968.
400 Menschen lebten dafür in einer abgeschotteten Parallelwelt. Ein Drehbuch gab es nicht. Darunter waren Straßenreiniger, Kellner, Familien, Wissenschaftler, Schamanen und nur eine Schauspielerin. "Wir waren überall dabei", erzählte der deutsche Kameramann Jürgen Jürges, der in seiner Karriere mit Größen wie Wim Wenders und Rainer Werner Fassbinder drehte. Den Namen "Dau" hat das Projekt von dem sowjetischen Atomphysiker Lew Landau (1908–1968), um dessen Institut es geht.
Das Ergebnis aus mehr als 700 Stunden Material sind 13 Filme, Serien und eine digitale Filmplattform. Mitgewirkt haben Musiker wie Brian Eno und Massive Attack. Für das Ganze ist nun keine klassische Filmpremiere geplant, sondern ein Großevent mit Kunst.
"Auf sehr liebevolle Weise vor Neid erblasst"
Unterstützt wird das Projekt von Regisseur Tom Tykwer. Er sprach von dem "Mythos", das es umgibt. Es sei etwas, das man erleben und nicht konsumieren werde. "Ich bin auch auf sehr liebevolle Weise vor Neid erblasst." Die Kuratorin des ebenfalls beteiligten Schinkel Pavillons, Nina Pohl, freute sich angesichts der Debatte über den "Skandal im Sperrbezirk". Sie fühlte sich an Kunst von Joseph Beuys und Christoph Schlingensief erinnert.
Nachdem das Projekt in den Vorjahren aus verschiedenen Gründen an der Volksbühne nicht zustande kam, ist nun das Kronprinzenpalais zentraler Ort für die Filmvorführungen. Die Kunststadt soll das Gelände von der Bertelsmann-Repräsentanz bis zur Staatsoper umfassen, mit Bauakademie und Schinkelplatz. Veranstaltungen sind an mehreren Orten geplant, auch ein Shakespeare Theatre wird aufgebaut. Über die Mauer soll man mit Aussichtsplattformen nach draußen gucken können. Die Anwohner seien eingebunden worden, so Produzentin Susanne Marian. Der Alltag im Viertel soll demnach für die Nachbarn so stressfrei wie möglich weitergehen. Opern- und Konzertbesucher haben Extra-Eingänge.
Personalisierte Reisen
Die Besucher (täglich soll es 1.500 bis 3.000 "Visa" geben; die Preise beginnen bei 15 Euro.) melden sich online an und tauschen ihr Handy gegen ein Smartphone ohne Netz. Das Gerät schickt jeden Gast auf eine personalisierte Reise: zu Kunstperformances mit Marina Abramović oder Carsten Höller, zu Konferenzen mit Wissenschaftlern oder zu Konzerten. Auch der Pianist Igor Levit soll dabei sein. Über eine Beteiligung von Street-Art-Legende Banksy wird noch gemunkelt.
Finanziert wird das 6,6 Millionen Euro teure Projekt "Dau" von der in London ansässigen Stiftung Phenomen Trust, die von dem russischen IT-Unternehmer Sergei Adonjew gegründet wurde. Russisches Fördergeld habe man zurückgezahlt.
Knapp einen Monat Zeit für Besuch
Die Weltpremiere in Berlin ist für den 12. Oktober geplant. Am 9. November, dem 29. Jahrestag des Mauerfalls, soll die Fake-Mauer wieder fallen. "Mauerspechte" dürfen Andenken klopfen.
- dpa