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Thomas Gottschalk: Ein Prediger und das drohende Schafott


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Thomas Gottschalk auf Werbetour
Es droht der Zorn der Massen


Aktualisiert am 21.10.2024Lesedauer: 5 Min.
Thomas Gottschalk: Der Entertainer gewann bei WWM bereits die Million.Vergrößern des Bildes
Thomas Gottschalk: Der Entertainer hat sein drittes Buch veröffentlicht. (Quelle: Joshua Sammer)
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Thomas Gottschalk reist durchs Land und gibt sich als Mann des Volkes. Ein Besuch seiner Lesereise zeigt: Der Showmaster beherrscht die Kunst der Maskerade.

Das Getuschel verstummt jäh. Um 20 Uhr kehrt im Berliner Pfefferberg Theater andächtige Stille ein. Eine leicht religiöse, fast schon okkulte Atmosphäre legt sich über den mit rund 200 Menschen ausverkauften Raum. Wo sonst Theaterstücke wie "Überraschung! Der Zirkus ist da!" über die Bühne gehen, führt heute Thomas Gottschalk sein Stück auf. Es könnte den Titel "Früher war alles besser" tragen, heißt jedoch: "persönlich – nachdenklich – selbstironisch".

Maximal eines der drei Versprechen aus dem Titel wird an diesem Abend erfüllt – aber dazu später mehr.

Die Werbetour für Thomas Gottschalks neuestes Buch ist in vollem Gange. "Ungefiltert: Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann" ist sein drittes Werk und noch bevor es am 16. Oktober veröffentlicht wurde, löste es hitzige Debatten aus. Gottschalk gab dem "Spiegel" ein Interview, das mit der Überschrift "Ich habe Frauen im TV rein dienstlich berührt" Wellen schlug. Anschließend besuchte der 74-Jährige den "Kölner Treff" und geriet in der Talkshow derart in die Defensive, dass selbst Moderator Micky Beisenherz anschließend voller Mitleid um eine einstige Ikone in die Kameras blickte.

Und so ging das munter weiter. Zahlreiche Interviews, dazu ein durch Jörg Kachelmann befeuerter Skandal um Gottschalks Erziehungsmethoden und nun die Lesereise. Seit mehr als einer Woche ist der Entertainer omnipräsent. Er kritisiert angebliche Sprachverbote in Deutschland, mokiert sich über das Gendern, redet von einer neuen Generation Influencern, die ein Geschäftsmodell betreiben, dem er nichts abgewinnen kann.

Nach seinen autobiografischen Büchern "Herbstblond" und "Herbstbunt" ist "Ungefiltert" mehr eine Abrechnung mit neuen gesellschaftlichen Entwicklungen als eine persönliche Bestandsaufnahme. Wer das Buch liest, gewinnt den Eindruck, in Deutschland herrsche eine gnadenlose Sprachpolizei, niemand schaue mehr Fernsehen, öffentlich-rechtlichen Rundfunk schon gar nicht und heutige Idole seien alles nur Nichtskönner mit enormen Reichweiten. Das "Plädoyer für mehr Gelassenheit im Umgang miteinander", welches Gottschalks Verlag verspricht, wirkt wie ein Schrei nach Liebe.

Der unausgesprochene Wunsch zwischen den Zeilen: Die Menschen mögen doch mit Thomas Gottschalk und seinen Marotten gelassen umgehen – nicht andersherum. Schließlich sei er doch schon immer so gewesen.

Gottschalk hat es auf Journalisten abgesehen

Thomas Gottschalk gibt sich gar nicht erst die Mühe, so zu tun, als schlummere da in ihm ein bisher verborgener Veränderungswillen. Wer genau ihn daran hindert, so zu sein, wie er es gerne möchte, verschweigt der einstige "Wetten, dass ..?"-Moderator. Da wäre eine junge Generation, die ihn gar nicht mehr kenne und seine Autorität infrage stelle: Aber so sei er früher selbst gewesen, gibt Gottschalk zum Besten und unterfüttert das Narrativ mit Anekdoten aus seinen Karriereanfängen, als er den damaligen Kardinal Ratzinger und späteren Papst Benedikt XVI. mit Radioansagen provozierte.

Doch da wäre ein Feindbild, das zwischen den Zeilen durchblitzt: Die angeblich überkritische Journaille und eine dem "Woke-Wahnsinn" verfallene Gesellschaftsströmung verbiete Gottschalk den Mund und wolle ihm auf die Hände hauen, wenn diese mal wieder zu lange auf dem Knie eines weiblichen Gegenübers liegen bleiben. "Journalisten" scheinen es Gottschalk besonders angetan zu haben. Mehr als ein Dutzend Mal werden sie während der Bühnenmonologe Zielscheibe seiner Kritik. Als jemand, der sich selbst zu dieser Berufsgruppe zählt und an diesem Abend im Publikum sitzt, beschleicht einen eine gewisse Beklemmung.

Man ertappt sich bei dem Gedanken, lieber nicht an der Fragerunde teilzunehmen, denn man könnte enttarnt werden – und Gnade Gott, wer vor Gottschalk und seinen Jüngern zum Schafott schreiten muss.


