Stars (KORR-Bericht - Deutschland-Reise/RUBRIK - Z: 5210) - «Jünger als 150 Jahre ist Neubau»: Görlitz...
Städtebauliches Wunder, lebendiges Architekturmuseum, Lieblingsort internationaler Filmproduktionen: Görlitz ist die östlichste Stadt Deutschlands - und eine grandiose Kulisse im zweifachen Sinne.
Görlitz (dpa/tmn) - Vor einer der historischen Altstadtfassaden bleibt Stadtführer Frank Vater stehen und zieht diverse Schlüssel aus seiner Hosentasche. Der Architekt weiß: In Görlitz bleiben die wahren Überraschungen den Touristen-Augen oft verborgen. Er schließt eine Holztür auf und führt in eine lichte Erdgeschosshalle. Der Blick schweift nach oben. Hier hingen früher die kostbaren Stoffe der Tuchmacher. Eine steinerne Treppe mit elegantem Geländer führt in die oberen Geschosse, drei Stockwerke hinauf.
Die komplett erhaltene Altstadt ist das Pfund, mit dem Görlitz wuchert. Das deutsche Prag nennt man die östlichste Stadt Deutschlands auch. Gut 100 Kilometer von Dresden entfernt, an der polnischen Grenze gelegen, sind in Görlitz nicht nur die Fassaden im Original erhalten. "Es geht in dieser Stadt um komplette Gebäude", schwärmt der gebürtige Görlitzer Frank Vater. "Rothenburg ob der Tauber ist Plastik im Vergleich zu Görlitz."
Welcher Reichtum in der Stadt mit ihren 55 000 Einwohnern schlummert, lässt sich beim Rundgang durch die Innenstadt entdecken - eine architektonische Reise durch die Jahrhunderte. Übergangslos.
Den historischen Glanz verdankt Görlitz seiner Lage an der Kreuzung zweier wichtiger Handelsstraßen: der Via Regia, die einst von Russland nach Spanien führte, und dem Weg von Böhmen bis an die Ostsee. Vater nennt noch einen Grund: Kaufleute prägten die Stadt, sie arrangierten sich mit den Mächtigen. Immer und immer wieder. So gibt es sogar Beichtstühle in der protestantischen Kirche. "Man weiß ja nie", sagt der 57-jährige Stadtführer. Über die Jahrhunderte wurde durch Unruhen und Kriege nur wenig zerstört. "Ein Gebäude, das jünger als 150 Jahre alt ist, gilt in Görlitz als Neubau."
Mit rund 4000 denkmalgeschützten Gebäuden verfügt die Stadt an der Neiße über eine außergewöhnlich hohe Konzentration an Denkmälern. Von Gotik über Renaissance und Barock bis Jugendstil reicht die Bandbreite. Kaufmannshäuser neben Gründerzeitbauten, reich an Wandschmuck, Gewölberippen, Ornamentbändern und bemalten Holzdecken.
Rund 300 Millionen Euro wurden nach der Wende investiert, rund 80 Prozent der denkmalgeschützten Gebäude instand gesetzt. Dass dieses lebendige Architekturmuseum heute schöner als je zuvor erstrahlt, ist auch einem anonymen Spender zu verdanken. Von 1995 bis 2016 erhielt die Stadt jährlich eine Zuwendung von einer halben Million Euro an die Altstadt-Stiftung.
Eines der augenfälligsten Gebäude ist der Schönhof am Untermarkt, erbaut von Architekt Wendel Roskopf, heute das Schlesische Museum. In der Eingangshalle spricht Vater vom "ältesten bürgerlichen Renaissance-Haus in Deutschland", erbaut 1526. Vor dem Eingang weist er auf die geschwungene Rathaustreppe, das nächste Prunkstück.
Vom Untermarkt hat man einen guten Blick auf das Rathaus. Alle vier Gebäudeteile der Westfront des Platzes gehören dazu. Um 1350 erwarb die Stadt für das Verwaltungshaus erstmals Privateigentum: den Turm mit den beiden markanten Uhren und dem Bürgermeisterzimmer. Im Lauf der Zeit wurde das Rathaus immer wieder durch den Zukauf weiterer Gebäude vergrößert - eine Görlitzer Besonderheit.
Eine weitere wartet ebenfalls am Untermarkt: die Hallenhäuser, bürgerliche Wohnanlagen aus dem 16. Jahrhundert, der wirtschaftlichen Blütezeit der Stadt. Mit ihren eindrucksvollen, tiefen Eingangshallen und den imposanten Kreuzgewölben geben sie einen guten Eindruck davon, wie das Leben der Gutbetuchten im Spätmittelalter aussah. Eine Szenerie wie auf einem alten Gemälde, würde nicht in einer Ecke des Innenhofes ein Kinderroller liegen. Auch die Klingelschilder zeigen: Hier wohnen Menschen. "In Görlitz gibt es einfach zu viel alte Bausubstanz, als das alles Museum sein könnte", sagt Vater.
Die Schönheit lockt nicht nur Touristen nach Görlitz. Die Stadt an der Neiße ist seit Jahren Drehort für mehr als 100 nationale und internationale Filmproduktionen. Was anderswo aufwendig als Kulisse nachgebaut werden muss, gibt es in Görlitz im Original. Die Schauplätze lassen sich auf geführten Filmtouren erkunden.
Der Untermarkt ist nicht nur für Architektur-Liebhaber ein Highlight. Filmfans kriegen Herzklopfen, da hier Szenen für "Die Bücherdiebin" gedreht wurden. Regisseur Quentin Tarantino ließ Soldaten für seinen Kriegsfilm "Inglourious Basterds" über das historische Pflaster marschieren. Und das Görlitzer Rathaus verwandelte sich in das "Grand Budapest Hotel", so der Name eines Wes-Anderson-Films. Den ersten Oscar für Görlitz gewann Kate Winslet mit "Der Vorleser".
Im Streifen "In 80 Tagen um die Welt" mit Jackie Chan spielte der Untermarkt Paris. Veränderte Fronten, Fensterläden, französische Schilder - die Stadt gibt im Film nur selten sich selbst. Ein Schild mit der goldenen Aufschrift "Le Vin de Bourgogne" hängt noch im begrünten Innenhof eines Restaurants am Untermarkt. Manche nennen die Stadt scherzhaft "Görliwood".
Nun fehlt nur noch ein Abstecher über die Altstadt-Brücke in den polnischen Teil der Stadt. Zgorzelec, einst östliche Vorstadt von Görlitz, hat keine historischen Gebäude zu bieten - aber einen faszinierenden Blick auf die Altstadtdächer der Nachbarstadt.
Informationen: Touristbüro Görlitz, Obermarkt 33, 02826 Görlitz (Tel.: 03581/42 13 62, E-Mail: info@goerlitz-tourismus.de, www.goerlitz-tourismus.de).