Quotation Mark

Bitte sagen Sie nicht Herr Gottschalk. Thomas reicht.


Thomas Gottschalk


In den anderthalb Stunden, die der Abend dauert, liest Gottschalk maximal 30 Minuten aus seinem Buch vor. Der Rest seiner Show besteht aus spontaner Plauderei, abschweifenden Gedanken und einer sich hinziehenden Frage-Antwort-Runde. Letztere offenbart, dass sich Menschen versammelt haben, die den ehemaligen Showmaster als Helden ihrer Kindheit und Jugend verehren. Und genau das nutzt Gottschalk in eigener Sache: Er gibt sich als Mann des Volkes. Nahbar, unprätentiös, stinknormal.

"Bitte sagen Sie nicht Herr Gottschalk. Thomas reicht", ruft er einem sichtlich verblüfften Gast zu. Die joviale Geste eines Mannes, der in einem Nadelstreifenanzug von Giorgio Armani auf der Bühne steht, an sich herunterblickt und angesichts seines Outfits urteilt: "Für Berlin genau richtig."

Den Gästen scheint dieser sichtbare Widerspruch gleichgültig. Sie hängen Gottschalk an den Lippen, als sei er ein Prediger, einer, der das sagt, was sich sonst niemand mehr traut. Und auch dieser inhaltliche Widerspruch löst keine Irritationen aus: Gottschalk betont einerseits immer wieder, dass er nicht mehr alles sagen dürfe, erklärt aber auch, dass er niemand sei, der behaupte, man dürfe nicht mehr alles sagen.

 
 
 
 
 
 
 

Thomas Gottschalk genießt das Heimspiel, Kritik muss er an diesem Abend nicht fürchten. Er darf wie ein etwas betagter Onkel, der nach jahrelanger Weltreise zurückgekehrt ist, mit großer Geste über dies und das philosophieren, Weltgewandtheit simulieren und den Erklärbär mimen. Dabei gelingt es ihm, sein Publikum komplett in den Bann zu ziehen. Schon der Start zeigt, wer Herr im Hause ist. Nach einer kurzen Anmoderation durch die Theaterleitung schlüpft Gottschalk hinter dem Vorhang auf die Bühne, lässt sich bejubeln und badet anschließend minutenlang im Blitzlichtgewitter der eingeladenen Fotografen.

"Habt ihr jetzt genug?", fragt er die immerzu auf den Auslöser drückende Schar vor sich. Etwas beiläufig, dann schon genervt. Er will seine Show beginnen. Diese lästigen Fotos von ihm und seinem Buch stehlen ihm wertvolle Minuten, die er sonst seinem Publikum widmen könnte – so der Eindruck, den Gottschalk vermittelt.

Der Gottschalkglanz wird gedimmt

Es sind diese Momente, die ihn in den Augen seiner Fans so genial, so sympathisch, aber zugleich staatsmännisch erscheinen lassen. Es geht hier um uns, denken die Menschen und schauen zu ihm hinauf. Zu dem Mann, der keinen Hehl aus seiner Eitelkeit macht. Der zugibt, süchtig nach Applaus zu sein, das Bad in der Menge zu genießen. "Persönlich" ist diese Show, weil sie zeigt: Thomas Gottschalk ist sich selbst am nächsten. "Es geht mir immer um mich", sagt er und meint das auch so.

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Das Versprechen von Nachdenklichkeit bleibt unerfüllt. Nur als etwas unbeteiligter, weil nicht komplett der Glorifizierung verfallenen Sorte Zuschauer wird man nachdenklich. Dieser Mann mit dem breiten Grinsen beherrscht sein Handwerk, denkt man. Er kann einen Raum, egal welcher Größe, im Handumdrehen einnehmen, mit seiner Aura die Zuschauer um den Finger wickeln. Er könnte so sympathisch sein, wenn er ausschließlich das machen würde, was er schon immer gemacht hat: Unterhaltung.

Aber dieser ernsthafte Unterton, dieses larmoyante Lamentieren über angeblich so verwerfliche neue Töne, scheinen den Glanz dieses Mannes zu dimmen. Die versprochene Selbstironie hätte daran etwas ändern können, Gottschalk als jemanden zeichnen können, der über sich und seine gestrigen Ansichten lacht und sich selbst nicht so ernst nimmt.

Ohne sie wirkt Gottschalk wie ein Show-Prediger – ohne doppelten Boden, ohne augenzwinkernde Leichtigkeit, aber mit weithin sichtbarem, erhobenem Zeigefinger. Eine Parallele drängt sich auf: Peter Hahne, der einstige ZDF-Moderator, der heute mit Werken wie "Das Maß ist voll" oder "Nur die Wahrheit zählt" hausieren geht, tingelt auch per Lesereise durchs Land, plaudert vor kleinen Runden über die "gute, alte Zeit" und erntet tosenden Applaus, wenn er sich über die "Sprachpolizei" empört.

Zum Glück hat Thomas Gottschalk mehr Anekdoten über Tina Turner, Klaus Kinski und Michael Jackson zu bieten.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Recherchen
  • Gottschalk, Thomas: "Ungefiltert" (2024, Heyne Verlag)
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